Organkreis – Einbeziehung der Personengesellschaften – EuGH Vorlage

Anmerkung zu dem beim EuGH anhängigen Verfahren C-868/19

Praxisproblem

Die umsatzsteuerrechliche Organschaft und der Bestand bzw. Umfang des Organkreises ist für Unternehmen und Berater ein Dauerthema. Die Eingliederung von Personengesellschaften in den umsatzsteuerrechtlichen Organkreis ist trotz der inzwischen anerkannten Rechtsprechung und Verwaltungsanweisung nicht immer ohne Zweifel. Daher wird hoffentlich das Vorlageverfahren des FG Berlin-Brandenburg mehr Klarheit durch eine erneute Aussage des EuGH bringen.

Bei dem Vorabentscheidungsersuchen des FG Berlin-Brandenburg v. 21.11.2019, 5 K 5044/19, geht es um die Organschaft und zwar um die Frage einer möglichen finanziellen Eingliederung von Personengesellschaften, bei der neben dem Organträger nicht nur Personen Gesellschafter sind, die nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG in das Unternehmen des Organträgers finanziell eingegliedert sind. Das FG hat dem EuGH folgende Fragen vorgelegt:

  1. Ist Art. 11 Abs. 1 MwStSystRL dahingehend auszulegen, dass er der Regelung des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG entgegensteht, soweit durch diese einer Personengesellschaft (hier: einer GmbH & Co. KG), bei der Gesellschafter neben dem Organträger nicht nur Personen sind, die nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG in das Unternehmen des Organträgers finanziell eingegliedert sind, verwehrt ist, Organgesellschaft im Rahmen einer umsatzsteuerrechtlichen Organschaft zu sein?
  2. Sofern die Vorlagefrage zu 1. bejaht wird:

a. Ist Art. 11 Abs. 2 MwStSystRL – unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeits- und Neutralitätsgrundsatzes – dahingehend auszulegen, dass er einen Ausschluss von Personengesellschaften der in Vorlagefrage zu 1. genannten Art von einer umsatzsteuerrechtlichen Organschaft rechtfertigen kann, weil bei Personengesellschaften für den Abschluss und die Änderung von Gesellschaftsverträgen nach nationalem Recht kein Formzwang besteht und bei bloß mündlichen Vereinbarungen in Einzelfällen Nachweisschwierigkeiten für das Vorliegen der finanziellen Eingliederung der Organgesellschaft bestehen können?

b. Steht es einer Anwendung des Art. 11 Abs. 2 MwStSystRL entgegen, wenn der nationale Gesetzgeber die Absicht zur Vorbeugung von Steuerhinterziehungen oder -umgehungen nicht bereits bei Erlass der Maßnahme gefasst hat?

Sachverhalt

Die Klägerin ist Gesamtrechtsnachfolgerin einer GmbH & Co. KG (KG) als streitige Organgesellschaft. Gesellschafter der KG waren im streitigen Besteuerungszeitraum eine Komplementär-GmbH (A) sowie als Kommanditisten eine GbR (B), drei natürliche Personen sowie eine GmbH (C) als möglicher Organträger. Laut Gesellschaftsvertrag besaß jeder Gesellschafter, unabhängig von der Höhe der Pflichteinlagen, jeweils eine Stimme. Hiervon abweichend besaß die C sechs Stimmen. Beschlüsse der Gesellschaft wurden grds. mit einfacher Mehrheit gefasst. Hiervon ausgenommen waren Beschlüsse, über den Ausschluss und die Aufnahme von Gesellschaftern sowie über eine Änderung des Gesellschaftsvertrages. A und C handelten im Streitjahr durch denselben Geschäftsführer. Darüber hinaus bestanden umfangreiche Leistungsbeziehungen zwischen der KG und C. Die wirtschaftliche und die organisatorische Eingliederung wurden als unstrittig beurteilt.

Die KG war im Streitzeitraum weder eine juristische Person i. S. d. Organschaftsregelung des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG, noch eine einer juristischen Person gleichzustellende Personengesellschaft nach Sichtweise des BFH im o. g. Urt. v. 02.12.2015, V R 25/13. Die finanzielle Eingliederung erfordere, dass der Organträger seinen Willen durch Mehrheitsbeschlüsse in der Organgesellschaft durchsetzen könne. Das FG hält dies im gegenständlichen Sachverhalt für gegeben, da der Organträger die Stimmenmehrheit für Beschlussfassungen besessen (sechs von elf Stimmen) und damit seinen Willen habe durchsetzen können. Dass vereinzelte Beschlussfassungen über Fragen des Gesellschafterbestands sowie über Änderungen des Gesellschaftervertrages dem Einstimmigkeitsprinzip unterlagen, sei insoweit unerheblich. Entscheidend für die Beherrschungsmöglichkeit i. S. einer finanziellen Eingliederung sei allein, ob eine solche bei Entstehung der Steuer nach der aktuellen Fassung des Gesellschaftsvertrages und dem aktuellen Gesellschafterbestand gegeben ist, so dass es auf besondere Mehrheitsverhältnisse hinsichtl. dieser Fragen nicht ankommen könne.

Praxishinweis

Die Rechtsauffassung des FG steht im Widerspruch zum BFH-Urt.v. 02.12.2015, V R 25/13, sowie der darauf bezugnehmenden gegenwärtigen Verwaltungsauffassung nach Abschn. 2.8 Abs. 5a UStAE. Der BFH hält es in dem o. g. Urteil aus Gründen der Rechtssicherheit für sachlich gerechtfertigt, Personengesellschaften grds. nicht als Organgesellschaften zuzulassen. Könne aufgrund der Besonderheiten des nationalen Gesellschaftsrechts im Regelfall nur bei juristischen Personen mit der erforderlichen Klarheit und damit rechtssicher über die Eingliederungsvoraussetzungen entschieden werden, rechtfertige dies die grundsätzliche Einschränkung auf eine Eingliederung juristischer Personen. Die Rechtssicherheit sei dadurch beeinträchtigt, dass bei Personengesellschaften eine einfache und klare Feststellung der finanziellen Eingliederung grds. nicht möglich sei. Für Personengesellschaften gelte das Einstimmigkeitsprinzip (vgl. § 709 Abs. 1 BGB zur GbR, § 119 Abs. 1 HGB zur OHG, § 161 Abs. 2 HGB zur KG). Selbst wenn aufgrund abweichender Regelungen ein Gesellschafter Mehrheitsbeschlüsse durchsetzen könne, bestünden diesbezügl. Nachweisschwierigkeiten.

Aus den Entscheidungsgründen des EuGH in der Rs. Larentia + Minerva ist nach Auffassung des FG zu folgern, dass eine Einschränkung der tatbestandlichen Vorgaben des Art. 11 Abs. 1 MwStSystRL durch die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung in nationales Recht nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 11 Abs. 2 MwStSystRL oder insoweit zulässig ist, wie der EuGH den Mitgliedstaaten eine Präzisierungsbefugnis eingeräumt hat (wie es bei der Voraussetzung der engen Verbundenheit durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen der Fall ist, vgl. EuGH, Urt. v. 16.07.2015, C-108/14 und C-109/14, Larentia + Minerva). Hinsichtl. des personellen Anwendungsbereichs („Personen“) hat der EuGH nach Auffassung des FG den Mitgliedstaaten eine solche Präzisierungsbefugnis indes nicht eingeräumt. Hieraus ist nach Auffassung des FG zu folgern, dass eine Einschränkung des personellen Anwendungsbereichs des Art. 11 Abs. 1 MwStSystRL außer in den Fällen des Art. 11 Abs. 2 MwStSystRL schlechthin nicht möglich sei.

Zwischen den für Umsatzsteuerfragen zuständigen Senaten des BFH bestünden divergierende Rechtsauffassungen dazu, wie die Vorgaben des EuGH in der Rs. Larentia + Minerva in Bezug auf eine Beschränkung des personellen Anwendungsbereichs der Organschaft in nationales Recht umzusetzen sind. Der XI. Senat des BFH (vgl. Urt. v. 01.06.2016, XI R 17/11, BStBl. II 2017, 581) habe die Vorgaben des EuGH in der Rs. Larentia + Minerva (Leitsatz 2) für seine Entscheidung uneingeschränkt als bindend angesehen.

Mit einem EuGH-Urteil wird möglicherweise Klarheit in der bisher divergierenden Rechtsprechung des BFH geschaffen.

Das USt Team der AWB steht Ihnen bei der Prüfung, ob auch Ihr Organkreis bzw. Personengesellschaften im Unternehmensverbund betroffen sein könnten gern beratend zur Verfügung.

 

 

 

 

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