Anmerkung zum Brexit-Austrittsabkommen

Praxisproblem

Am 29.03.2017 hatte das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland (VK) seine Absicht mitgeteilt, gem. Art. 50 EUV aus der Union auszutreten. Gem. Art. 50 Abs. 3 EUV finden die Verträge auf das VK ab dem Tag des Inkrafttretens eines Austrittsabkommens oder andernfalls zwei Jahre nach der Mitteilung keine Anwendung mehr, es sei denn, der Europäische Rat beschließt im Einvernehmen mit dem VK einstimmig, diese Frist zu verlängern. Nachdem der Europäische Rat am 22.03.2019 einer ersten Verlängerung und am 11.04.2019 einer zweiten Verlängerung zugestimmt hatte, hatte er am 29.10.2019 den Beschluss (EU) 2019/1810 (ABl. EU 2019 Nr. L 278I S.1) erlassen, in dem er sich auf einen weiteren Antrag des VK hin bereit erklärte, den in Art. 50 Abs. 3 EUV vorgesehenen Zeitraum bis zum 31.0.2020 zu verlängern.

Entscheidung

Die Europäische Union hat gem. Art. 50 EUV mit dem VK ein Abkommen über die Einzelheiten des Austritts ausgehandelt, wobei der Rahmen für die künftigen Beziehungen dieses Staates zur Union berücksichtigt wurde (Austrittsabkommen). Am 11.01.2019 erließ der Rat den Beschluss (EU) 2019/274 über die Unterzeichnung des Austrittsabkommens (ABl. EU 2019 Nr. L 47I S. 1). Nach weiteren Verhandlungen zwischen den Verhandlungsführern der Union und des VK im September und Oktober 2019 wurde Einvernehmen über eine überarbeitete Fassung des Austrittsabkommens erzielt, die am 17.10.2019 vom Europäischen Rat gebilligt wurde. Am 21.10.2019 erließ der Rat den Beschluss (EU) 2019/1750 über die Unterzeichnung des überarbeiteten Austrittsabkommens (ABl. EU Nr. L 274I S.1).

Der Rat hat mit Beschluss (EU) 2020/135 v. 30.01.2020 (ABl. EU 2020 Nr. L 29 S. 1; das Austrittsabkommen ist diesem Ratsbeschluss nochmals im Wortlaut beigefügt,ABl. EU 2020 Nr. L 29 S.7), das Austrittsabkommen aus der EU und der Europäischen Atomgemeinschaft im Namen der Union und der Europäischen Atomgemeinschaft genehmigt und weitere institutionelle Regelungen, z. B. zu den Modalitäten der Vertretung der Union in dem Gemeinsamen Ausschuss und in den Fachausschüssen, die durch das Abkommen eingesetzt werden, getroffen.

Nach der Mitteilung über das Inkrafttreten des Abkommens über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirlands aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft (ABl. EU 2020 Nr. L 29 S. 189) ist das Austrittsabkommen gem. seinem Art. 185 Abs. 1 am 01.02.2020 in Kraft getreten.

Am Tag des Inkrafttretens des Abkommens (01.01.2020) endet automatisch die Amtszeit der im Zusammenhang mit der Mitgliedschaft des VK in der Union benannten, ernannten oder gewählten Mitglieder der Organe, Einrichtungen und Agenturen der Union. Somit gibt es ab dem 01.02.2020 z. B. keinen britischen EuGH-Richter oder Generalanwalt (und auch keine Abgeordneten im EU-Parlament) mehr.

Praxishinweis

Art. 2 Buchst. a des Austrittsabkommens (Begriffsbestimmungen) fasst unter den Begriff des Unionsrechts neben dem EUV, dem AEUV und dem Euratom-Vertrag u. a. auch die von den Organen, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union erlassenen Rechtsakte, wozu auch das Unionsrecht auf dem Gebiet der MwSt, wie z. B. die MwStSystRL und die Rechtsverordnungen bzgl. der MwSt gehören. Als „Übergangszeitraum“ gilt nach Art. 2 Buchst. e des Abkommens der in Art. 126 des Abkommens vorgesehene Zeitraum. Art. 126 des Abkommens regelt, dass es „einen Übergangs- oder Durchführungszeitraum (gibt), der am Tag des Inkrafttretens dieses Abkommens beginnt und am 31.12.2020 endet“. Der Übergangszeitraum soll dazu genutzt werden, den Rahmen für künftige Beziehungen zwischen VK und der EU festzulegen. Eines der möglichen Szenarien ist der Abschluss eines Freihandelsabkommens (FTA), welches beiden Parteien den Zugang zum Markt der jeweils anderen Partei ermöglicht, indem die (meisten) Zölle und Einfuhrquoten schrittweise abgeschafft werden.

Nach Art. 127 Abs. 1 des Abkommens gilt, sofern in dem Abkommen nichts anderes bestimmt ist, das Unionsrecht während des Übergangszeitraums für das VK sowie im VK. Für den Bereich des Zollrechts und des MwSt-Rechts sind bis auf spezifische Übergangsregelungen keine abweichenden Regelungen festgelegt worden, so dass ab dem 01.02.2020 bis 31.12.2020 die mehrwertsteuerliche Rechtssituation mit Bezug auf das VK unverändert bleibt.

So sind insbes. innergemeinschaftliche Lieferungen von und nach dem VK genauso zu behandeln wie bisher auch.

Das Austrittsabkommen sieht somit einen sich direkt anschließenden Übergangszeitraum bis zum 31.12.2020 vor, in dem das Unionsrecht für das VK u. a. im Bereich der MwSt weiterhin gelten soll. Daher sind sowohl die Vorschriften zur Mehrwertbesteuerung des innergemeinschaftlichen Waren- und Dienstleistungsverkehrs als auch zur Verwaltungszusammenarbeit auf diesem Gebiet auf Sachverhalte mit Bezug zum VK vorläufig weiter anzuwenden. Auch gehört das VK bis zum Ende des Übergangszeitraums zum Zollgebiet der Union.

Art. 51 des Abkommens enthält spezifische Übergangsregelungen für den Bereich der MwSt. Nach Art. 51 Abs. 1 findet die MwStSystRL Anwendung auf Waren, die aus dem Hoheitsgebiet des VK in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats oder umgekehrt versandt oder befördert werden, sofern die Versendung oder Beförderung vor dem Ablauf des Übergangszeitraums beginnt und nach seinem Ablauf endet.

Nach Art. 51 Abs. 2 des Abkommens findet die MwStSystRL noch fünf Jahre nach Ende des Übergangszeitraums Anwendung auf die Rechte und Pflichten von steuerpflichtigen Personen in Bezug auf vor Ende des Übergangszeitraums erfolgte Umsätze mit einem grenzüberschreitenden Element zwischen dem VK und einem Mitgliedstaat sowie in Bezug auf die unter Art. 51 Abs. 1 des Abkommens fallenden Umsätze.

Nach Art. 51 Abs. 3 des Abkommens sind abweichend von Art. 51 Abs. 2 des Abkommens und abweichend von Art. 15 der RL 2008/9/EG (RL 2008/9/EG des Rates v. 12.02.2008 zur Regelung der Erstattung der MwSt gem. der RL 2006/112/EG an nicht im Mitgliedstaat der Erstattung, sondern in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Steuerpflichtige, ABl. EU 2008 Nr. L 44 S. 23; die RL regelt das Vorsteuervergütungsverfahren mit Bezug auf EU-Unternehmer) Anträge auf Rückerstattung von MwSt, die von einer im VK ansässigen steuerpflichtigen Person in einem Mitgliedstaat oder von einer in einem Mitgliedstaat ansässigen steuerpflichtigen Person im VK gezahlt wurde, nach den Bedingungen der RL 2008/9/EG spätestens am 31.03.2021 zu stellen. D. h. die Ausschlussfrist für den Antrag auf Vorsteuer-Vergütung betreffend Umsätze, die im Übergangszeitraum erbracht wurden, endet bereits am 31.03.2021 und nicht wie regulär am 30.09.2021.

Nach Art. 51 Abs. 4 des Abkommens sind abweichend von Art. 51 Abs. 2 des Abkommens und abweichend von Art. 61 Abs. 2 der MwStSystRL-DVO (ABl. EU 2011 Nr. L 77 S. 1) Änderungen von MwSt-Erklärungen, die vor dem Ablauf des Übergangszeitraums entweder im VK in Bezug auf in Mitgliedstaaten des Verbrauchs erbrachte Dienstleistungen oder in einem Mitgliedstaat in Bezug auf im VK erbrachte Dienstleistungen gem. Art. 364 oder Art. 369f MwStSystRL abgegeben wurden, spätestens bis zum 31.12.2021 zu beantragen. Diese Regelung betrifft die Berichtigung von MwSt-Zahlungen bzgl. der Umsätze von Drittlands- und EU-Unternehmern an private Endverbraucher in einem anderen Mitgliedstaat, die über den sog. One-Stop-Shop (OSS) über ein Internet-Portal im Identifizierungsstaat des leistenden Unternehmers erklärt werden. Nach Art. 61 Abs. 2 MwStSystRL-DVO sind die Änderungen der in einer MwSt-Erklärung enthaltenen Zahlen grds. innerhalb von drei Jahren ab dem Tag, an dem die ursprüngliche MwSt-Erklärung abzugeben war, auf elektronischem Weg beim Mitgliedstaat der Identifizierung abzugeben. Diese Frist ist für vor dem Ablauf des Übergangszeitraums erbrachte Umsätze auf den 31.12.2021 verkürzt worden.

Art. 47 bis 49 des Abkommens enthalten spezifische Übergangsregelungen im Bereich des Zolls. So findet z. B. nach Art. 47 Abs. 1 des Abkommens der Zollkodex (Verordnung (EU) Nr. 952/2013 v. 09.10.2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union, ABl. EU 2013 Nr. L 269 S. 1) Anwendung auf die in Art. 5 Nr. 23 ZK genannten Unionswaren, wenn diese Waren aus dem Zollgebiet des VK in das Zollgebiet der Union oder umgekehrt befördert werden, sofern die Beförderung vor dem Ablauf des Übergangszeitraums begonnen und nach seinem Ablauf geendet hat. Eine Beförderung von Waren, die vor dem Ablauf des Übergangszeitraums begonnen und nach seinem Ablauf geendet hat, wird in Bezug auf die Anforderungen der Einfuhr- und Ausfuhrgenehmigungen und -lizenzen im Unionsrecht wie eine Beförderung innerhalb der Union behandelt.

Nach Art. 49 Abs. 1 des Abkommens findet der Zollkodex Anwendung auf Nicht-Unionswaren, die sich am Ende des Übergangszeitraums in der in Art. 5 Nr. 17 ZK genannten vorübergehenden Verwahrung befinden, sowie für Waren, die sich am Ende des Übergangszeitraums in einem der in Art. 5 Nr. 16 ZK genannten Zollverfahren im Zollgebiet des VK befinden, und zwar bis diese vorübergehende Verwahrung beendet ist, bis eines der speziellen Zollverfahren erledigt ist, bis die Waren in den freien Verkehr überführt werden oder bis die Waren das Zollgebiet verlassen, sofern dies nach dem Ablauf des Übergangszeitraums, jedoch noch vor Ablauf der entsprechenden, in Anhang III des Abkommens genannten Frist geschieht.

 

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