Vorsteuerabzug, Vorsteuerberichtigung, Gemischte Nutzung eines Gebäudes

Anmerkung zu: EuGH-Urt. v. 17.09.2020, C-791/18, Stichting Schoonzicht

Praxisproblem

Bei dem niederländischen Vorabentscheidungsersuchen ging es um die Berichtigung des Vorsteuerabzugs bei Gebäuden.

Sachverhalt

Die Klägerin errichtete auf einem Grundstück ein Mehrfamilienhaus mit 7 Wohnungen. Die Fertigstellung erfolgte im Juli 2014. Sie brachte die Vorsteuer in vollem Umfang in Abzug, weil ursprünglich eine steuerpflichtige Vermietung beabsichtigt war. Ab dem 01.08.2014 (also bei der erstmaligen Verwendung) vermietete sie indes 4 Wohnungen umsatzsteuerfrei, woraufhin die Steuerbehörde den vorgenommenen Vorsteuerabzug berichtigte.

Die Klägerin vertrat die Auffassung, dass die nach dem niederländischen Recht "auf einmal" vorzunehmende Berichtigung nicht im Einklang mit Art. 187 der MwStSystRL stehe. Hiernach sei die Berichtigung über mehrere Jahre vorzunehmen. Jährlich dürfe nur ein proportionaler Anteil des ursprünglichen Abzugs berichtigt werden.

Das Vorlagegericht wollte wissen, ob sich die Berichtigungsregel nach Art. 187 der MwStSystRL auf einen mehrjährigen Zeitraum bezieht oder auf den Zeitpunkt der erstmaligen Verwendung. Für den Fall, dass sich die Regelung auf einen mehrjährigen Zeitraum bezieht, wollte das Gericht wissen, ob die niederländischen Regelungen von Art. 189 Buchst. b oder c der MwStSystRL gedeckt sind.

Entscheidung

Der EuGH hat entschieden, dass die Art. 184 bis 187 MwStSystRL dahin auszulegen sind, dass sie nationalen Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen, die eine für Investitionsgüter geltende Berichtigungsregelung enthalten, in der die Berichtigung über mehrere Jahre vorgesehen ist und nach der der gesamte ursprünglich vorgenommene Vorsteuerabzug für das betreffende Gut während des ersten Jahres von dessen Verwendung, was auch dem ersten Jahr der Berichtigung entspricht, auf einmal berichtigt wird, wenn sich bei dieser erstmaligen Verwendung erweist, dass der Vorsteuerabzug nicht demjenigen entspricht, den der Steuerpflichtige auf der Grundlage der tatsächlichen Verwendung des Gutes vornehmen durfte.

Der EuGH geht davon aus, dass die Art. 184 und 185 MwStSystRL allgemein die Voraussetzungen nennen, unter denen die nationale Finanzbehörde eine Berichtigung der ursprünglich als Vorsteuer abgezogenen MwSt zu verlangen hat, jedoch ohne zu bestimmen, wie diese Berichtigung zu erfolgen hat. Vielmehr überlasse es Art. 186 MwStSystRL ausdrücklich den Mitgliedstaaten, die Voraussetzungen für eine Berichtigung festzulegen. Nur für den Sonderfall der Investitionsgüter sähen die Art. 187 bis 192 MwStSystRL bestimmte Einzelheiten für die Berichtigung des Vorsteuerabzugs vor.

Der EuGH hat sich dem Generalanwalt angeschlossen, der festgestellt hatte, dass sich die Logik, die der Vorsteuerberichtigung zugrunde liegt, die vorzunehmen ist, wenn sich Änderungen der ursprünglich für die Bestimmung der Vorsteuerabzugsbeträge berücksichtigten Faktoren während der Verwendung des betreffenden Investitionsguts ergeben, von der Logik unterscheidet, die der Berichtigung zugrunde liegt, die vorzunehmen ist, wenn der ursprüngliche Vorsteuerabzug geringer oder höher als derjenige ist, zu dem der Steuerpflichtige bei der erstmaligen Verwendung des Investitionsguts unter Berücksichtigung seiner tatsächlichen Verwendung berechtigt war. Folglich falle die Festlegung von Detailregelungen zur Berichtigung des ursprünglichen Vorsteuerabzugs zum Zeitpunkt der erstmaligen Verwendung des betreffenden Investitionsguts, wenn sich herausstellt, dass der Abzug zu diesem Zeitpunkt höher war als der, zu dem der Steuerpflichtige unter Berücksichtigung der tatsächlichen Verwendung des Investitionsguts berechtigt war, nicht unter Art. 187 MwStSystRL, sondern gehöre durchaus zu den Einzelheiten für die Anwendung der Art. 184 und 185 der Richtlinie, deren Festlegung den Mitgliedstaaten nach Art. 186 MwStSystRL obliegt. Art. 187 MwStSystRL enthalte keine Regelung zu den Einzelheiten der Berichtigung, die anzuwenden ist, wenn sich das Vorsteuerabzugsrecht zum Zeitpunkt der erstmaligen Verwendung selbst als höher oder geringer als ursprünglich vorgenommen erweist.

Praxishinweis

Die deutsche Rechtslage ist von dem Urteil grds. betroffen. § 15a UStG regelt die Berichtigung des Vorsteuerabzugs, wenn sich bei einem Wirtschaftsgut innerhalb eines bestimmten Zeitraums ab dem Zeitpunkt der erstmaligen Verwendung die für den ursprünglichen Vorsteuerabzug maßgeblichen Verhältnisse ändern. Die Rechtsfolge ist eine Berichtigung über einen mehrjährigen Zeitraum. Für die Frage, ob eine Änderung der Verhältnisse vorliegt, sind die Verhältnisse im Zeitpunkt der tatsächlichen Verwendung im Vergleich zum ursprünglichen Vorsteuerabzug entscheidend (vgl. BFH-Urt. v. 09.02.2011, XI R 35/09, BStBl II 2011, 1000). Für den ursprünglichen Vorsteuerabzug ist die Verwendungsabsicht im Zeitpunkt des Leistungsbezugs entscheidend. Der Zeitraum, für den eine Berichtigung des Vorsteuerabzugs durchzuführen ist, beträgt grds. volle fünf Jahre ab dem Beginn der erstmaligen tatsächlichen Verwendung. Er verlängert sich bei Grundstücken einschließlich ihrer wesentlichen Bestandteile, bei Berechtigungen, für die die Vorschriften des bürgerlichen Rechts über Grundstücke gelten, und bei Gebäuden auf fremdem Grund und Boden auf volle zehn Jahre (§ 15a Abs. 1 Satz 2 UStG).

Diese pro-rata-temporis-Vorsteuerberichtigung muss nach dem vorliegenden EuGH-Urteil nicht bei einer Änderung der Verhältnisse im Vergleich zu der ursprünglich beabsichtigten Nutzung eines Gebäudes angewendet werden, wenn sich die Nutzungsverhältnisse bereits im Zeitpunkt der erstmaligen Verwendung des Gebäudes  geändert haben. In diesen Fällen könnte dann statt der Anwendung von § 15a UStG der Vorsteuerabzug z. B. nach § 164 Abs. 2 AO oder § 173 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO (in voller Höhe entsprechend der Nutzungsänderung) geändert werden. Für die Folgejahre des Berichtigungszeitraums wäre dann von einem entsprechend geringeren Vorsteuervolumen auszugehen. Ob der deutsche Gesetzgeber von dieser Möglichkeit Gebrauch machen wird, bleibt abzuwarten.

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