Umsatzsteuerrechtliche Behandlung von Miet- und Leasingverträgen als Lieferung oder sonstige Leistung aufgrund des EuGH-Urteils C-164/16

Anmerkung zu: BMF-Schr. v. 18.03.2020

Praxisproblem

Der EuGH hatte mit Urteil v. 04.10.2017, C-164/16, Mercedes-Benz Financial Services UK, entschieden, dass die in Art. 14 Abs. 2 Buchstabe b MwStSystRL verwendete Formulierung „Mietvertrag, der die Klausel enthält, dass das Eigentum unter normalen Umständen spätestens mit Zahlung der letzten fälligen Rate erworben wird“ dahin auszulegen ist, dass für die Annahme einer Lieferung zwei Voraussetzungen erfüllt sein müssen:

  • Zum einen muss der Vertrag, aufgrund dessen die Übergabe des Gegenstands erfolgt, ausdrückl. eine Klausel zum Übergang des Eigentums an diesem Gegenstand vom Leasinggeber auf den Leasingnehmer enthalten. Diese Voraussetzung sieht der EuGH als erfüllt an, wenn der Vertrag eine Kaufoption für den Leasinggegenstand vorsieht.
  • Zum anderen muss aus den Vertragsbedingungen deutlich hervorgehen, dass das Eigentum am Gegenstand automatisch auf den Leasingnehmer übergehen soll, wenn der Vertrag bis zum Vertragsablauf planmäßig ausgeführt wird.

Der Vertrag darf dem Leasingnehmer nach der EuGH-Entscheidung keine echte wirtschaftl. Alternative in dem Sinne bieten, dass er zu dem Zeitpunkt, an dem er eine Wahl zu treffen hat, je nach Interessenlage den Gegenstand erwerben, zurückgeben oder weiter mieten kann. Bei einer im Vertrag enthaltenen Kaufoption ist diese Voraussetzung erfüllt, wenn angesichts der finanziellen Vertragsbedingungen die Optionsausübung zum gegebenen Zeitpunkt in Wirklichkeit als einzig wirtschaftl. rationale Möglichkeit für den Leasingnehmer erscheint.

Die bisherige umsatzsteuerrechtliche Beurteilung von Leasing- und Mietverträgen in Abschn. 3.5 Abs. 5 und 6 UStAE steht nach Auffassung der Finanzverwaltung teilweise nicht im Einklang mit der EuGH-Entscheidung.

Abschn. 3.5 Abs. 5 UStAE stellt für die Annahme einer Lieferung bisher darauf ab, ob der Leasingnehmer wie ein Eigentümer über den Gegenstand verfügen kann und verweist hierzu auf die einkommensteuerrechtl. Zurechnung des Gegenstandes (sog. Leasing-Erlasse). Danach sind für eine Zurechnung des Leasinggegenstands - unabhängig von einer Kaufoption - u. a. das Verhältnis der unkündbaren Grundmietzeit zur betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer, eine wirtschaftl. sinnvolle Verwendbarkeit nach Ablauf der Mietzeit beim Leasinggeber und das Verhältnis des Kaufpreises zum Buchwert zum Zeitpunkt des Ablaufs der Mietzeit maßgeblich.

Nach Abschn. 3.5 Abs. 6 Satz 1 UStAE in der bisherigen Fassung liegt bei Mietverträgen i. S. d. § 535 BGB mit dem Recht zum Kauf, nach denen der Übergang des zivilrechtl. Eigentums von weiteren Willenserklärungen abhängig ist, eine Lieferung erst zum Zeitpunkt der übereinstimmenden Willenserklärung vor. Dies widerspricht der Auffassung des EuGHs, nach der sich die Frage, ob es sich um eine Lieferung oder sonstige Leistung handelt, i. S. d. Rechtssicherheit bereits zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses eindeutig klären lassen muss.

Entscheidung

Die Verwaltung hat sich mit BMF-Schreiben v. 18.03.2020 zur Anwendung der EuGH-Rechtsprechung geäußert und folgt dieser Rechtsauffassung. Abschn. 3.5 Abs. 5 und 6 UStAE wurden neugefasst.

Danach gilt im Wesentlichen:

Werden Gegenstände im Leasingverfahren überlassen, ist die Übergabe des Gegenstands durch den Leasinggeber an den Leasingnehmer nur dann eine Lieferung, wenn:

  1. Der Vertrag ausdrücklich eine Klausel zum Übergang des Eigentums an diesem Gegenstand vom Leasinggeber auf den Leasingnehmer enthält und
  2. aus den - zum Zeitpunkt der Vertragsunterzeichnung und objektiv zu beurteilenden - Vertragsbedingungen deutlich hervorgeht, dass das Eigentum am Gegenstand automatisch auf den Leasingnehmer übergehen soll, wenn der Vertrag bis zum Vertragsablauf planmäßig ausgeführt wird.

Eine ausdrückliche Klausel zum Eigentumsübergang liegt auch vor, wenn der Vertrag eine Kaufoption für den Gegenstand enthält. Bei einer im Vertrag enthaltenen - formal zwar völlig unverbindlichen - Kaufoption ist die zweite Voraussetzung erfüllt, wenn angesichts der finanziellen Vertragsbedingungen die Optionsausübung zum gegebenen Zeitpunkt in Wirklichkeit als einzig wirtschaftlich rationale Möglichkeit für den Leasingnehmer erscheint. Der Vertrag darf dem Leasingnehmer keine echte wirtschaftl. Alternative in dem Sinne bieten, dass er zu dem Zeitpunkt, an dem er eine Wahl zu treffen hat, je nach Interessenlage den Gegenstand erwerben, zurückgeben oder weiter mieten kann. Dies kann z. B. dann der Fall sein, wenn nach dem Vertrag zu dem Zeitpunkt, zu dem die Option ausgeübt werden darf, die Summe der vertragl. Raten dem Verkehrswert des Gegenstands einschl. der Finanzierungskosten entspricht und der Leasingnehmer wegen der Ausübung der Option nicht zusätzlich eine erhebliche Summe entrichten muss. Eine erhebliche Summe in diesem Sinne ist zu entrichten, wenn der zusätzlich. zu entrichtende Betrag 1 % des Verkehrswertes des Gegenstandes im Zeitpunkt der Ausübung der Option übersteigt. Für die Überlassung eines Gegenstands außerhalb des Leasingverfahrens (z. B. Mietverträge i. S. d. § 535 BGB mit Recht zum Kauf) gelten diese Neuregelungen sinngemäß.

Erfolgt bei einer grenzüberschreitenden Überlassung eines Leasing-Gegenstands (sog. Cross-Border-Leasing) die Zuordnung dieses Gegenstands auf Grund eines Rechts eines anderen Mitgliedstaates ausnahmsweise abweichend von den vorstehenden Leasinggrundsätzen bei dem im Inland ansässigen Vertragspartner, folgt die Finanzverwaltung dieser Zuordnung zur Vermeidung von endgültigen Steuerausfällen. Ist die Zuordnung abweichend von den vorgenannten Leasinggrundsätzen bei dem im anderen Mitgliedstaat ansässigen Vertragspartner erfolgt, kann dieser gefolgt werden, wenn der Nachweis erbracht wird, dass die Überlassung in dem anderen Mitgliedstaat der Besteuerung unterlegen hat.

Praxishinweis

Aufgrund der geänderten Verwaltungsauffassung müssen sich die an einem Leasingvertrag Beteiligten umstellen. Mit der Umsetzung der EuGH-Rechtsprechung ist nunmehr kein Gleichlauf mehr zwischen Ertrag- und Umsatzsteuer gegeben, da u. a. der Verweis auf die einkommensteuerliche Behandlung im Abschn. 3.5 Satz 2 UStAE weggefallen ist. Wird nur eine Option zugesagt, muss diese mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeübt werden; dem Mieter bzw. Leasingnehmer darf also „keine echte wirtschaftliche Alternative“ zustehen, d. h. der Vertrag darf nicht dem Leasingnehmer eine „echte wirtschaftliche Alternative in dem Sinne bieten, dass er zu dem Zeitpunkt, an dem er eine Wahl zu treffen hat, je nach Interessenlage den Gegenstand entweder erwerben, dem Leasinggeber zurückgeben oder weiter mieten kann.

Die neue Auffassung der Finanzverwaltung gilt für alle offenen Fälle. Für vor dem 18.03.2020 abgeschlossene Leasing- und Mietverträge wird es von der Verwaltung jedoch - auch für Zwecke des Vorsteuerabzugs - nicht beanstandet, wenn die Beteiligten Abschn. 3.5 Abs. 5 und 6 UStAE übereinstimmend in der vorher geltenden Fassung anwenden.

Die Frage der Zurechnung des wirtschaftl. Eigentums an dem Leasinggegenstand beurteilt sich nunmehr danach, ob bereits bei Vertragsschluss feststeht, dass das Eigentum an einem Gegenstand bei planmäßiger Vertragsdurchführung auf den Leasingnehmer übergeht. Das ist auch bei einem Vertrag mit Kaufoption der Fall, wenn die Ausübung der Kaufoption angesichts der finanziellen Vertragsbedingungen die einzig wirtschaftl. rationale Möglichkeit für den Leasingnehmer ist. Bislang ging Abschn. 3.5 Abs. 6 Nr. 2 Satz 1 UStAE davon aus, dass zunächst eine bloße Dienstleistung vorliegt, wenn der Erwerb des Eigentums am Laufzeitende von der Abgabe weiterer Willenserklärungen abhängig ist.

Nunmehr ist bereits bei Vertragsschluss zu prüfen, ob die Ausübung der Kaufoption die einzig wirtschaftl. sinnvolle Handlungsalternative am Laufzeitende ist. Dabei sind die objektivierten Maßstäbe zugrunde zu legen.

Das USt-Team der AWB hilft Ihnen gern bei der Umstellung der Prozesse und Abrechnungsmodalitäten sowie bei der Beurteilung der Vorgänge.

 

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