EU-Kommission hat am 10.10.2019 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland wegen der neu eingeführten Haftung für Betreiber elektronischer Marktplätze eingeleitet.

Praxisproblem

Die EU-Kommission fordert von Deutschland den Widerruf der jüngsten Gesetzesänderungen zu der sog. Marktplatzhaftung zulasten europäischer Unternehmen, die online Waren an deutsche Verbraucher verkaufen

Sachverhalt

Die EU-Kommission hat am 10.10.2019 beschlossen, im Zusammenhang mit dem Fernverkauf von Waren über digitale Marktplätze ein sog. Aufforderungsschreiben als offizieller Beginn eines Vertragsverletzungsverfahrens an Deutschland zu richten.

Die EU-Kommission rügt die durch den deutschen Gesetzgeber mit dem „Gesetz zur Vermeidung von Umsatzsteuerausfällen beim Handel mit Waren im Internet und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften“ in §§ 22f, 25e UStG geschaffenen Verpflichtungen der Betreiber eines elektronischen Marktplatzes und der Haftung für den Handel auf einem elektronischen Marktplatz.

Die deutsche Regelung verlange von in der EU ansässigen Unternehmen, die Lieferungen an Abnehmer im Inland über einen elektronischen Marktplatz ausführen, die Vorlage einer Papierbescheinigung über deren steuerliche Erfassung im Inland.

Dieses Erfordernis stellt nach Auffassung der EU-Kommission eine unzulässige Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Beschränkung i. S. v. Art. 34 AEUV dar und verstoße zugleich gegen Art. 273 MwStSystRL i. V. m. dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

Nach der deutschen Regelung sei es für den Marktplatzbetreiber zudem besonders schwierig, eine Haftung zu vermeiden. Die den Marktplatzbetreibern auferlegten Verpflichtungen würden daher - so die EU-Kommission - gegen Art. 205 MwStSystRL i. V. m. mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen.

Darüber hinaus hätten sich die EU-Mitgliedstaaten bereits auf gemeinsame und effizientere Maßnahmen zur Bekämpfung von Mehrwertsteuerbetrug geeinigt, die am 01.01.2021 in Kraft treten. Die den Betreibern digitaler Marktplätze zur Vermeidung der gesamtschuldnerischen Haftung auferlegte Verpflichtung gehe über das in den EU-Vorschriften vorgesehene Maß hinaus und stehe im Widerspruch zu den Zielen der Strategie für einen digitalen Binnenmarkt. Schafft Deutschland nicht binnen zwei Monaten Abhilfe, kann die EU-Kommission in dieser Sache eine mit Gründen versehene Stellungnahme abgeben.

Praxishinweis

Nach der RL (EU) 2017/2455 des Rates vom 05.12.2017 zur Änderung der RL 2006/112/EG und der RL 2009/132/EG in Bezug auf bestimmte mehrwertsteuerliche Pflichten für die Erbringung von Dienstleistungen und für Fernverkäufe von Gegenständen (ABl. EU 2017 Nr. L 348/7.) gilt ab 01.01.2021 eine neue Leistungskommission bei Fernverkäufen über eine Internet-Plattform (Inanspruchnahme des Plattformbetreibers). Nach dem neuen Art. 14a MwStSystRL werden Unternehmer, die Fernverkäufe von aus Drittgebieten oder Drittländern eingeführten Gegenständen in Sendungen mit einem Sachwert von höchstens 150 EUR durch die Nutzung einer elektronischen Schnittstelle, z. B. eines Marktplatzes, einer Plattform, eines Portals oder Ähnlichem, unterstützen, so behandelt, als ob sie diese Gegenstände selbst erhalten und geliefert hätten (Art. 14a Abs. 1 MwStSystRL). Unternehmer, die die innergemeinschaftliche Lieferung von Gegenständen durch einen nicht in der Gemeinschaft ansässigen Unternehmer an einen Nichtunternehmer durch die Nutzung einer elektronischen Schnittstelle, z. B. eines Marktplatzes, einer Plattform, eines Portals oder Ähnlichem, unterstützen, werden so behandelt, als ob sie diese Gegenstände selbst erhalten und geliefert hätten (Art. 14a Abs. 2 MwStSystRL). Mit dieser Regelung wird eine Leistungskommission nach dem Vorbild der Dienstleistungskommission gem. Art. 28 MwStSystRL einmal für Fernverkäufe von aus Drittgebieten oder Drittländern eingeführten Gegenständen in Sendungen mit einem Sachwert von höchstens 150 EUR (unabhängig von der Ansässigkeit des liefernden Unternehmers und unabhängig von dem endgültigen Bestimmungsort der gelieferten Gegenstände in der EU, ob Einfuhrmitgliedstaat oder ein anderer Bestimmungsmitgliedstaat) und zum anderen für innergemeinschaftliche Lieferungen (d. h. grenzüberschreitende Lieferungen innerhalb der EU, nicht Inlandslieferungen in einem Mitgliedstaat) durch Drittlandsunternehmer an Privatabnehmer eingeführt. Adressat dieser Leistungskommission, der so behandelt wird, als habe er die Lieferungen selbst empfangen und selbst ausgeführt (was zu entsprechenden umsatzsteuerlichen Erklärungs- und Aufzeichnungspflichten führt), sind Betreiber von Internet-Plattformen bzw. Internet-Marktplätzen, über die solche Verkäufe abgewickelt werden. Die Fiktion in Art. 14a MwStSystRL bedeutet, dass umsatzsteuerrechtlich zwei Lieferungen (vom liefernden Unternehmer an den Plattformbetreiber und von diesem an den Endkunden) vorliegen. Die Betreiber von Internet-Plattformen werden also nicht lediglich als für die Steuer Haftende in Anspruch genommen, sondern so behandelt, als hätten sie die Lieferungen, die die liefernden Unternehmer über die Plattform ausführen, selbst bewirkt. Offensichtlich sieht die EU-Kommission die geltende deutsche Haftungsregelung im Widerspruch zu dem ab 01.01.2021 bestehenden unionsrechtlichen Ansatz.

Die EU-Kommission kann ein förmliches Vertragsverletzungsverfahren einleiten, wenn ein Mitgliedstaat die Maßnahmen zur vollständigen Umsetzung einer Richtlinie nicht mitteilt oder einen mutmaßlichen Verstoß gegen das EU-Recht nicht behebt. Das Verfahren läuft in mehreren Schritten ab, die in den EU-Verträgen festgelegt sind und jeweils mit einem förmlichen Beschluss enden. Zunächst übermittelt die Kommission (wie vorliegend an Deutschland) dem betreffenden Mitgliedstaat ein Aufforderungsschreiben, in dem sie um weitere Informationen ersucht. Das Land muss innerhalb einer festgelegten Frist von in der Regel zwei Monaten ein ausführliches Antwortschreiben übermitteln. Gelangt die Kommission zu dem Schluss, dass der Mitgliedstaat seinen Verpflichtungen nach dem EU-Recht nicht nachkommt, gibt sie eine sog. mit Gründen versehene Stellungnahme ab. Dabei handelt es sich um eine förmliche Aufforderung, Übereinstimmung mit dem EU-Recht herzustellen. In der Stellungnahme erläutert die Kommission, warum sie der Auffassung ist, dass das Land gegen EU-Recht verstößt. Sie fordert es außerdem auf, sie innerhalb einer festgelegten Frist von in der Regel zwei Monaten über die getroffenen Maßnahmen zu unterrichten. Stellt der Mitgliedstaat daraufhin immer noch keine Übereinstimmung mit dem EU-Recht her, kann die Kommission den EuGH mit dem Fall befassen, d. h. Klage erheben.

 

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