Vorsteuerabzugsrecht bei nicht rechtzeitigem Ausüben des Zuordnungswahlrechts

Anmerkung zu: EuGH–Vorlageverfahren C-45/20 und 46/20 aufgrund Vorabentscheidungsersuchen des BFH v. 18.09.2019, XI R 3/19 und XI R 7/19

Praxisproblem

Bei dem Vorabentscheidungsersuchen des BFH v. 18.09.2019, XI R 3/19, EuGH-Rs. C-45/20, geht es um die Frage, ob ein Unternehmer VSt für ein Büro in einem ansonsten nicht unternehmerisch genutzten Gebäude geltend machen kann, wenn die in Abschn. 15.2c Abs. 15 Satz 5, Abs. 18 Satz 5 bzw. Abs. 19 Satz 1 UStAE normierte Ausschlussfrist für die Dokumentation der Zuordnungsentscheidung bei bestehendem Zuordnungswahlrecht überschritten wurde.

Bei dem Vorabentscheidungsersuchen des BFH v. 18.09.2019, XI R 7/19, EuGH-Rs. C-46/20, geht es um die gleiche Frage, hier um den Vorsteuerabzug aus der Errichtung einer Photovoltaikanlage.

Sachverhalt

In der Sache C-45/20 betreibt der Kläger als Einzelunternehmer einen Gerüstbaubetrieb. Im Jahr 2014 plante er die Errichtung eines Einfamilienhauses, in dem laut Grundriss im EG ein 16,57 m² großes Zimmer „Arbeiten“ errichtet werden sollte. In der im September 2016 eingegangenen USt-Jahreserklärung, nicht aber in den zuvor eingereichten Voranmeldungen, machte der Kläger für dieses Zimmer „Arbeiten“ anteilig VSt geltend. Nachdem das FA den anteiligen Vorsteuerabzug für das Zimmer versagt hatte, wandte sich der Kläger nach erfolglosem Einspruch im Klageweg gegen die Festsetzung. Er machte geltend, dass die in der Bauzeichnung vorgenommene Eintragung des Wortes „Arbeiten“ nichts anderes bedeuten könne als die Bestimmung dieses Raumes als das Büro des Unternehmens. Außerdem werde Abschn. 15.2c Abs. 16 UStAE bei der Anwendung des UStG seitens der Verwaltung eine Verbindlichkeit zugeschrieben, die der einer gesetzl. Vorschrift gleichkomme. Das Versagen des Vorsteueranspruchs bedeute die Versagung eines Rechts und eine Einengung des gesetzl. vorgeschriebenen Anwendungsrahmens, welche einer Korrektur bedürfe. Das Sächsische FG wies die Klage im ersten Rechtszug ab (Urt. v. 19.03.2018, 5 K 249/18).

In der Sache C-46/20 geht es um den Vorsteuerabzug aus der Errichtung einer Photovoltaikanlage. Der Kläger erwarb im Jahr 2014 (Streitjahr) eine Photovoltaikanlage. Den erzeugten Strom verbrauchte er teilweise selbst, teilweise speiste er ihn in ein Stromnetz bei einem Energieversorger ein. Der Einspeisevertrag wurde im Streitjahr abgeschlossen und sah eine Vergütung zzgl. USt vor. Der Kläger machte aus der Lieferung und Installation der Photovoltaikanlage den Vorsteuerabzug geltend. Das FA war der Ansicht, dass der Vorsteuerabzug nicht gewährt werden könne. Der Kläger habe eine unternehmensbezogene Zuordnungsentscheidung nicht rechtzeitig (bis zum 31.05. des Folgejahres) getroffen. Das FG Baden-Württemberg führt in seinem Urteil v. 12.09.2018, 14 K 1538/17, im Wesentlichen aus, dass der Kläger, dem ein Zuordnungswahlrecht zustehe, die Photovoltaikanlage nicht rechtzeitig seinem Unternehmensvermögen zugeordnet habe. Dies ergebe sich nach den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen, denen sich das FG anschließe. Auch aufgrund mittlerweile ergangener Rechtsprechung des EuGH sei hieran nicht zu zweifeln.

Der BFH stellt dem EuGH folgende Fragen:

  1. Steht Art. 168 Buchst. a i. V. m. Art. 167 MwStSystRL einer nationalen Rechtsprechung entgegen, nach der das Recht auf Vorsteuerabzug in den Fällen, in denen ein Zuordnungswahlrecht beim Leistungsbezug besteht, ausgeschlossen ist, wenn bis zum Ablauf der gesetzl. Abgabefrist für die USt-Jahreserklärung keine für die Finanzbehörden erkennbare Zuordnungsentscheidung abgegeben wurde?
  2. Steht Art. 168 Buchst. a der MwStSystRL einer nationalen Rechtsprechung entgegen, nach der eine Zuordnung zum privaten Bereich unterstellt wird bzw. eine dahingehende Vermutung besteht, wenn keine (ausreichenden) Indizien für eine unternehmerische Zuordnung vorliegen?

Praxishinweis

Bei Bezug eines einheitlichen Gegenstands, der gemischt, also für unternehmerische und private Zwecke, verwendet wird oder werden soll, steht nach der Rechtsprechung des BFH und des EuGH dem Unternehmer ein Zuordnungswahlrecht zu. Er kann das Grundstück in vollem Umfang in seinem Privatvermögen belassen, insgesamt seinem Unternehmen zuordnen, oder entsprechend dem unternehmerischen Nutzungsanteil seinem Unternehmen zuordnen. Gibt es keine Beweisanzeichen für eine Zuordnung zum Unternehmen, kann diese nicht unterstellt werden (ständige Rechtsprechung des BFH). Dies gilt auch bei beabsichtigter oder tatsächlicher unternehmerischer Nutzung, denn in einem solchen Fall steht es dem Unternehmer gleichwohl frei, den Gegenstand in vollem Umfang seinem nichtunternehmerischen Bereich zuzuordnen und damit dem Mehrwertsteuersystem zu entziehen. Aus Gründen der Praktikabilität kann nach der Rechtsprechung des BFH gleichwohl die Zuordnungsentscheidung spätestens und mit endgültiger Wirkung in einer "zeitnah" erstellten Umsatzsteuererklärung (§ 18 Abs. 3 UStG) für das Jahr, in das der Leistungsbezug fällt, nach außen dokumentiert werden. Den Zeitpunkt der "zeitnah" zu treffenden Zuordnungsentscheidung hat der BFH durch Bezugnahme auf den Ablauf der gesetzl. Abgabefrist für Steuererklärungen (§ 149 Abs. 2 Satz 1 AO; jetzt: 31.07. des Folgejahres) konkretisiert.

Für den BFH ist insbes. im Hinblick auf die Entscheidung des EuGH v. 25.07.2018, C-140/17, Gmina Ryjewo, zweifelhaft geworden, ob die bislang von der Rechtsprechung entwickelten und angewendeten Kriterien zur Ausübung des Zuordnungswahlrechts mit Unionsrecht vereinbar sind. Die erste Vorlagefrage soll klären, ob ein Mitgliedstaat eine Ausschlussfrist für die Zuordnung zum Unternehmensvermögen vorsehen darf. Zwar geht das Unionsrecht ausdrücklich von einer "Zuordnung" von Gegenständen aus (vgl. Art. 168a Abs. 1 MwStSystRL). Es enthält nach Auffassung des BFH jedoch keine Regelungen hinsichtl. der Art und des Zeitpunkts der Dokumentation der "Zuordnungsentscheidung" i. S. d. BFH-Rechtsprechung bzw. des hier synonym verstandenen "Handelns als Steuerpflichtiger", auf das der EuGH abstellt.

Zudem ist für den BFH fraglich, ob die in der Entscheidung Gmina Ryjewo getroffenen Aussagen auch für den Fall eines privatrechtlichen Unternehmers, der ein Zuordnungswahlrecht hat, gelten, während ein solches Zuordnungswahlrecht bei nichtwirtschaftlicher Tätigkeit nicht besteht.

Der EuGH hatte in seinem Urteil Gmina Ryjewo auch ausgeführt: "Auch wenn eine eindeutige und ausdrückliche Bekundung der Absicht, den Gegenstand bei seinem Erwerb einer wirtschaftlichen Verwendung zuzuordnen, ausreichend sein kann, um den Schluss zu ziehen, dass der Gegenstand von dem als solchem handelnden Steuerpflichtigen erworben wurde, schließt doch das Fehlen einer solchen Erklärung nicht aus, dass diese Absicht implizit zum Ausdruck kommen kann." Insofern ist für den BFH fraglich, ob dies mit den Rechtsprechungsgrundsätzen vereinbar ist, wonach eine Zuordnung zum Unternehmen nicht unterstellt werden kann, wenn es dafür keine (für die Finanzbehörden erkennbaren) Beweisanzeichen gibt.

Die Entscheidung des EuGH zur Ausübung des Zuordnungswahlrechts für Zwecke des Vorsteuerabzugs bei teils unternehmerisch und teils privat genutzten Gegenständen kann mit Spannung erwartet werden. Sie können vergleichbare Fälle vorbereiten und offen halten. Das USt Team der AWB hilft Ihnen gern dabei.

 

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