BMF zur umsatzsteuerlichen Organschaft: Der aktuelle Stand der Neuregelungen der Verwaltung

Anmerkung zu: BFH, Urt. v. 20.10.2016, V R 31/15 und BFH, Urt. v. 16.11.2016, V R 1/16

Praxisproblem

In Fällen des Abrufs von Waren aus einem sog. Konsignationslager im Inland, das mit Waren aus dem übrigen Gemeinschaftsgebiet bestückt worden ist, können die Parteien vereinbaren, dass erst bei Abruf der Ware aus einem Konsignationslager durch den Abnehmer, also bei Entnahme, ein Kaufvertrag über die entnommene Ware bei gleichzeitiger Lieferung durch den Lieferanten und Erwerb durch den Abnehmer zustande kommt. Die Finanzverwaltung ist bisher der Auffassung (Abschn. 1a.2 Abs. 6 UStAE), dass in Fällen, in denen ein im übrigen Gemeinschaftsgebiet ansässiger Unternehmer Waren aus dem übrigen Gemeinschaftsgebiet in ein in Deutschland unterhaltenes sog. Konsignationslager liefert, aus dem der inländische Abnehmer bei Bedarf Waren entnimmt, grundsätzlich erst im Zeitpunkt der Entnahme eine in Deutschland steuerbare Lieferung vorliegt, der ein innergemeinschaftliches Verbringen des liefernden Unternehmers zu seiner Verfügung vorgeschaltet ist.

Die aktuellen Entscheidungen des BFH

Demgegenüber hat der BFH mit Urteil v. 20.10.2016, V R 31/15 (sowie auch Urt. v. 16.11.2016, V R 1/16) entschieden, dass Lieferungen aus dem EU-Ausland an einen inländischen Abnehmer auch dann als Versendungslieferungen i.S.v. § 3 Abs. 6 Satz 1 UStG zu beurteilen sind, wenn der Liefergegenstand nach dem Beginn der Versendung für kurze Zeit in einem Auslieferungslager gelagert wird. Voraussetzung ist aber, dass der Abnehmer bereits bei Beginn der Versendung feststeht. Nach Auffassung des BFH kommt es bei der Versendung an einen feststehenden Abnehmer nach § 3 Abs. 6 Satz 1 UStG entscheidend darauf an, dass durch die Versendung der Liefergegenstand an den Abnehmer gelangt, ohne dass der Versendungsvorgang „abgebrochen“ wird. Eine nur kurzzeitige Lagerung nach dem Beginn der Versendung (wie im Ausgangsfall des Verfahrens V R 31/15) führe aber zu keinem solchen „Abbruch“. Für den BFH war entscheidungserheblich, dass das Lager auf Initiative des Abnehmers eingerichtet war, der Abnehmer vertraglich ein uneingeschränktes Zugriffsrecht hatte und die Ware nur kurzzeitig (für die nächsten Tage und Wochen) eingelagert war, um den Warenbedarf für die Produktion zu decken. Der BFH führt an, auch der EuGH fordere für eine Beförderungs- und Versendungslieferung, die zu einer innergemeinschaftlichen Lieferung und einem korrespondierenden innergemeinschaftlichen Erwerb führe, einen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang zwischen der Lieferung des Liefergegenstands und seiner Beförderung sowie einen kontinuierlichen Ablauf des Vorgangs. Eine von vornherein nur kurzzeitige, vorübergehende Einlagerung sei dabei unschädlich. Das von der Verwaltung in Abschn. 1a.2 Abs. 6 Satz 1 UStAE angenommene innergemeinschaftliche Verbringen nach § 1a Abs. 2 UStG mit anschließender steuerpflichtiger Weiterlieferung im Inland hat der BFH ausdrücklich abgelehnt.

In dem Urteil in der Sache V R 1/16 bekräftigt der BFH seine bereits im Verfahren V R 31/15 vertretene Auffassung, dass für die Lieferortbestimmung nach § 3 Abs. 6 UStG der Abnehmer bereits bei Beginn der Versendung feststehen müsse. Eine Versendungslieferung könne dann auch vorliegen, wenn der Liefergegenstand nach dem Beginn der Versendung für kurze Zeit in einem Auslieferungslager gelagert werde. Anders als im Urteilsfall V R 31/15 stand aber nach Auffassung des BFH im Streitfall V R 1/16 bei Versendung der Waren der Abnehmer noch nicht fest. Erst mit der Entnahme der Waren aus dem Konsignationslager sei sicher gewesen, dass der inländische Unternehmer die Gegenstände behalten werde und bereit war, hierfür den Kaufpreis zu entrichten. Ein verbindlicher Kaufvertrag sei zwischen den Vertragsbeteiligten erst nach der Einlagerung der Waren geschlossen worden, weil der inländische Unternehmer nicht von vornherein dazu verpflichtet war, die von dem niederländischen Lieferer in das Lager verbrachten Waren abzunehmen. Der inländische Unternehmer sei auch erst nach der Entnahme der Waren aus dem Konsignationslager zur Zahlung verpflichtet gewesen. Die Einlagerung in das Konsignationslager des inländischen Unternehmers führe deshalb nicht lediglich zu einer nur kurzen Unterbrechung der begonnenen Versendung an einen bereits feststehenden Abnehmer. Der Ort der Lieferungen richte sich deshalb nicht nach § 3 Abs. 6 UStG, sondern nach § 3 Abs. 7 Satz 1 UStG, und befinde sich am Ort des Konsignationslagers im Inland. Da die an dem Leistungsaustausch Beteiligten rechtsirrtümlich die Gegenleistung ohne Umsatzsteuer vereinbarten, ist nach Auffassung des BFH der vereinbarte Betrag in Entgelt und darauf entfallende Umsatzsteuer aufzuteilen.

Praxishinweis

Der BFH hatte bereits mit Urteil v. 30.07.2008, XI R 67/07, entschieden, dass eine Lieferung auch dann bei Beginn der Versendung in einem anderen Mitgliedstaat als dort ausgeführt gilt, wenn die Person des inländischen Abnehmers dem mit der Versendung Beauftragten im Zeitpunkt der Übergabe der Ware nicht bekannt ist, aber mit hinreichender Sicherheit leicht und einwandfrei aus den unstreitigen Umständen, insbesondere aus Unterlagen abgeleitet werden kann (Änderung der Rechtsprechung). Dem stehe nicht entgegen, dass die Ware von dem mit der Versendung Beauftragten zunächst in ein inländisches Lager gebracht und erst nach Eingang der Zahlung durch eine Freigabeerklärung des Lieferanten an den Erwerber herausgegeben wird. Die jetzige Rechtsauffassung des BFH ist somit nachvollziehbar. Sie steht im Widerspruch zur Verwaltungsregelung in Abschn. 1a.2 Abs. 6 Satz 1 UStAE. Danach ist beim Verbringen von Waren in ein Konsignationslager grundsätzlich von einer nicht nur vorübergehenden Verwendung und damit von einem innergemeinschaftlichen Verbringen mit einer anschließend im Inland umsatzsteuerbaren Lieferung auszugehen, wenn der liefernde Unternehmer den Liefergegenstand mit der konkreten Absicht in den Bestimmungsmitgliedstaat verbringt, ihn dort (unverändert) weiterzuliefern.

Bereits im Anschluss an das BFH-Urteil v. 30.07.2008, XI R 67/07 war in der Literatur zum großen Teil die Auffassung vertreten worden, dass in Fällen, in denen der Kunde als Abnehmer des Gegenstands der Lieferung feststeht, der Ort und der Zeitpunkt der Lieferung sich auch bei kurzfristiger Einlagerung in ein Lager des Lieferanten nach § 3 Abs. 6 UStG richtet. Dies ist nun vom BFH bestätigt worden. Die Rechtsauffassung des BFH erscheint überzeugend, sodass die Verwaltung wohl nicht umhinkommen wird, sich durch entsprechende Änderung des UStAE dieser Auffassung anzuschließen. Eine allgemeine Vereinfachungsregelung im Zusammenhang mit Konsignationslagern, wie sie in anderen EU-Mitgliedstaaten praktiziert wird, ist mit der BFH-Rechtsprechung wohl nicht verbunden. Eine unmittelbar steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung aus dem EU-Ausland in ein inländisches Konsignationslager ist wohl nur nach den strengen Kriterien des BFH denkbar.

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