Zollwertrechtliche Relevanz von Alleinvertriebsrechten

Anmerkung zu: EuGH, Urt. v. 19.11.2020, Rs. C-775/19, 5th Avenue Products Trading GmbH

I. Sachverhalt und Grundproblem

Die 5th Avenue Products Trading GmbH (5th Avenue) ist eine Gesellschaft mit Sitz in Deutschland, deren Unternehmensgegenstand u. a. der Handel mit Tabakwaren und Raucherbedarfsartikeln ist. Diese schloss mit der Habanos SA, der staatlichen kubanischen Exportgesellschaft für Zigarren, eine als „Exclusive Distribution Agreement“ (Alleinvertriebsvereinbarung, im Folgenden: EDA) bezeichnete Vereinbarung, mit der 5th Avenue das ausschließliche Recht eingeräumt wurde, die von der staatlichen Gesellschaft hergestellten Zigarren als Alleinvertriebshändler nach Deutschland und Österreich einzuführen, dort zu verkaufen und zu vertreiben. Als Gegenleistung für die Einräumung des Rechts zum Alleinvertrieb in Österreich verpflichtete sich 5th Avenue, vier Jahre lang an Habanos einen jährlichen, als „compensation“ („Ausgleich“) bezeichneten Betrag in Höhe von 25 % des aus den Zigarrenverkäufen in diesem Mitgliedstaat erzielten Jahresumsatzes zu zahlen.

Für die Einfuhr der Zigarren nutzte 5th Avenue ein ihr bewilligtes Zolllager an ihrem Sitz in Deutschland. Zum Zeitpunkt der Einlagerung der Waren meldete 5th Avenue den tatsächlich bezahlten Kaufpreis sowie Fracht und Versicherung bei den Zollbehörden an, allerdings ohne Einbeziehung der gemäß der EDA geschuldeten Ausgleichszahlung. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie nämlich noch nicht festgelegt, zu welchem Anteil diese Waren in Österreich und zu welchem sie in Deutschland verkauft werden sollten. Die Überführung der Zigarren in den zollrechtlich freien Verkehr erfolgte bei Entnahme aus dem Zolllager durch die vereinfachte Beendigung des Verfahrens durch Anschreibung in der Buchführung und ohne erneute Gestellung.

Im Rahmen einer vom HZA Singen durchgeführten Zollprüfung wurde die Auffassung vertreten, dass es sich bei der nach der EDA vorgesehenen Ausgleichszahlung um einen abgespaltenen Kaufpreisbestandteil handele, der nach Art. 29 Abs. 3 Buchst. a ZK bei der Ermittlung des Zollwerts dieser Waren zu berücksichtigen sei. Ggf. könnten die Zahlungen auch als Lizenzzahlungen i. S. v. Art. 32 Abs. 5 ZK betrachtet werden. In jedem Fall müssten sie bei der Zollwertermittlung als Hinzurechnung berücksichtigt werden. Aufgrund dessen erlies das HZA Einfuhrabgabenbescheide für die betreffenden Zeiträume und erhob für die jeweiligen Waren, die 5th Avenue zum Zolllagerverfahren angemeldet hatte, Einfuhrzoll nach.

5th Avenue ist hingegen der Auffassung, dass die für die Einräumung des Alleinvertriebsrechts geleisteten Ausgleichszahlungen weder eine Bedingung des Kaufgeschäfts i. S. v. Art. 32 Abs. 5 Buchst. b ZK und Art. 157 Abs. 2 ZK-DVO seien, noch sich im Sinne der zweitgenannten Bestimmung auf die zu bewertende Ware bezögen. Zum einen weise die Ausgleichszahlung keine derartige Bedeutung auf, dass der Verkäufer ohne deren Zahlung den Verkauf nicht vorgenommen hätte. Die Ausgleichszahlung sei nämlich allein als Gegenleistung für das Alleinvertriebsrecht für Österreich und ausschließlich für den Zeitraum der ersten vier Jahre zu zahlen gewesen. Zum anderen ginge das Alleinvertriebsrecht über die Verfügungsgewalt an den Waren im Hinblick auf ihren Weiterverkauf hinaus und wirke sich auf den Wert der Waren bei der Einfuhr nicht aus. Der Verkauf der Waren sei ohne die Einräumung eines Alleinvertriebsrechts nämlich rechtlich nicht ausgeschlossen.

Im Rahmen des Rechtsstreits legte das FG Baden-Württemberg dem EuGH sodann u. a. die Frage vor, ob es sich bei Zahlungen, die der Käufer einer Ware zusätzlich zum Kaufpreis abhängig von seinen Umsatzerlösen vier Jahre lang einmal jährlich dafür entrichtet, dass er die Ware in einem bestimmten Gebiet, erstmals überhaupt, exklusiv und dauerhaft veräußern darf, um Lizenzgebühren i. S. d. Art. 32 Abs. 1 Buchst. c ZK handelt, die dem für die eingeführten Waren tatsächlich gezahlten oder zu zahlenden Preis nach Art. 32 Abs. 5 Buchst. b ZK i. V. m. Art. 157 Abs. 2 ZK-DVO hinzuzurechnen sind.

II. Urteil des EuGH

Zunächst verweist der EuGH auf seine ständige Rechtsprechung zum Zollwertrecht, aus der hervorgeht, dass mit der Zollwertregelung ein gerechtes, einheitliches und neutrales System geschaffen werden soll, das die Anwendung willkürlicher oder fiktiver Zollwerte ausschließt. Der Zollwert muss somit den tatsächlichen wirtschaftlichen Wert einer eingeführten Ware widerspiegeln und folglich alle Elemente dieser Ware, die einen wirtschaftlichen Wert haben, berücksichtigen. (Urt. v. 20.06.2019, Oribalt Rīga, C‑1/18, EU:C:2019:519, Rn. 22 und 23 sowie die dort angeführte Rechtsprechung). Um dieses Ziel zu erreichen, ist der Zollwert eingeführter Waren vorrangig auf der Grundlage des Transaktionswertmethode zu ermitteln, d. h. durch den für die Waren bei einem Verkauf zur Ausfuhr in das Zollgebiet der Union tatsächlich gezahlten oder zu zahlenden Preis, vorbehaltlich jedoch der gem. Art. 32 ZK ggf. vorzunehmenden Berichtigungen, sofern dies erforderlich ist, um die Ermittlung eines willkürlichen oder fiktiven Zollwerts zu verhindern (vgl. u. a. Urt. v. 20.12.2017, Hamamatsu Photonics Deutschland, C‑529/16, EU:C:2017:984, Rn. 25 und 26 mit weiteren Nachweisen).

Der Gerichtshof kommt zunächst zu dem Ergebnis, dass im vorliegenden Fall die vom angenommenen Art. 32 Abs. 1 Buchst. c und Abs. 5 Buchst. b ZK sowie Art. 157 Abs. 2 ZK-DVO nicht anwendbar sind und somit keine Hinzurechnungen nach diesen Vorschriften erfolgen dürfen, da zwischen den Vertragsparteien keine Lizenzzahlungen erfolgt sind. Der Begriff der „Lizenzgebühr“ bezieht sich nach Auffassung des Gerichtshofs ausschließlich auf Zahlungen, die ein Käufer für die Nutzung von Rechten des geistigen Eigentums an einen Verkäufer leistet. Bereits aus dem Wortlaut von Art. 157 Abs. 1 ZK-DVO ergibt sich, dass sich dieser Begriff auf zu leistende Zahlungen für die Nutzung von Rechten im Zusammenhang mit der Herstellung der Waren bezieht (vgl. in diesem Sinne Urt. v. 09.03.2017, GE Healthcare, C‑173/15, EU:C:2017:195, Rn. 33). Die im vorliegenden Fall geleisteten Zahlungen seien jedoch nicht als Gegenleistung für die Gewährung von Rechten des geistigen Eigentums erfolgt, sondern als Gegenleistung für die Einräumung eines Alleinvertriebsrechts.

Der Gerichtshof prüft sodann die durch ihn umformulierte Vorlagefrage, ob eine Zahlung, wie sie zwischen 5th Avenue und Habanos SA erfolgte, als Bestandteil des tatsächlich gezahlten oder zu zahlenden Preises in Anwendung von Art. 29 Abs. 1, und 3 Buchst. a ZK und damit als Teil des Zollwerts der Waren zu sehen ist. Gem. Art. 29 Abs. 3 Bucht. a ZK entspricht dieser Preis der vollständigen Zahlung, die der Käufer an den Verkäufer für die eingeführten Waren entrichtet oder zu entrichten hat sowie allen zwischen ihnen als „Bedingung für das Kaufgeschäft“ über die Waren entrichteten Zahlungen. Insoweit sind Zahlungen in den Transaktionswert einzubeziehen, was sich ebenfalls aus dem Umkehrschluss aus Art. 32 Abs. 5 Buchst. b ZK ergibt.

Der Gerichtshof stellt fest, dass das Zollrecht zwar keine Bestimmung, die eine Definition des Begriffs „Bedingung für das Kaufgeschäft“ festlegt, enthält. Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt sich jedoch, dass die Begriffe in Art. 29 ZK weit auszulegen sind, um den Vorrang der Transaktionswertmethode zu bewahren (vgl. in diesem Sinne Urt. v. 12.12.2013, Christodoulou u. a., C‑116/12, EU:C:2013:825, Rn. 45). Entschieden hat der Gerichtshof in diesem Zusammenhang bereits, dass eine Zahlung eine solche „Bedingung des Kaufgeschäfts“ über die zu bewertenden Waren darstellt, wenn im Rahmen der vertraglichen Beziehungen zwischen dem Verkäufer oder der mit ihm verbundenen Person und dem Käufer diese Zahlung für den Verkäufer eine derartige Bedeutung aufweist, dass er ohne sie den Verkauf nicht vornähme (Urt. v. 09.03.2017, GE Healthcare, C‑173/15, EU:C:2017:195, Rn. 60).

Für den vorliegenden Fall kommt der Gerichtshof daher zu dem Ergebnis, dass die Zahlung als „Bedingung des Kaufgeschäfts“ über die eingeführten Waren i. S. v. Art. 29 Abs. 3 Buchst. a ZK anzusehen ist, da sie vom Verkäufer als Bedingung für den Alleinvertrieb dieser Waren in dem betreffenden Gebiet verlangt wird. Insbesondere betont der Gerichtshof, dass der Verkäufer der Waren, der vorliegend auch Begünstigter der in Rede stehenden Zahlung ist, die Waren ohne diese Zahlung nicht für ihren Alleinvertrieb im österreichischen Gebiet geliefert hätte, sodass die Zahlung als Teil der Bedingungen des Kaufgeschäfts über die Waren anzusehen ist.

Der Umstand, dass die Zahlung im Rahmenvertrag über den Alleinvertrieb und nicht in jedem späteren Einzelkaufvertrag über die betreffenden Waren verlangt wird, ist unerheblich, da durch die Bedingungen des Rahmenvertrags festgelegt wird, zu welchen Bedingungen jedes einzelne Kaufgeschäft zu erfolgen hat. Ebenso ist es ohne Belang, dass die Zahlung nur für einen begrenzten Zeitraum zu erbringen ist, da der Ausgangsrechtsstreit genau die Ermittlung des Zollwerts der betreffenden Waren während dieses Anfangszeitraums betrifft, in dem der Verkäufer eine solche Zahlung für den Alleinvertrieb seiner Waren tatsächlich verlangt hat.

Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 29 Abs. 1 und Abs. 3 Buchst. a ZK dahin auszulegen ist, dass eine vom Käufer eingeführter Waren für einen begrenzten Zeitraum an den Verkäufer dieser Waren als Gegenleistung für die Einräumung des Rechts zum Alleinvertrieb der Waren in einem bestimmten Gebiet erbrachte Zahlung, die sich nach dem in diesem Gebiet erzielten Umsatz berechnet, in den Zollwert dieser Waren einzubeziehen ist.

III. Übertragbarkeit auf den UZK und Bedeutung für die Praxis

Betrachtet man die wesentlichen Entscheidungspunkte des EuGH zum vorliegenden Fall, gelangt man u. E. zu dem Ergebnis, dass sich diese auch auf die Rechtslage im UZK übertragen lassen, sodass die Entscheidung auch in der aktuellen zollwertrechtlichen Praxis von Bedeutung ist. Insbes. in Fällen, ähnlich denen des Ausgangsverfahrens, bei denen es um Zahlungen für etwaige Alleinvertriebsrechte von Waren geht, könnte dieses Urteil im Rahmen der Zollwertermittlung praktische Relevanz entfalten. Eine als Gegenleistung für die Einräumung eines Alleinvertriebsrechts in einem bestimmten Gebiet und für einen bestimmten Zeitraum geleistete Zahlung ist in diesen Fällen bei der Ermittlung des Zollwertes von Waren zu berücksichtigen.

Der EuGH hat in seiner Entscheidung erneut die objektive Ermittlung des Zollwertes betont. Anders als das FG Baden-Württemberg hat der Gerichtshof die geleisteten Zahlungen jedoch nicht als Lizenzzahlungen qualifiziert. Der Gerichtshof hat bereits den Anwendungsbereich der in der Vorlagefrage genannten Normen verneint und diese umformuliert. Hierzu ist er insbesondere auch berechtigt. Denn im Rahmen des durch Art. 267 AEUV eingeführten Verfahrens der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof kommt diesem die Aufgabe zu, dem nationalen Gericht eine für die Entscheidung des bei diesem anhängigen Verfahrens sachdienliche Antwort zu geben. Der Gerichtshof hat dabei die ihm vorgelegten Fragen gegebenenfalls umzuformulieren (vgl. Urt. v. 12.03.2020, Caisse d’assurance retraite et de la santé au travail d’Alsace-Moselle, C‑769/18, EU:C:2020:203, Rn. 39).

Der Gerichtshof sieht die in Frage stehenden Zahlungen als Bedingung des Kaufgeschäfts i. S. v. Art. 70 Abs. 1, 2 UZK i. V. m. Art. 129 Abs. 1 UZK-DVO an. Art. 72 Buchst. g UZK findet damit keine Anwendung. Hiervon war auch das FG bereits ausgegangen. Dies lässt die Schlussfolgerung zu, dass Habanos die für den Vertrieb in Österreich bestimmten Waren ohne die Ausgleichszahlung nicht oder jedenfalls nicht zu den gleichen Vertragsbedingungen wie den vereinbarten geliefert hätte.

Als wichtig ist ebenfalls der deutliche Hinweis des EuGH anzusehen, dass weder der Umstand, dass die Zahlung im Rahmenvertrag über den Alleinvertrieb und nicht in jedem späteren Einzelkaufvertrag über die betreffenden Waren verlangt wird, noch dass die Zahlung nur für einen begrenzten Zeitraum zu erbringen ist von Bedeutung für die Kaufpreisbedingung war.

Ob die jeweiligen Voraussetzungen einer Bedingung des Kaufgeschäftes im konkreten Fall erfüllt sind und Zahlungen für Alleinvertriebsrechte dem Transaktionswert hinzuzurechnen sind, um den tatsächlichen Wert der Waren widerzuspiegeln, muss dabei jeweils im konkreten Einzelfall betrachtet werden.

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