EuGH zur Zollwertberechnung bei Beistellung einer Software

Anmerkung zu: EuGH, Urt. v. 10.09.2020, Rs. C-507/19, BMW

I. Sachverhalt und Grundproblem

Die BMW Bayrische Motorenwerke AG (BMW) stellt Fahrzeuge her, die Steuergeräte enthalten. Diese Geräte kommen aus verschiedenen Drittstaaten und ähneln einem bordeigenen System, das in den Fahrzeugen Steuerungsfunktionen übernimmt.

BMW ist Eigentümerin einer in der Union entwickelten Software, die eine reibungslose Kommunikation der Anwendungen und Systeme in einem Fahrzeug sicherstellt und notwendig ist, um verschiedene technische Vorgänge durchzuführen, die das Steuergerät im Fahrzeug übernehmen soll. Als Eigentümerin hat BMW für die Software keine Lizenzgebühren zu entrichten.

Diese Software stellte BMW den in einem Drittstaat ansässigen Herstellern und gleichzeitig Verkäufern der Steuergeräte kostenlos zu Verfügung. Die Software wurde genutzt, um vor Auslieferung der Steuergeräte Funktionstests durchzuführen und die reibungslose Zusammenarbeit von Steuergerät und Software zu dokumentieren. Dabei ist die gesamte Verfahrensweise Gegenstand von Verträgen zwischen BMW und den Herstellern der Steuergeräte.

BMW führte sodann die Steuergeräte, auf die der Hersteller außerhalb der Union die Software aufspielte, ein und ließ sie zum freien Verkehr abfertigen.

Im Rahmen einer vom Hauptzollamt München durchgeführten Zollprüfung wurde festgestellt, dass BMW als Zollwert der eingeführten Steuergeräte den an die Hersteller gezahlten Preis angab, der jeweils die Entwicklungskosten für die Software nicht enthielt. Da das Hauptzollamt der Auffassung war, dass diese Kosten dem Zollwert hinzuzurechnen seien, setzte es mit Einfuhrabgabenbescheid eine entsprechende Zollschuld fest.

II. Urteil des EuGH

Sowohl aus dem Wortlaut von Art. 70 Abs. 1 und Art. 71 Abs. 1 UZK als auch aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs geht hervor, dass mit der Zollwertregelung ein gerechtes, einheitliches und neutrales System geschaffen werden soll, das die Anwendung willkürlicher oder fiktiver Zollwerte ausschließt. Der Zollwert muss somit den tatsächlichen wirtschaftlichen Wert einer eingeführten Ware widerspiegeln und folglich alle Elemente dieser Ware, die einen wirtschaftlichen Wert haben, berücksichtigen. Daher ist der für die Waren tatsächlich gezahlte oder zu zahlende Preis, auch wenn er grundsätzlich die Grundlage der Zollwertermittlung bildet, ein Faktor, der gegebenenfalls Berichtigungen unterliegt, sofern dies erforderlich ist, um die Ermittlung eines willkürlichen oder fiktiven Zollwerts zu verhindern (Urteil vom 20. Juni 2019, Oribalt Rīga, C‑1/18, EU:C:2019:519, Rn. 22 und 23 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

Der Gerichtshof hat zunächst festgestellt, dass nach Art. 71 Abs. 1 Buchst. b UZK dem für die eingeführten Waren tatsächlich gezahlten oder zu zahlenden Preis der Wert bestimmter Gegenstände oder Leistungen hinzuzurechnen ist, die unmittelbar oder mittelbar vom Käufer unentgeltlich oder zu ermäßigten Preisen zur Verwendung im Zusammenhang mit der Herstellung oder dem Verkauf zur Ausfuhr der zu bewertenden Waren geliefert oder erbracht worden sind, soweit dieser Wert nicht in diesem Preis enthalten ist. Ob der wirtschaftliche Wert einer Software dem Transaktionswert einer Ware hinzuzurechnen ist, richtet sich schließlich nach der im Einzelfall vorzunehmenden Beurteilung, ob die Software mit ihren speziellen Funktionen den Waren einen weiteren tatsächlichen Wert verleiht, der über den Transaktionswert hinausgeht.

Weiterhin stellt der Gerichtshof in Fortsetzung seiner bisherigen Rechtsprechung fest, dass es für die Ermittlung des Zollwertes unerheblich ist, dass das Erzeugnis, dessen Wert hinzuzurechnen ist, ein immaterielles Gut in Form einer Software ist. Denn weder der Wortlaut des Art. 71 Abs. 1 Buchst. b UZK noch dessen Systematik ließen den Schluss zu, dass sich der Anwendungsbereich lediglich auf materielle Güter beschränke.

Hinsichtlich der vertraglichen Vereinbarungen zwischen Käufer und Hersteller bzw. Verkäufer hebt der EuGH hervor, dass es nicht zulässig ist, dass sich Vertragsparteien auf Vertragsbestimmungen berufen können, um die in Art. 71 Abs. 1 Buchst. b UZK vorgesehenen Berichtigungsmöglichkeiten einzuschränken. Infolgedessen beruht die gemäß Art. 71 Abs. 1 Buchst. b UZK vorgenommene Berichtigung des Zollwerts einer eingeführten Ware auf objektiven Kriterien und kann nicht durch Vertragsbestimmungen beeinflusst werden.

Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 71 Abs. 1 Buchst. b UZK dahin auszulegen ist, dass er es erlaubt, bei der Ermittlung des Zollwerts einer eingeführten Ware ihrem Transaktionswert den wirtschaftlichen Wert einer Software hinzuzurechnen, die in der Union erarbeitet und dem in einem Drittstaat ansässigen Verkäufer unentgeltlich vom Käufer zur Verfügung gestellt wird.

III. Bedeutung für die Praxis

Schaut man sich die wesentlichen Entscheidungspunkte des EuGH zum vorliegenden Fall an, kommt man u. E. zu dem Ergebnis, dass das Urteil für die zollwertrechtliche Praxis eine entscheidende Bedeutung haben dürfte. Der EuGH hat in seiner Entscheidung erneut die objektive Ermittlung des Zollwertes betont. Als wichtig ist ebenfalls der deutliche Hinweis des EuGH anzusehen, dass der Zollwert und etwaige Berichtigungen im Rahmen der zollwertrechtlichen Vorschriften nicht durch vertragliche Bestimmungen der Wirtschaftsbeteiligten eingeschränkt oder umgangen werden können, sondern von diesen unabhängig sind.

Das Argument, dass Art. 71 Abs. 1 Buchst. b UZK nicht zur Anwendung komme, weil Software in der Aufzählung in Art. 71 Abs. 1 Buchst. b Ziff. i bis iv UZK nicht genannt sei und Art. 71 Abs. 3 UZK die Möglichkeiten, den Zollwert zu berichtigen, allein auf die in diesem Artikel genannten Elemente beschränke, wird durch den EuGH mit Verweis auf seine bisherige Rechtsprechung (vgl. Urteil vom 16. November 2006, Compaq Computer International Corporation, C‑306/04, EU:C:2006:716, Rn. 23, 24 und 37) deutlich zurückgewiesen. Hierzu bemüht er auch als – zwar rechtlich nicht verbindliche aber dennoch wichtige – Auslegungshilfe die Schlussfolgerung Nr. 26 des Kompendiums der Zollwerttexte des Ausschusses für den Zollkodex. Hiernach sind immaterielle Bestandteile ein integraler Bestandteil der Enderzeugnisse, da sie mit ihnen verbunden oder in ihnen enthalten sind und ihre Funktionsfähigkeit ermöglichen oder verbessern. Die durch den immateriellen Bestandteil hervorgebrachte neue Funktionalität trägt zudem spürbar zum Wert der Ware bei.

Insbesondere in Fällen, ähnlich denen des Ausgangsverfahrens, bei denen es um die Berücksichtigung von Entwicklungskosten von Software oder anderen immateriellen Bestandteilen geht, die dem Hersteller vom Käufer zur Verwendung bei der Herstellung und beim Verkauf zur Ausfuhr der Ware unentgeltlich zur Verfügung gestellt wird, könnte dieses Urteil im Rahmen der Zollwertermittlung somit eine enorme praktische Relevanz entfalten.

Ob die jeweiligen Voraussetzungen des Art. 71 Abs. 1 Buchst. b UZK im konkreten Fall erfüllt sind und der wirtschaftliche Wert einer Software oder anderer immaterieller Bestandteile dem Transaktionswert hinzuzurechnen sind, um deren Zollwert widerzuspiegeln, muss dabei im konkreten Einzelfall betrachtet werden. Daher wird das FG München im vorliegenden Fall zu klären haben, ob die Tatsache, dass die Software es ermöglicht, zum einen die Funktionsfähigkeit der Steuergeräte zu prüfen und zum anderen festzustellen, ob Fehler bei der Auslieferung, beim Transport oder im Zuge der Implementierung der Software aufgetreten sind, geeignet ist, den Steuergeräten einen tatsächlichen Wert zu verleihen, der höher ist als ihr Transaktionswert.

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