Zum Recht auf Vorsteuerabzug im Rahmen eines geplanten Erwerbs von Anteilen einer anderen Gesellschaft, wenn dieser Erwerb letztendlich doch nicht vollzogen wird

Anmerkung zu EuGH, Urteil vom 17.10.2018, C-249/17, Ryanair Ltd

Praxisproblem

Bei dem irischen Vorabentscheidungsersuchen ging es um die Auslegung von Art. 4 der 6. EG-Richtlinie und den Umfang der Unternehmereigenschaft bzw. das Recht auf Vorsteuerabzug bei einer nicht erfolgreich verlaufenen Übernahme eines anderen Unternehmens durch eine Fluggesellschaft. Die Entscheidung hat daher Bedeutung für den Vorsteuerabzug an sich aber insbesondere auch zu Umstrukturierungsfälle und erfolglose Neu-Strukturierungsprojekte.

Sachverhalt

Die Klägerin ist eine Fluggesellschaft, die im Jahr 2006 ein Übernahmeangebot für eine andere Fluggesellschaft (L) abgegeben hatte. Die Übernahme kam nicht zustande. Die Klägerin hatte im Zusammenhang mit dem Übernahmeangebot umsatzsteuerpflichtige Leistungen von dritter Seite empfangen und machte daraus den Vorsteuerabzug geltend. Die irische Steuerverwaltung lehnte den Vorsteuerabzug ab. Im Einspruchsverfahren folgte die zuständige Einspruchskommission der Auffassung der Verwaltung. Der vorlegende Supreme Court ging von dem Sachverhalt aus, dass die Klägerin beabsichtigte im Falle eines erfolgreichen Übernahmeangebots mittels einer einzigen Unternehmensgruppe im Luftverkehrssektor geschäftlich tätig zu sein, wobei die eigenständigen Marken der Klägerin und von L beibehalten werden und ihr jeweiliger Geschäftsbetrieb über eigenständige Gesellschaften stattfinden sollte. Ferner habe die Klägerin die Absicht gehabt, nicht nur als bloßer Inhaber von Anteilen an L aufzutreten, sondern L durch Nutzbarmachung der Sachkunde und Erfahrung der Klägerin, d. h. durch umsatzsteuerpflichtige Geschäftsführungsleistungen gegenüber L zu mehr Profitabilität zu verhelfen, ohne die eigenständige Rechtspersönlichkeit von L anzutasten.

Die Klägerin machte geltend, dass zwar der Erwerb von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft zum Zweck ihrer bloßen Innehabung nicht vom Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeit nach Art. 4 der 6. EG-Richtlinie umfasst ist. Jedoch falle der Erwerb von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft mit der Zielsetzung, den Erwerber in die Lage zu versetzen, steuerbare Ausgangsumsätze (in Gestalt der Erbringung von Geschäftsführungsleistungen gegenüber der Gesellschaft im Fall ihres Erwerbs) zu tätigen, unter den Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeit. In diesem Zusammenhang berief sich die Klägerin auf Rechtsprechung des EuGH v. 27.09.2001, C-16/00, Cibo Participations sowie v. 14.02.1985, 268/83, Rompelman. Die Klägerin meinte, diesen Urteilen sei zu entnehmen, dass die Erbringung von Geschäftsführungsleistungen durch eine Holding-Gesellschaft gegenüber einer Tochtergesellschaft eine wirtschaftliche Tätigkeit i. S. v. Art. 4 der 6. EG-Richtlinie darstellt. Aus dem Urteil Rompelman gehe hervor, dass die im Zusammenhang mit der Vorbereitung einer Investition entrichtete MwSt selbst dann als Vorsteuer geltend gemacht werden kann, wenn sich später herausstellt, dass die beabsichtigte wirtschaftliche Tätigkeit, auf die die Investition gerichtet gewesen war, nicht stattfindet.

Die irische Steuerverwaltung verwies dagegen hinsichtlich des Begriffs der wirtschaftlichen Tätigkeit auf die Unterscheidung zwischen dem Erwerb von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zwecks ihrer bloßen Innehabung einerseits und einer Investition in Gesellschaftsanteile zwecks ihrer bloßen Innehabung andererseits. Die Verwaltung stellte daher die Frage, ob die Rompelman-Rechtsprechung im Zusammenhang mit einem beabsichtigten Anteilserwerb auch dann anwendbar ist, wenn die Absicht besteht, gegenüber dem in Aussicht genommenen Erwerbsobjekt Geschäftsführungsleistungen zu erbringen. Darüber hinaus machte die Steuerverwaltung auf die im Cibo-Urteil angegebene Voraussetzung aufmerksam, dass zwischen den Leistungen, bezüglich deren ein Vorsteuerabzug geltend gemacht wird, und den Ausgangsumsätzen, ein unmittelbarer Zusammenhang bestehen müsse. Sie führte an, dass zwischen den Dienstleistungen, die der Unterstützung eines möglichen Anteilserwerbs dienen sollten, und der letztendlich beabsichtigten Erbringung von Geschäftsführungsleistungen gegenüber dem in Aussicht genommenen Erwerbsobjekt kein direkter und unmittelbarer Zusammenhang besteht.

Das Vorlagegericht fragte den EuGH, ob die Absicht, im Fall einer erfolgreichen Übernahme einer anderen Kapitalgesellschaft zukünftig für diese Geschäftsführungsleistungen zu erbringen, für die Feststellung ausreichen kann, dass der Kaufinteressent eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne des Art. 4 der 6. EG-Richtlinie ausübt und zwischen den entstandene Übernahmekosten und der beabsichtigten Geschäftsführungsleistung ein hinreichender Zusammenhang mit der Folge der Berechtigung zum Vorsteuerabzug für die Übernahmekosten besteht.

Entscheidung

Der EuGH hat auf seine bisherige Rechtsprechung zum Umfang des Vorsteuerabzugs verwiesen. Eine Gesellschaft, deren einziger Zweck der Erwerb von Beteiligungen an anderen Unternehmen ist, ohne dass sie unmittelbar oder mittelbar in die Verwaltung dieser Gesellschaften eingreift, ist kein Unternehmer und somit nicht zum Vorsteuerabzug gemäß berechtigt. Der bloße Erwerb und das bloße Halten von Gesellschaftsanteilen stellen für sich genommen keine wirtschaftliche Tätigkeit dar, die den Erwerber bzw. Inhaber zum Unternehmer machen würden, da der bloße Erwerb finanzieller Beteiligungen an anderen Unternehmen keine Nutzung eines Gegenstands zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen darstellt. Eine etwaige Dividende als Ergebnis dieser Beteiligung ist Ausfluss des bloßen Eigentums an diesem Gegenstand.
Etwas anderes gilt aber, wenn die Beteiligung unbeschadet der Rechte, die dem Anteilseigner in seiner Eigenschaft als Aktionär oder Gesellschafter zustehen, mit unmittelbaren oder mittelbaren Eingriffen in die Verwaltung der Gesellschaft einhergeht, an der die Beteiligung erworben worden ist. Auch sind, da die wirtschaftlichen mehrere aufeinanderfolgende Handlungen umfassen können, die vorbereitenden Tätigkeiten bereits der wirtschaftlichen Tätigkeit zuzurechnen.

Daraus folgt nach dem vorliegenden Urteil, dass eine Gesellschaft, die im Rahmen eines geplanten Erwerbs von Anteilen einer anderen Gesellschaft vorbereitende Handlungen in der Absicht vornimmt, eine wirtschaftliche Tätigkeit auszuüben, die darin bestehen soll, in die Verwaltung dieser Gesellschaft einzugreifen, indem sie für diese steuerpflichtige Geschäftsführungsleistungen erbringen würde, als Unternehmer anzusehen ist.

Somit kann eine Gesellschaft wie im Ausgangsverfahren, die beabsichtigt, die gesamten Anteile einer anderen Gesellschaft zu erwerben, um eine wirtschaftliche Tätigkeit in Form steuerpflichtiger Geschäftsführungsleistungen gegenüber diesen anderen Gesellschaft auszuüben, das Recht, die für die Ausgaben für Beratungsdienstleistungen, die sie im Rahmen eines förmlichen Übernahmeangebots in Anspruch genommen hatte, entrichtete MwSt in vollem Umfang als Vorsteuer abzuziehen, auch dann verleihen, wenn diese wirtschaftliche Tätigkeit letztlich nicht ausgeübt wurde, sofern diese Ausgaben ausschließlich in der beabsichtigten wirtschaftlichen Tätigkeit begründet sind. Damit steht der Klägerin grundsätzlich das Recht auf sofortigen Abzug der auf die Eingangsleistungen entrichteten MwSt als Vorsteuer zu, auch wenn die wirtschaftliche Tätigkeit, die zu steuerbaren Umsätzen führen sollte, letztlich nicht ausgeübt wurde und daher nicht zu solchen Umsätzen führte.

Praxishinweis

Das Urteil hat auch Bedeutung für das deutsche Umsatzsteuerrecht. Nach Abschnitt 2.3 Abs. 3 UStAE stellt u. a. das Erwerben einer gesellschaftsrechtlichen Beteiligung eine unternehmerische Tätigkeit dar (vgl. EuGH, Urt. v. 06.02.1997, C-80/95, Harnas & Helm), wenn die Beteiligung nicht um ihrer selbst willen (bloßer Wille, Dividenden zu erhalten) gehalten wird, sondern der Förderung einer bestehenden oder beabsichtigten unternehmerischen Tätigkeit (z. B. Sicherung günstiger Einkaufskonditionen, Verschaffung von Einfluss bei potenziellen Konkurrenten, Sicherung günstiger Absatzkonditionen) dient (vgl. EuGH, Urt. v. 11.07.1996, C-306/94, Régie dauphinoise), oder wenn, abgesehen von der Ausübung der Rechte als Gesellschafter oder Aktionär, unmittelbar in die Verwaltung der Gesellschaften, an denen die Beteiligung besteht, eingegriffen wird (vgl. EuGH, Urt. v. 20.06. 1991, C 60/90, Polysar Investments Netherlands). Die Eingriffe müssen dabei zwingend durch unternehmerische Leistungen im Sinne der § 1 Abs. 1 Nr. 1 und § 2 Abs. 1 UStG erfolgen. Hierbei kann es sich z. B. um administrative, finanzielle, kaufmännische oder technische Dienstleistungen an die jeweilige Beteiligungsgesellschaft handeln (vgl. EuGH, Urt. v. 27.09.2001, C-16/00, Cibo Participations, v. 12.07. 2001, C-102/00, Welthgrove, und v. 16.07.2015, C-108/14, Larentia + Minerva, und C-109/14, Marenave).

Gemessen an dieser Regelung war im Ausgangsfall die unternehmerische Tätigkeit der Klägerin zu bejahen. Da sie die konkrete und auch mit Eingangskosten glaubhaft nachzuvollziehende Absicht hatte, die Beteiligung zu erwerben, kann diese Absichtsbekundung für die Annahme der wirtschaftlichen Tätigkeit ausreichend sein, auch wenn es tatsächlich nicht zu der Beteiligung kommt. Auch dürfte ein entsprechend ausreichender Zusammenhang zwischen den entstandenen Kosten und der beabsichtigten Geschäftsführungstätigkeit für Zwecke des Vorsteuerabzugs aus den mit dem beabsichtigten Anteilserwerb entstandenen Kosten bestehen. Ohne den Beteiligungserwerb sind Geschäftsführungsleistungen im Rahmen einer Gesellschafterstellung nicht möglich. Die Unternehmereigenschaft beginnt mit dem ersten nach außen erkennbaren, auf eine Unternehmertätigkeit gerichteten Tätigwerden, wenn die spätere Ausführung entgeltlicher Leistungen beabsichtigt ist (Verwendungsabsicht) und die Ernsthaftigkeit dieser Absicht durch objektive Merkmale nachgewiesen oder glaubhaft gemacht wird. In diesem Fall entfällt die Unternehmereigenschaft - außer in den Fällen von Betrug und Missbrauch - nicht rückwirkend, wenn es später nicht oder nicht nachhaltig zur Ausführung entgeltlicher Leistungen kommt. Vorsteuerbeträge, die den beabsichtigten Umsätzen, bei denen der Vorsteuerabzug – auch auf Grund von Option – nicht ausgeschlossen wäre, zuzurechnen sind, können dann auch aufgrund von Gesetzesänderungen nicht zurückgefordert werden (vgl. EuGH, Urt. v. 29.02.1996, C-110/94, Inzo, und v. 08.06.2000, C-400/98, Breitsohl, und BFH, Urt. v. 22.02.2001, V R 77/96, und v. 08.03.2001, V R 24/98; vgl. auch Abschnitt 2.6 Abs. 1 UStAE).

Die umsatzsteuerrechtlichen Belange sollten in derartigen Projekte bereits frühzeitig Beachtung erlangen, da die Umsatzsteuer nicht zu einer definitiven Belastung für Wirtschaftsteilnehmer werden soll. Das USt-Team der AWB steht Ihnen mit seiner Erfahrung gern für Ihre Umstrukturierungsprojekte beratend zur Seite.

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