Zur Steuerbefreiung für Vorumsätze für die Schifffahrt auf Hoher See (§ 4 Nr. 2, § 8 UStG, Abschn. 8.1 UStAE) bzw. zur Steuerbefreiung für Lieferungen von Gegenständen für die Versorgung von Schiffen

Anmerkung zu: BMF-Schr. v. 15.06.2020

Praxisproblem

Nach Art. MwStSystRL werden bestimmte Leistungen im Zusammenhang mit Schiffen, die auf Hoher See eingesetzt sind, als sog. Vorumsätze in der Seeschifffahrt von der USt befreit. Der Begriff „Hohe See“ i. S. d. Art. Buchst. a, c und d MwStSystRL ist bislang nicht definiert. Auch die EU-Kommission hat von der in Art. 150 Abs. 1 MwStSystRL enthaltenen Befugnis, Vorschläge zur genauen Festlegung des Anwendungsbereichs der Steuerbefreiung nach Art. 148 MwStSystRL und der praktischen Einzelheiten ihrer Anwendung zu unterbreiten, bisher keinen Gebrauch gemacht.

Nach den unverbindlichen Leitlinien der 103. Sitzung des Mehrwertsteuer-Ausschusses ist der Begriff „Hohe See“ für die Zwecke der MwStSystRL statisch zu verstehen. Er umfasst alle Teile des Meeres außerhalb des Küstenmeeres eines Landes von höchstens 12 Seemeilen ab den im Einklang mit dem internationalen Seerecht festgelegten Basislinien.

Die nationale Umsetzung der o. g. Steuerbefreiungen ist durch §§ 4 Nr. 2 i. V. m. § 8 UStG erfolgt. Danach gilt die Steuerbefreiung bisher nur für Seeschiffe, d. h. für vorhandene Wasserfahrzeuge, die dazu bestimmt sind, in der Seeschifffahrt eingesetzt zu werden (vgl. Abschn. 8.1 Abs. 2 Satz 1 UStAE in bisheriger Fassung) und auch tatsächlich ausschließlich oder überwiegend in der Erwerbsschifffahrt oder zur Rettung Schiffsbrüchiger eingesetzt werden sollen (Abschn. 8.1 Abs. 2 Satz 5 UStAE in bisheriger Fassung).

2016 hatte die EU-Kommission erste Schritte eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen Deutschland ergriffen. Vor dem Hintergrund des EuGH-Urteils v. 21.03.2012, C-197/12 (Kommission/Frankreich) war die EU-Kommission der Auffassung, dass die deutschen Vorschriften keine ausreichenden Vorkehrungen enthalten, um zu gewährleisten, dass die Steuerbefreiung für Leistungen im Zusammenhang mit Schiffen, die auf Hoher See eingesetzt werden, nicht auch auf Leistungen angewendet wird, die nicht in den Anwendungsbereich des Art. 148 Buchst. a, c und d der MwStSystRL fallen. Sie nahm an, dass es nach den deutschen Rechtsvorschriften für die Anwendung der Steuerbefreiung ausreicht, dass ein Schiff seiner Bauart nach für den Einsatz auf Hoher See geeignet ist und dass auch Leistungen in Zusammenhang mit Schiffen, die nicht oder nicht überwiegend auf Hoher See eingesetzt werden, von der Steuer befreit werden können.

Entscheidung

Vor diesem Hintergrund hat die Verwaltung mit BMF-Schreiben v. 15.06.2020, Abschn. 8.1 Abs. 2, 4 und 5 UStAE geändert. Die Neuregelungen sind auf alle offenen Fälle anzuwenden. Für vor dem 01.01.2021 ausgeführte Umsätze (§ 4 Nr. 2, § 8 Abs. 1 Nr. 1 UStG) wird es von der Verwaltung jedoch nicht beanstandet, wenn die bisher geltende Rechtslage zu Abschn. 8.1 Abs. 2, Abs. 4 und Abs. 5 UStAE angewendet wird.

Nach dem neugefassten Satz 1 in Abschn. 8.1 Abs. 2 muss es sich bei den begünstigten Schiffen (§ 8 Abs. 1 Nr. 1 UStG) um bereits vorhandene Wasserfahrzeuge handeln, die nach ihrer Bauart dem Erwerb durch die Seeschifffahrt oder der Rettung Schiffbrüchiger dienen. Es kommt also nicht mehr darauf an, dass die Schiffe für diesen Zweck bestimmt sind, sondern sie müssen diesem Zweck tatsächlich dienen.

Nach dem neu gefassten Satz 5 in Abschn. 8.1 Abs. 2 UStAE ist weitere Voraussetzung für die Steuerbefreiung, dass die nach ihrer Bauart begünstigten Wasserfahrzeuge auch tatsächlich ausschließlich oder überwiegend in der Erwerbsseeschifffahrt oder zur Rettung Schiffbrüchiger eingesetzt werden, d. h. nicht mehr wie bisher „eingesetzt werden sollen“.

Nach den neuen Sätzen 6 bis 8 in Abschn. 8.1 Abs. 2 USAE gilt: Als Erwerbsseeschifffahrt ist die Schifffahrt seewärts des Küstenmeeres i. S. d. Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen vom 10.12.1982 (BGBl. 1994 II S. 1798) und die Küstenfischerei anzusehen. Zur seewärtigen Abgrenzung veröffentlicht jeder Küstenstaat Seekarten oder Verzeichnisse geographischer Koordinaten (vgl. Art. 16 des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen, Bekanntmachung der Proklamation der Bundesregierung über die Ausweitung des deutschen Küstenmeeres vom 11.11.1994, BGBl. 1994 I S. 3428). Die seewärtige Begrenzung des Küstenmeeres der Bundesrepublik Deutschland verläuft im Wesentlichen in einem Abstand von 12 Seemeilen, gemessen von der Niedrigwasserlinie und den geraden Basislinien und ergibt sich aus den Seegrenzkarten 2920 und 2921 (Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie). Damit sind die Grenzen der Seeschifffahrt nicht mehr - wie bisher - nach § 1 Flaggenrechtsverordnung zu bestimmen, sondern es wird an die seewärtige Begrenzung des Küstenmeeres angeknüpft.

Abschn. 8.1 Abs. 4 Satz 2 UStAE bestimmt jetzt weitergehend als bisher, dass Gegenstände zur Versorgung von Schiffen auch Lebensmittel, Genussmittel und geringpreisige Non-Food-Artikel für den Grundbedarf der Besatzungsmitglieder und Fahrgäste sind, die in Bordläden verkauft werden sollen, auch wenn sie nicht zum Verbrauch oder Gebrauch an Bord, sondern zur Wiedereinfuhr in das Inland bestimmt sind.

Praxishinweis

Die Änderungen (Streichungen) in Abschn. 8.1 Abs. 2 UStAE haben keinen Einfluss auf die Lieferung von Schiffsneubauten und entsprechende Versorgungsleistungen. Denn hierzu wurde durch Änderung des Abschn. 8.1 Abs. 2 Satz 2 UStAE bereits festgelegt, dass ein Wasserfahrzeug ab dem Zeitpunkt seiner Abnahme durch den Besteller als vorhanden anzusehen ist (vgl. BMF-Schr. v. 18.06.2019).

Nach der Definition von Küstenmeer i. S. d. Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen vom 10.12.1982 (BGBl. 1994, II, S. 1798), dem Deutschland mit Wirkung zum 16.11.1994 beitrat (BGBl. 1995, I, S. 602), wurden für Deutschland in der Bekanntmachung der Proklamation der Bundesregierung über die Ausweitung des deutschen Küstenmeeres vom 11.11.1994 (BGBl. 1994, I, S. 3428) die seewärtigen Begrenzungen des Küstenmeeres in den Seekarten 2920 (Nordsee) und 2921 (Ostsee) genau festgelegt. Die Seekarten oder Verzeichnisse geographischer Koordinaten werden laut Art. 16 Abs. 2 des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen vom 10.12.1982 hinterlegt; jeweils eine Ausfertigung davon bei dem Generalsekretär der Vereinten Nationen. Die Seekarten werden vom Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie herausgegeben.

Die seewärtige Begrenzung des deutschen Küstenmeeres verläuft im Wesentlichen in einem Abstand von 12 Seemeilen, gemessen an der Niedrigwasserlinie und den geraden Basislinien (Abweichungen von der 12-Meilen-Grenze, etwa an der seitlichen Begrenzung des deutschen Küstenmeeres zum Königreich Dänemark). Die Begrenzung des Küstenmeeres in diesem Sinne entspricht im Wesentlichen auch der sog. Seezollgrenze i. S. d. Zollrechts (vgl. Anlage 1 zu §§ 14 Abs.  3, 27 Abs. 3 Satz 3 Zollverordnung der jeweils geltenden Fassung). Hierunter sind damit die Gebiete „außerhalb des Küstengebietes i. S. d. Zollrechts nach § 8 Abs. 1 Nr. 4 UStG“ zu verstehen.

Bei Fragen zur Anwendung der Neuregelung steht Ihnen das USt-Team der AWB gern als Ansprechpartner bereit.

 

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