FG Hessen zum Leistungsaustausch bei Zahlungen des Mieters für die vorzeitige Beendigung des Mietverhältnisses

Anmerkung zu: FG Hessen, Urt. v. 27.04.2017, 6 K 1986/16

Praxisproblem

In der dem Urteil vom 27.04.2017, 6 K 1986/16, zu Grunde liegenden Entscheidung hatte sich das FG Hessen mit der Einordnung einer Abfindungszahlung des Mieters an den Vermieter im Zusammenhang mit der vorzeitigen Beendigung eines gewerblichen Mietverhältnisses auseinanderzusetzen.

Fraglich war, ob es sich bei solchen Abfindungszahlungen um echten Schadenersatz oder um Leistungsentgelt i. S. v. § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG handelt. Nur im letztgenannten Fall ließe sich die Steuerbarkeit zu Zwecken der Umsatzsteuer bejahen.

Für die Praxis ist die Entscheidung insbesondere mit Blick auf die anzufertigende Umsatzsteuerjahreserklärung relevant: Würdigt der erklärende Unternehmer entsprechende Zahlungseingänge als echten Schadensersatz und gibt sie deshalb nicht mit an, so droht bei anderer Wertung durch das Finanzamt eine spätere Erhöhung der Umsätze im Umsatzsteuerbescheid mit evtl. nachfolgend wirtschaftlicher Definitivbelastung und Vollverzinsung (§ 233a AO).

Sachverhalt

Die klagende GmbH erwarb durch ihre drei Tochtergesellschaften – mit denen sie im Streitjahr 2008 eine umsatzsteuerliche Organschaft bildete – im Jahr 2005 eine Liegenschaft, welche vormals im Eigentum des E-Konzerns stand. Dieser hatte die Liegenschaft bis 2001 als Unternehmenszentrale genutzt. Die Tochtergesellschaften vermieteten Teile dieser Liegenschaft im Jahr 2005 sodann an den E-Konzern zur weiteren Nutzung. Dabei wurde eine Mietzeit vom 01.01.2006 bis zum 31.12.2015 sowie eine Verlängerungsoption bis zum 31.12.2017 zugunsten der vermietenden Tochtergesellschaften vereinbart. Die Möglichkeit zur Ausübung der Verlängerungsoption war an das Nichtzustandekommen eines neuen Bebauungsplans für die gesamte Liegenschaft bis zum 31.12.2010 gekoppelt. Ein ordentliches Kündigungsrecht stand dem E-Konzern nach dem Vertrag nicht zu. Vielmehr wurde das Kündigungsrecht auf wichtige Gründe beschränkt, wozu konzerninterne Umstrukturierungen aber nicht zählen sollten. Die nicht vermieteten Teile des Areals beabsichtigte die Klägerin fortzuentwickeln und umfangreich zu bebauen. Dies wurde dem Mietvertrag per Präambel vorangestellt. Zudem verpflichtete sich der E-Konzern, die Klägerin bei der Erlangung des zur Fortentwicklung von der Stadt A benötigten Baurechts zu unterstützen. Ferner wurde in der Präambel auch niedergelegt, dass der E-Konzern seinen Geschäftsbetrieb auf der Liegenschaft mit 950 Arbeitnehmern fortführen würde. Der E-Konzern sagte im Mietvertrag auch zu, die Fortentwicklung des Areals zu unterstützen, indem er mit dem Geschäftsbetrieb gegebenenfalls in neugeschaffene Gebäude innerhalb der Liegenschaft umziehen würde. Die Parteien waren sich nach den Bestimmungen des Mietvertrages darüber einig, dass dem E-Konzern der Unterhalt, die Versicherung sowie die Verkehrssicherung der Mietsache samt der dafür anfallenden Kosten oblag. Mietminderungen wegen womöglich entstehenden Baulärms im Zuge der Fortentwicklung des Areals sollte der E-Konzern nicht geltend machen dürfen. Umfangreichere Bauarbeiten waren dem Vertrag zufolge aber frühzeitig abzustimmen.

Die Umsätze aus der Vermietung waren wegen eines wirksamen Verzichts auf die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 12 Satz 1 a) UStG i. V. m. § 9 Abs. 1 und Abs. 2 UStG umsatzsteuerpflichtig. Die Klägerin berechnete die Umsatzsteuer im Besteuerungszeitraum 2008 gem. §§ 13 Abs. 1 Nr. 1, 16 Abs. 1 Satz 1 UStG unstreitig nach vereinbarten Entgelten.

Im Jahr 2008 schlossen die Tochtergesellschaften der Klägerin und der E-Konzern aufgrund konzerninterner Umstrukturierungen im E-Konzern einen Abänderungsvertrag zum ursprünglichen Mietvertrag aus dem Jahr 2005. Darin wurde das Mietlaufzeitende auf das Datum 31.12.2010 verkürzt. Zu diesem Zeitpunkt sollten das Mietverhältnis und die vermieterseitige Verlängerungsoption erlöschen. Der E-Konzern sagte zu, dass die Vermieterin ab dem 01.01.2011 keine Rücksicht mehr auf die Nutzungsbelange des E-Konzerns zu nehmen bräuchte. Ferner wurde eine Abfindungszahlung von „xxx (…) zuzüglich Umsatzsteuer, insgesamt also xxx inklusive Umsatzsteuer“ bis spätestens 01.01.2011 vereinbart. Dabei wurde auch der regulär für die Zeit zwischen abgeändertem Mietzeitende und ursprünglichem Mietzeitende anfallende Mietzins offengelegt. Der E-Konzern verpflichtete sich zudem bestimmte Ausstattungsgegenstände auf eigene Kosten zu entfernen bzw. die den Vermietern für die Entfernung entstehenden Kosten zu ersetzen, eine weitere Renovierungspauschale zu zahlen, ein bestimmtes Gebäude renoviert zu übergeben und die Untersuchungen für Altlasten zu bezahlen. Auch stellten die Parteien die Wichtigkeit des Rückgabedatums für die Fortentwicklung des Areals übereinstimmend fest und einigten sich für den Fall der Zuwiderhandlung auf eine Vertragsstrafe.

Die Abfindungszahlung ging im Jahr 2008 auf dem Konto einer der Tochtergesellschaften der Klägerin ein. Die Klägerin wertete diese Zahlung als echten Schadenersatz und nahm sie nicht in ihre Umsatzsteuerjahreserklärung mit auf. Die Umsatzsteueranmeldung stand dabei nach § 168 Satz 1 AO einer Festsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleich. Zudem erhielt die Klägerin eine weitere Zahlung des E-Konzerns infolge eines Vergleichs über die ausstehenden Instandhaltungs-, Instandsetzungs-, Rückbau- und Renovierungspflichten.

Das zuständige FA kam infolge einer bei der Klägerin in 2016 unter anderem auch für das streitbefangene Jahr durchgeführten Betriebsprüfung zu einer anderen Würdigung der Abfindungszahlung: Es handele es sich um einen umsatzsteuerbaren Leistungsaustausch. Das Festsetzungsfinanzamt schloss sich dieser Auffassung im Jahr 2016 an und erhöhte die Umsätze der Klägerin im Umsatzsteuerbescheid für das Jahr 2008. Dagegen versuchte sich die Klägerin erfolglos mittels Antrag auf Aussetzung der Vollziehung und mittels Einspruch zu wehren. Sodann erhob die Klägerin Klage auf Rückgängigmachung der Änderungen aus dem Jahr 2016 und brachte vor, dass die Einordnung als umsatzsteuerbarer Leistungsaustausch verfehlt sei, es sich vielmehr um einen nicht steuerbaren echten Schadenersatz handele. Zudem sei das EuGH-Urteil vom 18.07.2007, C-277/05, Société thermale d’Éugenie-les-Bains, zu beachten, wonach das von einem vom Beherbergungsvertrag zurücktretenden Hotelgast gezahlte „Angeld“ kein Entgelt im Rahmen eines steuerbaren Umsatzes, sondern echter Schadenersatz wegen Nichtinanspruchnahme der vereinbarten Leistung sei.

Das beklagte FA hielt demgegenüber an seiner Auffassung fest. Des Weiteren sei die angeführte EuGH-Rechtsprechung der hier vorliegenden Konstellation nicht vergleichbar.

Entscheidung

Das FG Hessen verdeutlicht zunächst, dass der Abgrenzungsfrage – steuerbares Leistungsentgelt oder nicht steuerbarer echter Schadenersatz – nicht mit Blick auf § 14c Abs. 2 Satz 2 Var. 2 UStG ausgewichen werden könne: Die Norm bestimmt, dass der vermeintlich leistende Unternehmer den in einer Rechnung gesondert ausgewiesenen USt-Betrag auch dann schuldet, wenn eine Lieferung oder eine sonstige Leistung i. S. v. § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG nicht ausgeführt worden ist. Zwar könne eine „Rechnung“ auch im Zusammenspiel eines Vertrages mit einem Zahlungseingang gesehen werden, gleichwohl fehle es am „gesonderten Ausweis“ der USt. Dieser könne sich nicht aus einem bloßen Verweis auf die „gesetzlich geschuldete Umsatzsteuer“ ergeben, sondern müsse genau beziffert sein. Diesem Erfordernis entspreche die Formulierung im Änderungsvertrag nicht.

Sodann stellt das FG Hessen der Bewertung des Einzelfalls einige theoretische Überlegungen zur bereits erwähnten Abgrenzungsfrage voran: Voraussetzung für eine steuerbare Leistung gegen Entgelt (sog. Leistungsaustausch) i. S. v. Art. 2 Abs. 1 A) und C) der MwStSystRL und § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG sei, dass zwischen Leistung und Gegenleistung eine unmittelbare innere Verknüpfung im Sinne eines „do ut des“ bestehe. Dabei komme es nicht darauf an, ob die Verknüpfung rechtlicher oder faktischer Natur ist oder ob der Leistungsempfänger einen rechtlich durchsetzbaren Anspruch auf die Leistung hat. Hinsichtlich der Frage nach dem Vorliegen einer Leistung im Sinne eines solchen Leistungsaustauschs sei vordergründig auf das zugrundeliegende Rechtsverhältnis abzustellen. Für den Fall eines gegenseitigen Vertrages könne dies ebenso regelmäßig bejaht werden, wie für die Erbringung einer Leistung gegen Aufwendungsersatz. Demgegenüber kann es bei Abfindungs-, Entschädigungs- oder ähnlichen Ersatzleistungen an einem unmittelbaren Zusammenhang fehlen, da die Zahlung dort nicht für die Lieferung oder sonstige Leistung erbracht würde, sondern mit Blick auf eine gesetzliche oder vertragliche Schadenersatzpflicht. Wiederum anders zu beurteilen sei dies aber bei dem gegen Entgelt gewährten Verzicht auf eine gesetzlich oder vertraglich bestehende Rechtsposition.

Nach alledem ergebe die Subsumtion im konkreten Fall, dass es sich bei der Abfindungszahlung um ein Leistungsentgelt i. S. d. § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG handele, wodurch der Umsatzsteuerbescheid des FA für das Jahr 2008 aus dem Jahr 2016 rechtmäßig und die Klage unbegründet sei. Das FG Hessen führt dazu aus:

Die von der Klägerin vorgetragene EuGH-Entscheidung könne mangels Vergleichbarkeit für die Streitsache nicht herangezogen werden, denn der entscheidende Unterschied liege darin, dass die Parteien hier einen gesonderten Abänderungsvertrag mit einem eigenen Regelungsgehalt geschlossen hätten. Die Tochtergesellschaften der Klägerin hätten in umsatzsteuerbarer Weise gegen Entgelt auf die weitere Durchführung des Mietvertrages bis zum 31.12.2015 sowie auf die Ausübung der Verlängerungsoption verzichtet. Für diese Ansicht spräche auch die Entscheidung des 5. Senats des BFH vom 16.01.2014, V R 22/13 (BFH/NV 2014, 736, die einen ähnlich gelagerten Fall (einvernehmliche vergleichsweise Beendigung eines gewerblichen sonstigen IT-Dienstleistungsvertrages gegen Abfindungszahlung) zum Gegenstand hatte und in der Sachbehandlung ebenso verfuhr. Die Entscheidung des 11. Senats des BFH in BStBl. II 2010, 1084, zur Zahlung eines Bereitstellungsentgeltes für nicht in Anspruch genommene Leistungen eines Speditionsunternehmens betrifft demgegenüber einen Sonderfall (Anspruch aus § 415 Abs. 2 HGB analog auf sog. „Fautfracht“ als echter Schadensersatz umsatzsteuerlich nicht berücksichtigungsfähig) und sei daher nicht übertragbar.

Zu beachten sei darüber hinaus, dass die Tochtergesellschaften der Klägerin aufgrund der Einigung über die Verkürzung der Mietdauer sowie die zukünftig fehlende Unterstützung des E-Konzerns bei der Einholung der baurechtlichen Genehmigungen ihren Entwicklungsplan betreffend das Areal in zeitlicher Hinsicht umstellen mussten. Auch darin liege eine i. S. v. § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG verbrauchsteuerrechtlich relevante Rechtsposition.

Aus den gleichen Gründen sei auch der Umstand relevant, dass die vermietenden Tochtergesellschaften ab dem 01.01.2011 auf die von dem E-Konzern zu dessen Kosten vorgenommene Unterhaltung der Gebäude, die Wahrnehmung der Verkehrssicherungspflichten und die Gebäudeversicherung verzichteten.

Schließlich sei unbeachtlich, dass die zukünftig den Tochtergesellschaften obliegenden Unterhalts-, Verkehrssicherungs- und Versicherungskosten nicht ausdrücklich in den Abfindungszahlungsbetrag eingepreist worden seien, denn es könne davon ausgegangen werden, dass diese Kosten de facto bei den Verhandlungen eine Rolle gespielt haben.

Praxishinweis

Das FG Hessen hat wegen der divergierenden Entscheidungen BFH V R 22/12BFH/NV 2014, 736 und BFH BStBl. II 2010, 1084 die Revision zugelassen, § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO. Die Revision ist beim BFH bereits unter dem Az. XI R 20/17 anhängig, sodass der Fortgang der Rechtsprechung abzuwarten bleibt.

Bis dahin lässt sich als Kern der Entscheidung festhalten, dass es für die Abgrenzung von umsatzsteuerlich nicht zu berücksichtigendem echten Schadenersatz zu umsatzsteuerlich zu berücksichtigendem Leistungsentgelt darauf ankommt, ob auf eine nach Gesetz oder Vertrag bestehende Rechtsposition gegen Entgelt verzichtet wird. Freilich hat die Entscheidung gezeigt, dass die Abgrenzung im Einzelfall schwierig sein kann. Dazu beraten wir Sie gern!

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