Einfuhrumsatzsteuer – Erneute Vorlage an den EuGH

Anmerkung zu dem beim EuGH anhängigen Verfahren C-7/20

Praxisproblem

Bei dem Vorabentscheidungsersuchen des FG Düsseldorf v. 11.12.2019, 4 K 473/19 Z,EU, geht es um die Auslegung der Art. 30, 60 und 71 Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL, den Vorschriften zur umsatzsteuerlichen Einfuhr in der MwStSystRL. Streitig ist, ob eine abgabenpflichtige Einfuhr einer Ware (hier Pkw) vorliegt, wenn die Ware vorschriftswidrig in das Zollgebiet der EU eingeführt wird.

Das FG fragt den EuGH: Ist Art. 71 Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL dahin auszulegen, dass die Vorschrift des Art. 87 Abs. 4 der VO (EU) Nr. 952/2013 v. 09.10.2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union auf die Entstehung der MwSt (EUSt) entsprechend anzuwenden ist?

Sachverhalt

Der Kläger hat seinen Wohnsitz in Deutschland. Er verbrachte im Oktober 2017 seinen Pkw mit amtl. türkischen Kennzeichen aus der Türkei über Bulgarien, Serbien, Ungarn und Österreich nach Deutschland, ohne den Pkw zu einer Einfuhrzollstelle zu befördern und zu gestellen. Die Einfuhr des Pkw wurde im Rahmen einer Polizeikontrolle am 26.02.2018 in Deutschland festgestellt. Im März 2018 überführte er den Pkw wieder in die Türkei und verkaufte ihn dort. Das HZA setzte Einfuhrzoll und EUSt gegen den Kläger fest. Es vertrat die Auffassung, der Kläger habe den Pkw vorschriftswidrig in das Zollgebiet der EU eingeführt.

Der Kläger ist der Auffassung, es liege keine abgabenpflichtige Einfuhr vor, weil er den Pkw für einen kurzen Zeitraum ausschl. als Transportmittel für rein private Fahrten genutzt habe. Er habe den Pkw konkludent in das Zollverfahren der vorübergehenden Verwendung überführt. Das HZA ist dagegen der Auffassung, die Einfuhrzollschuld sei gem. Art. 79 Abs. 1 Buchst. a der VO (EU) Nr. 952/2013 entstanden und es sei gem. Art. 87 Abs. 4 UZK für die Festsetzung der Einfuhrabgaben zuständig gewesen. Gem. § 21 Abs. 2 UStG seien diese Vorschriften entsprechend auf die Entstehung der EUSt (MwSt) anzuwenden.

Die Vorlagefrage zielt mithin auf die Zuständigkeit der deutschen Zollverwaltung für die Festsetzung der Einfuhrabgaben ab. Art 87 Abs. 4 UZK bestimmt den Ort des Entstehens der Zollschuld. Nach Art. 87 Abs. 4 UZK wird bestimmtn dass sofern die Zollbehörden feststellen, dass eine Zollschuld nach Artikel 79 oder 82 in einem anderen Mitgliedstaat entstanden ist und der dieser Schuld entsprechende Einfuhr- oder Ausfuhrabgabenbetrag weniger als 10.000 EUR beträgt, die Zollschuld als in dem Mitgliedstaat entstanden gilt, in dem ihre Entstehung festgestellt wurde. Fraglich ist, ob diese Regelung auch für die Einfuhrumsatzsteuer nach der MwStSystRL gilt.

Praxishinweis

Für das FG ist fraglich, ob die Regelung des Art. 87 Abs. 4 UZK entsprechend auf die EUSt angewandt werden kann. Der Kläger habe seine zollrechtl. Verpflichtungen bei der Einfuhr des Pkw in das Zollgebiet der Union, namentlich die Verpflichtung zur Beförderung der Waren zur Zollstelle (Art. 135 Abs. 1 UZK) und Gestellung (Art. 139 Abs. 1 UZK), nicht erfüllt. Infolgedessen sei gem. Art. 79 Abs. 1 Buchst. a UZK eine Einfuhrzollschuld entstanden. Der Kläger sei gem. Art. 79 Abs. 3 Buchst. a UZK Zollschuldner.

Eine konkludente Anmeldung des Pkw zur vorübergehenden Verwendung durch Passieren der Zollstelle gem. Art. 141 Abs. 1 Buchst. b der Delegierten VO (EU) 2015/2446 v. 28.07.2015 (UZK-DelVO, ABl. L 343, 1), aufgrund derer der Pkw gem. Art. 218 Buchst. a der VO (EU) 2015/2447 v. 24.11.2015 (UZK-DVO, ABl. L 343, 558) als verbracht und gestellt gelten würde, sei nicht erfolgt. Denn gem. Art. 219 UZK-DVO gelte die Erklärung (Zollanmeldung) als nicht abgegeben, wenn die verbrachte Ware nicht die Voraussetzungen der Art. 138, 139 und 140 UZK-DelVO erfüllt. Gem. Art. 139 Abs. 1 i. V. m. Art. 136 Abs. 1 Buchst. a UZK-DelVO können Zollanmeldungen zur vorübergehenden Verwendung (u. a.) für Beförderungsmittel gem. Art. 208-212 UZK-DelVO abgegeben werden. Gem. Art. 250 Abs. 2 Buchst. d UZK i. V. m. Art. 212 Abs. 3 Buchst. a UZK-DelVO wird die vollständige Befreiung von den Einfuhrabgaben im Falle der vorübergehenden Verwendung von Beförderungsmitteln nur gewährt, wenn die Beförderungsmittel außerhalb des Zollgebiets der Union auf den Namen einer außerhalb dieses Gebiets ansässigen Person zugelassen sind. Der Antragsteller sei demgegenüber im Zollgebiet der Union ansässig, da er seinen Wohnsitz in Deutschland habe (vgl. Art. 5 Nr. 31 Buchst. a UZK).

Nach Art. 87 Abs. 4 UZK galt die Zollschuld als in Deutschland entstanden, weil die Zollbehörden in Deutschland festgestellt hatten, dass die Zollschuld gem. Art. 79 UZK in einem anderen Mitgliedstaat, nämlich in Bulgarien, entstanden war und der dieser Schuld entsprechende Abgabenbetrag weniger als 10.000 EUR betrug.

Klärungsbedürftig für das FG ist, ob in entsprechender Anwendung der Regelung des Art. 87 Abs. 4 UZK auch die MwSt als in Deutschland entstanden galt. Gem. Art. 2 Abs. 1 Buchst. d MwStSystRL unterliegt die Einfuhr von Gegenständen der MwSt. Als Einfuhr eines Gegenstandes gilt gem. Art. 30 Abs. 1 MwStSystRL die Verbringung eines Gegenstands, der sich nicht im freien Verkehr befindet, in die Gemeinschaft.

Nach Art. 60 MwStSystRL erfolgt die Einfuhr in dem Mitgliedstaat, in dessen Gebiet sich der Gegenstand zu dem Zeitpunkt befindet, in dem er in die Union verbracht wird. Abweichend davon erfolgt gem. Art. 61 Unterabs. 1 MwStSystRL die Einfuhr bei einem Gegenstand, der sich nicht im freien Verkehr befindet und der vom Zeitpunkt seiner Verbringung in die Union einem Verfahren oder einer sonstigen Regelung i. S. d. Art. 156 MwStSystRL, der Regelung der vorübergehenden Verwendung bei vollständiger Befreiung von Einfuhrabgaben oder dem externen Versandverfahren unterliegt, in dem Mitgliedstaat, in dessen Gebiet der Gegenstand nicht mehr diesem Verfahren oder der sonstigen Regelung unterliegt.

Gem. Art. 70 MwStSystRL treten Steuertatbestand und Steueranspruch zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Einfuhr erfolgt. Wenn die eingeführten Gegenstände Zöllen unterliegen, treten nach Art. 71 Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL Steuertatbestand und Steueranspruch zu dem Zeitpunkt ein, zu dem Tatbestand und Anspruch für diese Abgaben entstehen.

Gem. § 1 Nr. 4 UStG unterliegt die Einfuhr von Gegenständen im Inland oder in den österreichischen Gebieten Jungholz und Mittelberg der EUSt. Nach § 21 Abs. 2 UStG gelten für die EUSt die Vorschriften für Zölle – mit bestimmten, im vorliegenden Verfahren nicht streiterheblichen Ausnahmen – sinngemäß.

Nach Auffassung des FG könnte § 21 Abs. 2 UStG i. V. m. Art. 79 Abs. 1 Buchst. a UZK i. d. S. ausgelegt werden, dass die Einfuhrumsatzsteuerschuld wie die Einfuhrzollschuld als in Deutschland entstanden gilt, wenn – wie im Streitfall – die Voraussetzungen des Art. 87 Abs. 4 UZK auch in Bezug auf die EUSt erfüllt sind.

Grds. seien die Voraussetzungen für die Entstehung einer Mehrwertsteuerschuld erfüllt: Zwar führt nach der Rechtsprechung des EuGH zu Art. 30, 60 und 61 MwStSystRL nicht jeder Verstoß gegen zollrechtl. Verpflichtungen, der zur Entstehung der Zollschuld führt, zur Entstehung der Mehrwertsteuerschuld. Erforderlich ist vielmehr, dass aufgrund des Fehlverhaltens angenommen werden kann, dass der in das Gebiet der Union verbrachte Gegenstand in den Wirtschaftskreislauf der Union eingeht und damit einem Verbrauch, d. h. einem mit MwSt belasteten Vorgang, zugeführt werden kann (EuGH-Urt. v. 02.06.2016, C-226/14 u. C-228/14, Eurogate Distribution u. DHL Hub Leipzig, v. 01.06.2017, C-571/15 Wallenborn Transports, u. v. 10.07.2019, C-26/18, Federal Express). Unbeschadet der späteren Wiederausfuhr des Pkw aus dem Zollgebiet der Union sei der Pkw im Streitfall zunächst im Unionsgebiet mehrere Monate lang genutzt worden, somit in den Wirtschaftskreislauf der Union eingegangen und unterstand in dieser Zeit keinem Zollverfahren.

Für das FG kommt es daher darauf an, ob aufgrund der in § 21 Abs. 2 UStG vorgesehenen entsprechenden Anwendung der Zollvorschriften für die EUSt auch die MwSt für die Einfuhr gem. Art. 87 Abs. 4 UZK als in Deutschland entstanden galt, obwohl die Einfuhr in das Zollgebiet der Union in Bulgarien erfolgte. Könnte Art. 87 Abs. 4 UZK demgegenüber nicht entsprechend auf die MwSt angewandt werden, wäre die deutsche Zollverwaltung für die Festsetzung der MwSt nicht zuständig.

 

Ihre Ansprechpartner