Steuerbarkeit, Leistungsaustausch, Personalgestellung im Konzern

Anmerkung zu: EuGH, Urt. v. 11.03.2020, C-94/19, San Domenico Vetraria SpA

Praxisproblem

Die umsatzsteuerrechtliche Steuerbarkeit einer Leistung setzt voraus, dass Leistender und Leistungsempfänger vorhanden sind und der Leistung eine Gegenleistung (Entgelt) gegenübersteht. Für die Annahme eines Leistungsaustauschs müssen Leistung und Gegenleistung in einem wechselseitigen Zusammenhang stehen. § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG setzt nach der BFH-Rechtsprechung für den Leistungsaustausch einen unmittelbaren, nicht aber einen inneren (synallagmatischen) Zusammenhang zwischen Leistung und Entgelt voraus. Bei Leistungen, zu deren Ausführung sich die Vertragsparteien in einem gegenseitigen Vertrag verpflichtet haben, liegt grds. ein Leistungsaustausch vor. In der Praxis stellt sich zuweilen die Frage, ob eine Leistung auch dann steuerbar ist, wenn die erhaltene Gegenleistung die Kosten für die Ausführung der Leistung nicht deckt oder nur Kostenersatz gewährt wird.

Sachverhalt

Bei dem italienischen Vorabentscheidungsersuchen ging es um die Umsatzsteuerbarkeit der Gestellung von Personal im Wege der Entsendung gegen Kostenerstattung.

Im Streitfall wurde eine Führungskraft einer Muttergesellschaft an eine ihrer Tochtergesellschaften (= Klägerin) entsandt, der dafür die Kosten in Rechnung gestellt wurden. Aus den Rechnungen machte die Klägerin den Vorsteuerabzug geltend. Die italienische Finanzbehörde vertrat die Auffassung, dass keine steuerbare Leistung zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft vorliege und versagte den Vorsteuerabzug.

Das vorlegende Gericht hatte Zweifel, ob bei einer Entsendung von Personal gegen Erstattung der Kosten der für eine Besteuerung erforderliche unmittelbare Zusammenhang gegeben ist und wollte vom EuGH wissen, ob die Überlassung oder Entsendung von Personal der Muttergesellschaft gegen Zahlung nur der entsprechenden Kosten durch die Tochtergesellschaft für Zwecke der MwSt relevant ist.

Entscheidung

Der EuGH verweist auf seine ständige Rechtsprechung, dass steuerbare Umsätze im Rahmen des Mehrwertsteuersystems das Vorliegen einer Vereinbarung zwischen den Parteien über einen Preis oder einen Gegenwert voraussetzen. Beschränkt sich die Tätigkeit eines Dienstleistenden ausschl. darauf, Leistungen ohne unmittelbare Gegenleistung zu erbringen, fehlt es daher an einer Besteuerungsgrundlage und diese Leistungen unterliegen nicht der MwSt. Daraus folgt, dass eine Dienstleistung nur dann i. S. v. Art. 2 Nr. 1 der 6. EG- Richtlinie „gegen Entgelt“ erbracht wird und somit steuerbar ist, wenn zwischen dem Leistenden und dem Leistungsempfänger ein Rechtsverhältnis besteht, in dessen Rahmen gegenseitige Leistungen ausgetauscht werden, wobei die vom Leistenden empfangene Vergütung den tatsächlichen Gegenwert für die dem Leistungsempfänger erbrachte Dienstleistung bildet. Dies ist dann der Fall, wenn zwischen der erbrachten Dienstleistung und dem erhaltenen Gegenwert ein unmittelbarer Zusammenhang besteht.

Der EuGH geht davon aus, dass im Streitfall die Personalentsendung auf der Grundlage eines vertraglichen Rechtsverhältnisses zwischen der Muttergesellschaft und der Tochtergesellschaft (Klägerin) erfolgte. Im Rahmen dieses Rechtsverhältnisses seien auch gegenseitige Leistungen ausgetauscht worden, nämlich auf der einen Seite die Entsendung einer Führungskraft der Muttergesellschaft an die Tochtergesellschaft und auf der anderen Seite die Zahlung in Rechnung gestellter Beträge durch die Klägerin an die Muttergesellschaft.

Die EU-Kommission hatte in dem Verfahren einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen diesen beiden Leistungen bestritten. Ohne die Vereinbarung einer Vergütung, die die der Tochtergesellschaft entstandenen Kosten übersteige, sei die im Ausgangsfall vorgenommene Entsendung nicht erfolgt, um eine Gegenleistung zu erhalten. Diese Ansicht geht nach Auffassung des EuGH „fehl“. Der EuGH verweist auf seine Rechtsprechung, wonach ein unmittelbarer Zusammenhang besteht, wenn sich zwei Leistungen gegenseitig bedingen, d. h., wenn die eine Leistung nur unter der Voraussetzung erbracht wird, dass auch die andere Leistung erfolgt, und umgekehrt. Sollte nachgewiesen sein, dass die durch die Klägerin erfolgte Zahlung der Beträge, die ihr von ihrer Muttergesellschaft in Rechnung gestellt wurden, eine Voraussetzung dafür war, dass die Muttergesellschaft die Führungskraft entsendet und dass die Tochtergesellschaft diese Beträge nur als Gegenleistung für die Entsendung gezahlt hat, sei (so der EuGH) festzustellen, dass ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen den beiden Leistungen besteht und die Personalentsendung steuerbar ist.

Der EuGH wiederholt seine frühere Rechtsprechung, dass hierbei die Höhe der Gegenleistung unerheblich ist und insbesondere, ob diese höher, gleich hoch oder geringer als die Kosten ausfällt, die dem Steuerpflichtigen im Rahmen der Ausführung seiner Leistung entstanden sind. Ein solcher Umstand lässt nämlich den unmittelbaren Zusammenhang zwischen der erbrachten Dienstleistung und der empfangenen Gegenleistung unberührt.

Praxishinweis

Das deutsche Recht ist von der Entscheidung grds. betroffen. Abschn. 1.1. Abs. 16 UStAE bestimmt, dass Personalgestellungen und -überlassungen gegen Entgelt, auch gegen Aufwendungsersatz, grds. im Rahmen eines Leistungsaustauschs erfolgen. Vor diesem Hintergrund - auch im Zusammenhang mit der Anwendung des § 2b UStG – ist das EuGH-Urteil für das deutsche Recht von Interesse. Der Umstand, dass eine wirtschaftliche Tätigkeit zum Selbstkostenpreis oder zu einem Preis unter oder über diesem Selbstkostenpreis ausgeführt wird, ist als solcher unerheblich, wenn es darum geht, einen Umsatz als „entgeltlichen Umsatz“ zu qualifizieren, es sei denn, der Unterschied zwischen den entstandenen Kosten und den als Gegenleistung erhaltenen Beträgen ist besonders gravierend (vgl. EuGH v. 12.05.2016, Gemeente Borsele, C-520/14, zu einem Fall, in dem der gezahlte Beitrag zum Schülertransport 3 % der von der Gemeinde zur Finanzierung der Schülertransportdienstleistungen gezahlten Beträge entsprach). Insofern sprach im Ausgangsverfahren vieles dafür (was der EuGH vorliegend bestätigt hat), von einem steuerbaren Leistungsaustausch auszugehen (wenn nicht die Voraussetzungen der Organschaft vorliegen). Es gilt mithin insbesondere die internen Leistungsbeziehungen in Konzern oder Unternehmensgruppen, welche u. a. in Form von Personalüberlassungen, etc. bestehen, im Hinblick auf die Entscheidung zu prüfen. Wichtig ist auch eine Abgrenzung von Leistungsaustausch zum Gesellschafterbeitrag.

Das USt-Team der AWB hilft Ihnen dabei gern weiter.

 

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