Juristische Person des Privatrechts als Einrichtung des öffentlichen Rechts

Anmerkung zu: BMF-Schreiben v. 18.09.2019 zur Umsetzung des EuGH-Urteil C-174/14, Saudaçor

Praxisproblem

Der BFH hatte in seinem Beschluss v. 21.03.2018, XI B 113/17, entschieden, dass eine juristische Person des Privatrechts zwar unter weiteren Voraussetzungen eine Einrichtung des öffentlichen Rechts sein kann, aber eine Tätigkeit, die darin besteht, dass eine GmbH als juristische Person des Privatrechts aufgrund eines Vertrags zwischen ihr und einer Gemeinde bestimmte öffentliche Aufgaben wahrnimmt, nicht von der in dieser Bestimmung vorgesehenen Regel der Behandlung als nicht mehrwertsteuerpflichtig erfasst wird (vgl. EuGH-Urt. v. 29.10.2015, C-174/14, Saudaçor; v. 22.02.2018, C-182/17, Ntp. Nagyszénás). Eine Person, die […] der öffentlichen Gewalt vorbehaltene Handlungen vornimmt, dies aber in Unabhängigkeit tut, ohne in die Organisation der öffentlichen Verwaltung eingegliedert zu sein, ist nicht als Einrichtung des öffentlichen Rechts anzusehen, so dass ihr die Bestimmung des Art. 13 MwStSystRL nicht zugutekommen kann.

Durch diese Entscheidungen ist nach Auffassung des BFH auch geklärt, dass alleine die Übertragung einer Aufgabe […] nicht eine Eingliederung in die öffentliche Verwaltung bewirkt; denn die Eigenschaft als „Einrichtung des öffentlichen Rechts“ könne nicht allein dadurch begründet werden, dass die in Rede stehende Tätigkeit in der Vornahme von der öffentlichen Gewalt vorbehaltenen Handlungen besteht (vgl. EuGH-Urt. Saudaçor). Vielmehr müsse eine Eingliederung in die öffentliche Verwaltung ebenso bestehen.

In seiner Entscheidung vom 02.12.2015, V R 67/14, BStBl II 2017, 560, führt der BFH aus, dass der EuGH es im Urteil Saudaçor,C-174/14, für möglich gehalten habe, dass eine Aktiengesellschaft als Einrichtung des öffentlichen Rechts angesehen werden könne, für die Art. 13 Abs. 1 MwStSystRL gelte. Dies erfordere aber auch nach der Auffassung des EuGH, dass die Aktiengesellschaft „im Rahmen der öffentlichen Gewalt handelt“ (EuGH-Urt. Saudaçor, C-174/14, Rz 69). Hierfür müssten Tätigkeiten vorliegen, die von den Einrichtungen des öffentlichen Rechts „im Rahmen der ihnen eigenen rechtlichen Regelung“ ausgeübt werden. Nicht dazu gehörten Tätigkeiten, die sie unter den gleichen rechtlichen Bedingungen ausüben wie private Wirtschaftsteilnehmer. Der EuGH habe auch klargestellt, dass der Gegenstand oder der Zweck der Tätigkeit insoweit unerheblich seien und dass die Tatsache, dass die Ausübung der in Rede stehenden Tätigkeit das Gebrauchmachen von hoheitlichen Befugnissen umfasse, die Feststellung erlaube, dass diese Tätigkeit einer öffentlich-rechtlichen Regelung unterliege (EuGH-Urt. Saudaçor, C-174/14, Rz 70). Diese Voraussetzung sei nicht erfüllt, wenn die hoheitlichen Befugnisse, über die eine Aktiengesellschaft ggf. verfüge, kein Instrument seien, um die wirtschaftliche Tätigkeit auszuüben (EuGH-Urt. Saudaçor, C-174/14, Rz 72).

Entscheidung

Die Verwaltung folgt mit dem BMF-Schreiben v. 18.09.2019 nunmehr der EuGH- und BFH-Rechtsprechung und geht von folgenden Grundsätzen aus:

1. Einrichtung des öffentlichen Rechts
Die juristische Person des privaten Rechts gilt als eine sonstige Einrichtung des öffentlichen Rechts i. S. d. Art. 13 MwStSystRL, wenn sie in die öffentliche Verwaltung eingegliedert ist. Die Eingliederung ergibt sich nicht allein aus der Vornahme von der öffentlichen Gewalt vorbehaltenen Handlungen.

Für das Merkmal der Eingliederung in die öffentliche Verwaltung müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein:

  • Die juristische Person muss durch Bundes- oder Landesgesetz oder Rechtsverordnung errichtet worden sein. Darin muss die Eingliederung in die öffentliche Verwaltung sowie die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben durch Ausübung öffentlicher Gewalt geregelt sein. Soweit Einzelheiten in ergänzenden anderen öffentlich-rechtlichen Regelungen geregelt sind, ist dies unschädlich. Die juristische Person muss mit Aufgaben der öffentlichen Verwaltung beliehen sein und zur Ausübung dieser Aufgaben hoheitliche Befugnisse innehaben sowie der Aufsicht einer juristischen Person des öffentlichen Rechts unterstehen.
  • Die juristische Person steht zeitlich unbegrenzt im Eigentum einer einzelnen juristischen Person des öffentlichen Rechts, die durch verbindliche Leitlinien und ähnliche Maßnahmen einen bestimmenden Einfluss auf die juristische Person ausübt. Eine nur mittelbare Beteiligung reicht nicht aus.
  • Verträge zwischen der juristischen Person des privaten Rechts und der juristischen Person des öffentlichen Rechts müssen bzgl. der wesentlichen Rahmenbedingungen des Zusammenwirkens ausschließlich dem öffentlichen Recht zuzuordnen sein (öffentlich-rechtlicher Vertrag).
  • Die juristische Person muss sich im Vergleich zu sonstigen Privaten hinsichtlich ihrer Organisation und Arbeitsweise stärker an den gesetzlichen Vorgaben des öffentlichen Rechts orientieren. In diesem Rahmen muss das Privatrecht gegenüber den Regeln, die die rechtliche Verfassung der juristischen Person als öffentliches Unternehmen bestimmen, zweitrangig sein.
  • Die juristische Person muss ganz überwiegend aus Haushaltsmitteln der beteiligten juristischen Person des öffentlichen Rechts finanziert werden. Sie darf Leistungen im Wesentlichen (d. h. in der Regel zu mehr als 95 %) nur an die juristische Person des öffentlichen Rechts erbringen, die den bestimmenden Einfluss ausübt. Eine Finanzierung aus Haushaltsmitteln ist auch gegeben, wenn die juristische Person des privaten Rechts ihre Leistungen an die beherrschende juristische Person des öffentlichen Rechts, die annähernd ausschließlicher Leistungsempfänger ist, kostendeckend oder gar mit Gewinn erbringt und daher nicht auf Gesellschafterbeiträge oder Zuschüsse angewiesen ist.

2. Im Rahmen der öffentlichen Gewalt
Tätigkeiten im Rahmen der öffentlichen Gewalt liegen vor, wenn sie im Rahmen der ihnen eigenen rechtlichen Regelungen ausgeübt werden. Nicht dazu gehören Tätigkeiten, die unter den gleichen rechtlichen Bedingungen ausgeübt werden wie von privaten Wirtschaftsteilnehmern, d. h. durch privatrechtliche Ausgestaltung der Leistungsbeziehungen (s. BMF-Schr. v. 16.12.2016, BStBl 1451). Die Tätigkeit muss das Gebrauchmachen von hoheitlichen Befugnissen mitumfassen. Alle wirtschaftlichen, d. h. unternehmerischen Tätigkeiten müssen eng mit der Ausübung hoheitlicher Befugnisse im Zusammenhang stehen. Die Einrichtung muss sich der hoheitlichen Befugnisse gerade für die für die Umsatzsteuer relevante Tätigkeit bedienen.

3. Rechtsfolgen
Kommt die zuständige Finanzbehörde zum Ergebnis, dass eine Berufung auf Art. 13 Abs. 1 Erster Unterabsatz MwStSystRL möglich ist, ist anschließend die Wettbewerbsprüfung nach § 2b Abs. 1 Satz 2 UStG vorzunehmen. Soweit § 2b UStG anwendbar ist, besteht kein Anspruch auf Abzug der Vorsteuerbeträge.

4. Allgemeine Hinweise
Bei der Prüfung ist zu beachten, dass § 2b UStG als Ausnahmevorschrift eng auszulegen ist. Entscheidend ist eine Gesamtbetrachtung im Einzelfall durch die zuständige Finanzbehörde.

5. Anwendungsregelung
Beruft sich eine juristische Person des privaten Rechts für Zeiträume vor dem 01.01.2017 auf Art. 13 Abs. 1 Erster Unterabschnitt MwStSystRL und erfüllt sie die Voraussetzungen einer Ein¬richtung des öffentlichen Rechts, sind die weiteren Voraussetzungen des Art. 13 MwStSystRL nach den Grundsätzen der Rechtsprechung des BFH zur Unternehmereigenschaft von juristischen Personen des öffentlichen Rechts in richtlinienkonformer Auslegung des § 2 Abs. 3 Satz 1 UStG zu prüfen (vgl. BMF-Schr. v. 27.07.2017, BStBl I S. 1239).

Praxishinweis

Für die Annahme einer Einrichtung des öffentlichen Rechts trotz privatrechtlicher Rechtsform ist erforderlich, dass sich die Anteile im Eigentum einer einzigen jPöR befinden. Denn bei mehreren Anteilseignern wird häufig keinem der Beteiligten ein bestimmender Einfluss auf die juristische Person möglich sein, wie er vom EuGH gefordert wird.

Eine juristische Person soll nur dann in die öffentliche Verwaltung eingegliedert sein und als Einrichtung des öffentlichen Rechts anerkannt werden können, wenn die Leistungsbeziehungen zwischen der juristischen Person und ihrem Anteilseigner auf öffentlich-rechtlicher Grundlage erfolgen. Eine solche Anforderung hat der EuGH indes nicht gestellt. Er hält im Gegenteil eine Eingliederung der Saudaçor für möglich, obwohl diese aufgrund privatrechtlicher Programm-Verträge für die ARA tätig ist (vgl. Rz. 65 des EuGH-Urt.). Dem Handeln auf öffentlich-rechtlicher oder privatrechtlicher Grundlage kommt jedoch Bedeutung für die Frage zu, ob eine Einrichtung des öffentlichen Rechts i. R. d. öffentlichen Gewalt tätig ist.

Die in dem BMF-Schreiben geforderte Errichtung durch Bundes- oder Landesgesetz oder Rechtsverordnung dürfte nicht erforderlich sein. Der EuGH führt aus, dass eine organschaftliche Verbindung vorliegen muss, „sei es nur deshalb“, weil die privatrechtliche Gesellschaft durch Rechtsakt errichtet wurde. Die organschaftliche Verbindung kann hierdurch also geschaffen werden, ist aber nicht für die Begründung der Verbindung zwingend erforderlich. Eine organschaftliche Verbindung dürfte vielmehr auch dann gegeben sein, wenn die Entscheidungsträger in der Gesellschaft von der öffentlichen Hand entsandt werden, z. B. in Form beurlaubter Beamter.

Nach dem BMF-Schreiben muss die juristische Person zeitlich unbegrenzt im Eigentum einer einzelnen juristischen Person des öffentlichen Rechts stehen, die durch verbindliche Leitlinien und ähnliche Maßnahmen einen bestimmenden Einfluss auf die juristische Person ausübt. Eine nur mittelbare Beteiligung soll nicht ausreichend sein. Dies dürfte aber doch der Fall sein, wenn die privatrechtliche Zwischengesellschaft nach den Grundsätzen des EuGH-Urteils umsatzsteuerrechtlich als Einrichtung des öffentlichen Rechts zu behandeln ist.

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