Bildungsleistungen, Surf- und Segelunterricht, Steuerbefreiung

Anmerkung zu: EuGH, Beschl. v. 07.10.2019, C-49/17 (HA)

Praxisproblem

Bei dem Vorabentscheidungsersuchen des FG Hamburg ging es um eine etwaige Steuerbefreiung für den Betrieb von Surf- und Segelschulen. Zu diesem Zweck beschäftigte der Unternehmer mehrere Surf- und Segellehrer und unterrichte außerdem einen Teil der Kurse selbst. In den Streitjahren erzielte er Umsätze aus Surf- und Katamarankursen, der Verköstigung und Unterbringung von Kursteilnehmern und anderen Personen, der Schulung von Urlaubern, dem Verleih und Verkauf von Surfartikeln in seinen Shops und dem Verkauf im Internethandel. Hinsichtlich seiner als umsatzsteuerfrei erklärten Kurse berief er sich teilweise auf Art. 132 Buchst. h, i und j MwStSystRL.

Sachverhalt

Mit Beschluss vom 14.12.2018 hatte das FG Hamburg dem EuGH insgesamt fünf Fragen vorgelegt:

  1. Umfasst der Begriff des Schul- und Hochschulunterrichts in Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j MwStSystRL auch Surf- und Segelunterricht? Ist es ausreichend, wenn ein solcher Unterricht in mind. einer Schule oder Hochschule des Mitgliedstaates angeboten wird?
  2. Ist es für die Annahme eines Schul- oder Hochschulunterrichts i. S. v. Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j MwStSystRL erforderlich, dass der Unterricht in die Benotung eingeht oder ist es ausreichend, wenn der Surf- oder Segelkurs im Rahmen einer Veranstaltung der Schule oder Hochschule erfolgt, etwa einer Klassenreise?
  3. Kann sich die Anerkennung einer Surf- und Segelschule als Einrichtung mit vergleichbarer Zielsetzung i. S. v. Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL aus den Regelungen des Schul- oder Hochschulrechts ergeben, wonach auch externe Surf- oder Segelkurse Teil des Sportunterrichts oder der Hochschulausbildung von Sportlehrern mit einer Benotung oder einem anderen Leistungsnachweis sin, und/oder einem Gemeinwohlinteresse an sportlicher Betätigung? Ist für eine solche Anerkennung eine unmittelbare oder mittelbare Kostenübernahme durch die Schule oder die Hochschule für die Kurse erforderlich?
  4. Stellen Surf- oder Segelkurse im Rahmen einer Klassenreise eine eng mit der Kinder- und Jugendbetreuung verbundene Dienstleistung i. S. v. Art. 132 Abs. 1 Buchst. h MwStSystRL dar; wenn ja, ist dafür eine bestimmte Dauer der Betreuung erforderlich?
  5. Setzt die Formulierung „von Privatlehrern erteilter Schul- und Hochschulunterricht“ in Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL voraus, dass der Steuerpflichtige den Unterricht persönlich erteilt?

Entscheidung

Der EuGH hat nach Maßgabe des Art. 99 seiner Verfahrensordnung durch Beschluss entschieden, da die Antwort auf die vorgelegten Fragen seiner Auffassung nach klar aus der bisherigen Rechtsprechung des EuGH und insbesondere aus dem Urteil v. 14.03.2019 (A & G Fahrschul-Akademie, C-449/17) abgeleitet werden könne.

Unter Bezugnahme auf seine bisherige Rechtsprechung (vgl. Urt. v. 14.06.2007, Horizon College, C-434/05; v. 28.01.2010, Eulitz, C-473/08; v. 04.05.2017, Brockenhurst College, C-699/15 und v. 14.03.2019, A & G Fahrschul-Akademie, C-449/17) gelangt der EuGH vorliegend zu der Feststellung, dass der Surf- und Segelunterricht in Schulen die Vermittlung verschiedener praktischer und theoretischer Kenntnisse beinhalte, aber gleichwohl ein
spezialisierter und punktuell erteilter Unterricht bleibe, der für sich allein nicht der für den Schul- und Hochschulunterricht kennzeichnenden Vermittlung, Vertiefung und Entwicklung von Kenntnissen und Fähigkeiten in Bezug auf ein breites und vielfältiges Spektrum von Stoffen gleichkomme.

Bzgl. der ersten und zweiten Vorlagefragen des FG Hamburg antwortet der EuGH, dass der Begriff „Schul- und Hochschulunterricht“ i. S. v. Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j MwStSystRL dahin auszulegen ist, dass er von Surf- und Segelschulen wie den im Ausgangsverfahren fraglichen durchgeführten Surf- und Segelunterricht für Schulen oder Universitäten, bei denen dieser Unterricht zum Sportprogramm bzw. zur Ausbildung von Sportlehrern gehören und in die Notenbildung eingehen kann, nicht umfasst. Die dritte Vorlagefrage des FG brauchte der EuGH daher nicht zu beantworten.

Ferner seien die Leistungen des Surf- und Segelunterrichts auch nicht als „eng mit der Kinder- und Jugendbetreuung“ i. S. v. Art. 132 Abs. 1 Buchst. h MwStSystRL verbunden, da diese Leistungen eher in der Vermittlung einer Reihe praktischer und theoretischer Kompetenzen zwecks Ausübung einer sportlichen Tätigkeit bestünden. Darüber hinaus sei auch nicht erkennbar, dass der Unternehmer als Einrichtung von dem betreffenden Mitgliedstaat anerkannt sei. So hat der EuGH auf die vierte Vorlagefrage geantwortet, dass der Begriff „eng mit der Kinder- und Jugendbetreuung verbundene“ Dienstleistungen i. S. v. Art. 132 Abs. 1 Buchst. h MwStSystRL dahin auszulegen ist, dass er Surf- und Segelunterricht, der von Surf- und Segelschulen wie den im Ausgangsverfahren fraglichen durchgeführt wird, unabhängig davon, ob dieser Unterricht im Rahmen einer Schulfahrt durchgeführt wird, nicht umfasst. Vor diesem Hintergrund brauchte der EuGH die fünfte Vorlagefrage (Eingrenzung des Begriffs des Privatlehrers i. S. v. Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL) ebenfalls nicht zu beantworten.

Praxishinweis

Der EuGH hat das Gebot einer eher engen Auslegung des Begriffs des Schul- und Hochschulunterrichts wiederum bestätigt. Klar ist, dass Unterricht, der allein der Freizeitgestaltung dient, nicht unter den Befreiungstatbestand fällt. Auch ist die Befreiung nicht nur auf Angebote anwendbar, die zu einem Berufsabschluss führen. Dennoch gibt es zahllose Unterrichtsangebote, die einen gewissen Nutzen für die Teilnehmer haben, ohne eine bestimmte Qualifikation zu vermitteln. Inwieweit ein Kurs als bloße Freizeitaktivität angesehen werden und daher nicht befreit ist, kann kaum von der subjektiven Einschätzung des Betroffenen abhängen. Der Ausschluss von reinen Freizeitangeboten, wie der EuGH im Urteil Haderer, C-445/05, feststellt, erlaubt nach dem vorliegenden Beschluss jedenfalls keinen Umkehrschluss in dem Sinne, dass jeder andere Unterricht als „Schul- und Hochschulunterricht“ i. S. d. Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j MwStSystRL anzusehen ist. Ansonsten wäre ein Ausufern der Steuerbefreiung zu befürchten, da praktisch jeder Unterricht über die bloße Freizeitgestaltung hinaus einer Berufsausübung irgendwie dienlich sein könnte. Dies widerspräche dem Gebot, Befreiungen als Ausnahme eng auszulegen.

Der vorliegende Beschluss zeigt, dass andere objektive Kriterien für die Abgrenzung der befreiten von den nicht befreiten Unterrichtsleistungen gelten müssen. Wenn man die verschiedenen Fallgruppen des Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL in ihrer Gesamtheit betrachtet, wird deutlich, dass der Gesetzgeber die Leistungen des staatlichen Bildungssystems vor Augen hatte. So wird der Begriff „Unterricht“ nicht als allgemeiner Oberbegriff genannt. Vielmehr wird Schul- und Hochschulunterricht aufgeführt – dies im Kontext mit der Erziehung von Kindern und Jugendlichen und der beruflichen Aus- und Fortbildung. Art. 132 Abs. 1 Buchst. i stellt dabei in erster Linie auf die Leistungen von Einrichtungen des öffentlichen Rechts ab, denen entsprechende Bildungsaufgaben übertragen worden sind. Andere Einrichtungen werden ihnen gleichgestellt, wenn sie eine vergleichbare Zielsetzung verfolgen. Damit wird das Angebot des öffentlich-rechtlichen Bildungssystems zum Leitbild des Befreiungstatbestands. Der EuGH hat vorliegend nochmals bestätigt, dass der Begriff des Schul- und Hochschulunterrichts einen autonomen unionsrechtlichen Begriff darstellt, der in allen Mitgliedstaaten einheitlich auszulegen ist und nicht vom konkreten nationalen Unterrichtssystem oder nationalen Recht abhängen kann. Bei der autonomen Auslegung kann jedoch das gemeinsame Grundverständnis aller Mitgliedstaaten berücksichtigt werden. Öffentliche Bildungseinrichtungen im Bereich des Schul- und Hochschulunterrichts erfüllen danach den staatlichen Auftrag, für die Allgemeinheit geeignete Bildungsangebote bereitzustellen.

Dem Vernehmen nach soll die mit dem zurzeit in den Beratungen befindlichen Gesetzentwurf zur Förderung der E-Mobilität vorgesehene Reform der Steuerbefreiung für Bildungsleistungen (§ 4 Nr. 21 UStG) aus dem Entwurf herausgenommen und (später) in ein gesondertes Gesetzgebungsvorhaben aufgenommen werden. Zumindest hat der Beschluss des Bundestags die Regelung nicht mehr enthalten. Somit bleibt der endgültige Anwendungsbereich der nationalen Steuerbefreiung für Bildungsleistungen, der durch die zurückliegende EuGH-Rechtsprechung unionsrechtlich maßgeblich neu bestimmt wurde, zunächst weiter offen.

 

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