Auswirkungen einer vorläufigen Eigenverwaltung auf eine Organschaft

Anmerkung zu: BFH-Urt. XI R 35/17

Praxisproblem

In dem BFH-Verfahren XI R 35/17 war streitig, ob nach einem Insolvenzantrag bei Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung im Zeitpunkt der Bestellung eines vorläufigen Sachwalters (§ 270a InsO) eine bis dahin bestehende umsatzsteuerl. Organschaft beendet wird.

Sachverhalt

Die Klägerin war 100 %-ige Tochtergesellschaft einer I-AG als Organträger. Ein Insolvenzgericht hatte mit Beschlüssen v. 11.07.2014 in den Insolvenzeröffnungsverfahren über das Vermögen des Organträgers und der Klägerin jeweils die vorläufige Eigenverwaltung (§ 270a InsO) und Vollstreckungsschutz (§ 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO) verfügt. Weitere Anordnungen (z. B. nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 277 InsO oder eine Ermächtigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten) erfolgten nicht. Am 01.10.2014 wurde über das Vermögen des Organträgers und über das Vermögen der Klägerin das Insolvenzverfahren eröffnet und Eigenverwaltung (§§ 270 ff. InsO) angeordnet. Die Klägerin war der Auffassung, dass aufgrund der Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung ab 11.07.2014 die Voraussetzungen der Organschaft entfallen seien und ermittelte daher seit diesem Zeitpunkt die USt ohne Berücksichtigung einer Organschaft. Sie reichte u. a. für die VZ Juli 2014 bis September 2014 USt-Voranmeldungen ein. Für den VZ 11.07.2014 bis 31.07.2014 ermittelte sie eine positive USt-Schuld, für den Monat August 2014 (Streitzeitraum) und für den Monat September 2014 einen Umsatzsteuervergütungsanspruch. Das FA lehnte den Antrag auf Steuerfestsetzung für den VZ August 2014 ab, weil zwischen der Klägerin und der I-AG weiterhin eine Organschaft bestehe. Das FG Münster hatte mit Urt. v. 07.09.2017, 5 K 3123/15 U, u. a. entschieden, dass eine umsatzsteuerl. Organschaft durch Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung mit Bestellung eines vorläufigen Sachwalters ende, wenn das Gericht neben der vorläufigen Eigenverwaltung zugleich einen Vollstreckungsschutz gem. § 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO angeordnet habe.

Entscheidung

Der BFH hat das FG-Urteil aufgehoben und gegenteilig entschieden. Die für das Bestehen einer Organschaft erforderlichen Eingliederungsmerkmale lagen auch nach der Bestellung eines vorläufigen Sachwalters weiterhin vor. Zur Rechtsfrage, ob im Falle der vorläufigen Eigenverwaltung bei Organträger und Organgesellschaft eine Organschaft fortbesteht, sind nach dem BFH-Urteil die Vorschriften der §§ 270a ff. InsO mit in den Blick zu nehmen. Obwohl der BGH das Verfahren nach § 270a InsO dem Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO teilweise angenähert habe, bestehen nach dem BFH-Urteil weiterhin grundlegende Unterschiede der vorläufigen Eigenverwaltung zum eröffneten Verfahren der Eigenverwaltung und zum vorläufigen Insolvenzverfahren. Im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren stehe dem Schuldner die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über sein Vermögen aus eigenem Recht zu, soweit das Insolvenzgericht keine beschränkenden Anordnungen erlässt. Insolvenzspezifische Befugnisse seien dem Schuldner - anders als einem starken vorläufigen Insolvenzverwalter – im Eröffnungsverfahren nicht zugewiesen. Soweit nach § 270a Abs. 1 Satz 2 InsO ein bestellter vorläufiger Sachwalter dem späteren Sachwalter gleichgestellt ist, lässt sich nach dem BFH-Urteil daraus nicht ableiten, dass auch die Rechtsstellung des Schuldners im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren derjenigen im eröffneten Verfahren entspricht. Auch die vorläufige Eigenverwaltung und das vorläufige Insolvenzverfahren unterscheiden sich nach dem BFH-Urteil grundlegend. Der Schuldner handele während der vorläufigen Eigenverwaltung - anders als im vorläufigen Insolvenzverfahren - völlig autonom. Ausgehend davon habe das FG zu Unrecht angenommen, dass die organisatorische Eingliederung der Klägerin in das Unternehmen des Organträgers mit der Bestellung eines vorläufigen Sachwalters entfallen war.

Praxishinweis

Die bisherige Rechtsprechung zur Beendigung der Organschaft bei vorläufiger Insolvenzverwaltung kann somit nicht auf die vorläufige Eigenverwaltung übertragen werden. Im Fall der Bestellung eines vorläufigen Sachwalters ohne Zustimmungsvorbehalt kann der Organträger die mit der finanziellen Eingliederung verbundene Möglichkeit der Beherrschung der Tochtergesellschaft in der laufenden Geschäftsführung nach wie vor wahrnehmen, die Organgesellschaft durch die Art und Weise der Geschäftsführung beherrschen und seinen Willen in der Organgesellschaft durchsetzen. Er kann deshalb auch seinen Anspruch gegen die Organgesellschaft auf Zahlung der USt für deren Umsätze realisieren. Zwar kann der vorläufige Sachwalter nach den insolvenzrechtl. Vorschriften einer Zahlung der USt durch die Organgesellschaft an den Organträger intern widersprechen, verhindern kann er sie jedoch nicht.

Darüber hinaus hat der BFH entschieden, dass die während der vorläufigen Eigenverwaltung begründete USt weder bei dem Organträger noch bei der Organgesellschaft als Masseverbindlichkeit i. S. v. § 55 Abs. 4 InsO anzusehen sei. Zur Begründung zieht der BFH die Urteile des BGH v. 22.11.2018, IX ZR 167/16, sowie des FG Münster v. 12.03.2019, 15 K 1535/18 U, heran. Danach setze die Begründung von Masseverbindlichkeiten während der vorläufigen Eigenverwaltung voraus, dass der Schuldner vom Insolvenzgericht hierzu ausdrückl. ermächtigt worden sei. An einer solchen Ermächtigung würde es im Streitfall fehlen.

Ob die Verwaltung sich dieser Rechtsprechung anschließt, bleibt abzuwarten. Zumindest liegen dem BFH weitere Revisionsfälle vor, V R 14/19 und V R 19/19, in denen es um die Anwendung des § 55 Abs. 4 InsO auf den vorläufig eigenverwaltenden Schuldner geht. Es bleibt spannend, wie sich die umsatzsteuerrechtliche Organschaft weiter durch die Rechtsprechung fortentwickelt. Alle betroffenen Unternehmen bleibt nur, sich ständig über Neuerungen zu informieren.

Bei Abgrenzung oder Zweifelsfragen hilft das USt-Team der AWB Ihnen gern weiter.

 

 

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