EuGH zum direkten und unmittelbaren Zusammenhang zwischen bestimmtem Eingangsumsatz und steuerpflichtigem Ausgangsumsatz im Hinblick auf den Vorsteuerabzug

Anmerkung zu EuGH, Urt. vom 18.10.2018, C-153/17, Volkswagen Financial Services (UK)

Praxisproblem

Bei dem britischen Vorabentscheidungsersuchen ging es um den Umfang des Vorsteuerabzugs auf Gemeinkosten (d. h. auf die auf allgemeine Kosten des Geschäftsbetriebs anfallenden Vorsteuern), wenn das betreffende Unternehmen sowohl steuerpflichtige als auch steuerbefreite Leistungen erbringt, die Gemeinkosten jedoch nur in den Preis der steuerbefreiten Leistungen einfließen. Das Vorlagegericht wollte im Wesentlichen wissen, ob ein Unternehmer, der beim Verkauf von Kraftfahrzeugen Ratenkaufgeschäfte tätigt (die sich aus steuerbefreiten Kreditleistungen und steuerpflichtigen Fahrzeuglieferungen zusammensetzen) die ihm entstandenen Gemeinkosten nur in den Preis der steuerbefreiten Kreditleistungen einfließen lässt, den Vorsteuerabzug auf die Gemeinkosten ausüben kann. Das Vorlagegericht wollte in diesem Zusammenhang auch wissen, wie Rz. 31 des EuGH-Urteils v. 08.06.2000, C-98/98, Midland Bank, auszulegen ist.

Sachverhalt

Der Kläger war der Auffassung, nach Art. 168 MwStSystRL bestehe das Recht auf Vorsteuerabzug, „soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für die Zwecke … besteuerter Umsätze verwendet werden“. Schlüsselbegriff sei hier der Ausdruck „für … verwendet werden“, der im ganz überwiegenden Teil der Rechtsprechung des EuGH über das Recht auf Vorsteuerabzug im Zentrum stehe. Im Fall der Gemeinkosten würden diese nicht „für“ die Erbringung konkreter steuerbarer oder steuerbefreiter Leistungen „verwendet“. Dennoch seien diese Kosten teilweise abzugsfähig, und zwar im Umfang der steuerpflichtigen Geschäftstätigkeit des Unternehmers, da es sich bei den Gemeinkosten um allgemeine Ausgaben des Unternehmens handele, die den Geschäftsbetrieb erst ermöglichten. Sie würden daher als solche „für“ den Geschäftsbetrieb als Ganzes „verwendet“.

Es war zwischen den Parteien unstreitig, dass die fraglichen Kosten tatsächlich Gemeinkosten darstellten, die durch den Geschäftsbetrieb des Klägers als Ganzes anfielen. Die britische Finanzbehörde war aber der Auffassung, der offensichtlichste Nachweis einer „Verwendung“ bestehe daher darin, die für den Eingangsumsatz getätigten Ausgaben in den Preis des Ausgangsumsatzes aufzunehmen. Das Mehrwertsteuersystem verhindere den Abzug von Vorsteuer, die nicht an den Verbraucher weitergegeben werden könne, weil der Ausgangsumsatz steuerbefreit sei. Jegliche auf die Abweichungsermächtigung gem. Art. 173 Abs. 2 Buchst. c MwStSystRL gestützte Zuteilungsmethode müsse diesem Grundsatz gerecht werden. In der vorliegenden Sache bestehe Einigkeit darüber, dass ein Anteil der allgemeinen Gemeinkosten dem Geschäftsbereich Einzelhandel und darunter insbesondere den Ratenkaufgeschäften zuzuordnen sei. Dieser Anteil der besagten Kosten sei nur in den Preis der steuerbefreiten Finanzierungsleistungen aufgenommen worden und sei nicht Bestandteil der Kostenelemente der steuerpflichtigen Fahrzeuglieferungen des Klägers. Deshalb könnten diese Kosten nicht auf den Verbraucher abgewälzt werden. Die „wirtschaftliche Realität“ der Ratenkaufgeschäfte sei die, dass die Gemeinkosten wirtschaftlich gesehen für die steuerbefreiten und nicht für die steuerpflichtigen Leistungen „verwendet“ würden.

Entscheidung

Der EuGH beschäftigt sich in seinem Urteil zunächst (ohne dazu gefragt worden zu sein) mit der Frage, ob der Fahrzeugverkauf und die damit in Zusammenhang stehende Kreditgewährung ein einheitlicher Umsatz oder zwei getrennte Hauptleistungen sind. Er kommt zu dem Ergebnis, dass ein gegen Verzinsung gewährter Zahlungsaufschub bei Erwerb eines Gegenstands als steuerfreie Kreditgewährung gem. Art. 135 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL angesehen werden kann, solange die Zinszahlung nicht Teil der Gegenleistung für die Lieferung der Gegenstände oder die Dienstleistung, sondern das Entgelt für diesen Kredit ist. Diese Aufteilung eines Ratenkaufgeschäfts ist vereinbar mit der Rechtsprechung des EuGH, wonach die Befreiungen nach Art. 135 MwStSystRL zwar eng auszulegen sind, der Ausdruck „Gewährung und Vermittlung von Krediten“ i. S. v. Art. 135 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL aber gleichwohl nicht nur Darlehen und Kredite von Banken und Finanzinstituten betreffen kann, da über die Identität des Kreditgebers bzw. -nehmers nichts näher bestimmt ist. Eine einheitliche Leistung liegt dann vor, wenn ein oder mehrere Teile als die Hauptleistung, andere Teile aber als Nebenleistungen anzusehen sind, die das steuerliche Schicksal der Hauptleistung teilen. Insbesondere ist eine Leistung als Nebenleistung zu einer Hauptleistung anzusehen, wenn sie für die Kundschaft keinen eigenen Zweck, sondern das Mittel darstellt, um die Hauptleistung des Leistungserbringers unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen (vgl. auch EuGH, Urt. v. 18.01.2018, C-463/16, Stadion Amsterdam).

Zur Entstehung und Tragweite des Vorsteuerabzugsrechts im Ausgangsfall hat der EuGH entschieden, dass die streitigen Gemeinkosten nicht nur mit Teilen, sondern mit der gesamten wirtschaftlichen Tätigkeit der Klägerin direkt und unmittelbar zusammenhängen. An dieser Tatsachenfeststellung ändert nichts, dass die Klägerin diese Kosten nicht in den Preis der steuerbaren, sondern nur in den der steuerbefreiten Umsätze eingerechnet haben soll. Soweit diese Gemeinkosten zumindest teilweise tatsächlich mit Blick auf den Verkauf der Fahrzeuge als steuerpflichtigem Umsatz aufgewendet wurden, sind sie als solche Kostenelemente dieser Umsätze. Daher besteht grundsätzlich ein Recht auf Vorsteuerabzug. In Bezug darauf, dass die im Ausgangsverfahren streitigen Gemeinkosten nicht offensichtlich im Preis der Fahrzeuge zutage traten, weist der EuGH darauf hin, dass das mit einer wirtschaftlichen Tätigkeit erzielte Ergebnis im Hinblick auf das Vorsteuerabzugsrecht unerheblich ist, solange die Tätigkeit selbst der MwSt unterliegt (vgl. auch EuGH, Urt. v. 22.06.2016, C-267/15, Gemeente Woerden).

Der Umfang des Vorsteuerabzugsrechts ändert sich jedoch je nach der beabsichtigten Verwendung der betreffenden Gegenstände und Dienstleistungen. Während der Unternehmer bei ausschließlich für besteuerte Umsätze bestimmten Gegenständen und Dienstleistungen die gesamte Steuer auf den Erwerb bzw. die Lieferung dieser Gegenstände und Dienstleistungen abziehen darf, ist nach Art. 173 Abs. 1 MwStSystRL bei zur gemischten Verwendung bestimmten Gegenständen und Dienstleistungen der Vorsteuerabzug auf den Mehrwertsteuerteil beschränkt, der auf den Betrag der mit den zum Vorsteuerabzug berechtigenden Gegenstände oder Dienstleistungen ausgeführten Umsätze entfällt.

Da im Ausgangsfall die auf den Einzelhandelsbereich der Klägerin entfallenden Gemeinkosten Gegenstände und Dienstleistungen betreffen, die sowohl für steuerpflichtige als auch für steuerbefreite Umsätze verwendet werden, ist nach der EuGH-Entscheidung ein Pro-rata-Satz des Vorsteuerabzugs festzulegen. Grundsätzlich wird nach Art. 173 Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL der Pro-rata-Satz gem. den Art. 174 und 175 MwStSystRL für die Gesamtheit der von dem Unternehmer bewirkten Umsätze umsatzbezogen festgelegt. Jedoch können nach Art. 173 Abs. 2 Buchst. c MwStSystRL die Mitgliedstaaten dem Unternehmer gestatten oder ihn verpflichten, den Abzug je nach der Zuordnung der Gesamtheit oder eines Teils der Gegenstände oder Dienstleistungen vorzunehmen. Der EuGH verweist in diesem Zusammenhang auf seine bisherige Rechtsprechung, wonach die Mitgliedstaaten eine andere Aufteilungsmethode oder einen anderen Aufteilungsschlüssel als die Umsatzmethode anwenden können, vorausgesetzt, diese Methode gewährleistet eine präzisere Bestimmung des Pro-rata-Satzes des Vorsteuerabzugs als die Umsatzmethode (vgl. EuGH, Urt. v. 08.11.2012, C-511/10, BLC Baumarkt). Der EuGH verlangt aber nicht, dass die gewählte Methode zwingend die genauestmögliche ist, sondern dass sie ein präziseres Ergebnis gewährleistet als das, das sich aus der Anwendung des Umsatzschlüssels ergäbe.

Insgesamt hat der EuGH entschieden, dass Art. 168 und Art. 173 Abs. 2 Buchst. c MwStSystRL dahin auszulegen sind, dass zum einen Gemeinkosten für Ratenkaufgeschäfte mit beweglichen Sachen selbst dann, wenn sie nicht in den vom Kunden für die Bereitstellung der betreffenden Ware geschuldeten Betrag – also in den steuerpflichtigen Umsatzanteil – eingerechnet werden, sondern in den für die Finanzierung des Geschäfts geschuldeten Zinsbetrag – also in den steuerbefreiten Umsatzanteil –, trotzdem für Zwecke der MwSt ein Kostenelement dieser Bereitstellung darstellen, und dass zum anderen die Mitgliedstaaten nicht berechtigt sind, eine Aufteilungsmethode anzuwenden, die den Anfangswert des Verkaufsgegenstands bei Bereitstellung außer Acht lässt, weil diese Methode keine präzisere Aufteilung als die auf dem Umsatzschlüssel beruhende Methode gewährleistet. Der EuGH weist nämlich ausdrücklich darauf hin, dass sich seinem Urteil v. 10.07.2014, C 183/13, Banco Mais, zu Leasinggeschäften nicht ableiten lässt, dass Art. 173 Abs. 2 Buchst. c MwStSystRL den Mitgliedstaaten generell erlaubt, auf sämtliche ähnlichen Umsätze in der Automobilbranche, wie die im Ausgangsverfahren streitigen Ratenkaufgeschäfte, eine Aufteilungsmethode anzuwenden, die den Fahrzeugwert bei Bereitstellung nicht berücksichtigt.

Praxishinweis

Das Verfahren erschien eher als ein Streit über Sachverhaltsfragen, als Rechtsfragen. In Rz. 31 des Urteils v. 08.06.2000, C-98/98, Midland Bank, hatte der EuGH ausgeführt:

„31 Entgegen der Auffassung von Midland besteht daher in der Regel kein direkter und unmittelbarer Zusammenhang im Sinne des Urteils BLP Group zwischen einem Ausgangsumsatz und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als Folge und nach Abwicklung dieses Umsatzes verwendet hat. Zwar sind die Ausgaben für diese Dienstleistungen Folge des Ausgangsumsatzes. Sie gehören aber in der Regel nicht zu den Kostenelementen dieses Umsatzes, was nach Art. 2 der Ersten Richtlinie jedoch erforderlich wäre. Den Dienstleistungen fehlt daher der direkte und unmittelbare Zusammenhang mit dem Ausgangsumsatz. Die Kosten der betreffenden Dienstleistungen sind vielmehr Teil der Gemeinkosten des Steuerpflichtigen und gehören damit zu den Preiselementen aller Produkte eines Unternehmens. Solche Dienstleistungen hängen demnach direkt und unmittelbar mit der Gesamttätigkeit des Steuerpflichtigen zusammen, so dass sich das Recht auf Vorsteuerabzug nach Artikel 17 Absatz 5 der Sechsten Richtlinie bestimmt und die Mehrwertsteuer gemäß dieser Bestimmung nur teilweise abziehbar ist.“

Bei dem Verfahren C-98/98 ging es um die Aufteilung des Vorsteuerabzugs gem. Art. 17 Absätze 2, 3 und 5 der 6. EG-Richtlinie im Fall der Verwendung eines Eingangsumsatzes für sowohl steuerpflichtige als auch steuerfreie Ausgangsumsätze. Der EuGH hat entschieden, dass grundsätzlich ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang zwischen einem bestimmten Eingangsumsatz und einem steuerpflichtigen Ausgangsumsatz bestehen muss, damit der Unternehmer zum Vorsteuerabzug berechtigt ist. Der Eingangsumsatz muss zu den Kostenelementen des Ausgangsumsatzes gehören. Wie das Kriterium des direkten und unmittelbaren Zusammenhangs auszulegen ist, überlässt der EuGH dem nationalen Gericht. Angesichts der Vielfältigkeit gewerblicher und beruflicher Umsätze lasse sich die erforderliche unmittelbare Beziehung zwischen den jeweiligen Eingangs- und Ausgangsumsätzen für alle denkbaren Fälle nicht genau bestimmen. Der Zusammenhang zwischen Eingangs- und Ausgangsumsätzen entscheidet nur dann nicht über das Vorsteuerabzugsrecht, wenn es nicht zu Ausgangsumsätzen gekommen ist und dies von dem Unternehmer nicht zu vertreten ist. Ist ein steuerpflichtiger Ausgangsumsatz Anlass für einen Eingangsumsatz (im Verfahren C-98/98 war dies eine Rechtsberatungsleistung), ist der Vorsteuerabzug grundsätzlich nicht in voller Höhe zulässig, wenn der Unternehmer sowohl steuerpflichtige als auch steuerfreie Ausgangsumsätze tätigt. Auch wenn in Anspruch genommene Dienstleistungen Folge eines steuerpflichtigen Ausgangsumsatzes sind, gehören sie nach dem Urteil i. d. R. nicht zu den Kostenelementen dieses Ausgangsumsatzes, was nach Art. 2 der 1. EG-Richtlinie jedoch erforderlich sei. Der EuGH geht davon aus, dass Eingangsumsätze grundsätzlich nur dann Kostenelement eines Ausgangsumsatzes sein können, wenn die Kosten für diese Eingangsumsätze vor Ausführung der Ausgangsumsätze entstanden sind. Eine ähnliche Auffassung hat der BFH in seinem Urteil vom 10.04.1997, V R 26/96, BStBl II 1997, 552, vertreten. Die Eingangsleistung kann unter solchen Umständen nicht direkt und unmittelbar in Zusammenhang mit dem Ausgangsumsatz gebracht werden. Die Kosten der Eingangsleistung sind Teil der Gemeinkosten des Unternehmens und gehören damit zu den Kostenelementen aller Umsätze. Daher muss die Vorsteuer grundsätzlich aufgeteilt werden, wenn der Unternehmer gemischte Umsätze bewirkt. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Unternehmer durch objektive Umstände nachweisen kann, dass die Aufwendungen einzig und allein zu den Kostenelementen des Ausgangsumsatzes gehören, der Anlass für die Eingangsleistung war. Diese Bedingung wird in der Praxis allerdings nur schwer zu erfüllen sein.

Wenn wie im vorliegenden Fall die Aufwendungen nicht allein zu den Kostenelementen der steuerfreien Finanzdienstleistung gehören, sondern auch zu Kostenelementen steuerpflichtiger Ausgangsumsätze, ist nach der EuGH-Entscheidung der Vorsteuerabzug partiell auch dann zulässig sein, wenn die entstandenen Gemeinkosten ausschließlich über die steuerfreien Finanzumsätze auf den Verbraucher abgewälzt werden.

Das deutsche Umsatzsteuerrecht ist von dem Urteil nicht unmittelbar betroffen, da Deutschland aufgrund der Optionen des Art. 173 Abs. 2 MwStSystRL die Anwendung des Pro-rata-Satzes nach Art. 174, 175 MwStSystRL durch die Regelung des § 15 Abs. 4 UStG (Vorsteueraufteilung grundsätzlich nach wirtschaftlicher Zurechnung) ausgeschlossen hat. Zwar beruht die Vorsteuerberechnung aus gemischt genutzten Umsätzen gem. § 15 Abs. 4 UStG ebenfalls auf der Regelung des Art. 173 Abs. 2 MwStSystRL, der EuGH verweist jedoch auf den Spielraum der Mitgliedstaaten bei der Ausgestaltung dieser Regelung sowie auf die vom vorlegenden Gericht zu prüfenden Voraussetzungen.

Die Ausführungen des EuGH zu der Frage, ob der Fahrzeugverkauf und die damit in Zusammenhang stehende Kreditgewährung ein einheitlicher Umsatz oder zwei getrennte Hauptleistungen sind, bestätigen im Grunde die entsprechenden Regelungen in Abschnitt 3.11 UStAE.

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