BFH zur Steuerbarkeit der in einem Freihafen bewirkten, wie im Inland zu behandelnden Umsätze innerhalb eines Organkreises

Anmerkung zu: BFH, Urt. v. 22.02.2017, XI R 13/15

Praxisproblem

Im vorliegenden Urteil hatte der BFH darüber zu entscheiden, ob es sich bei den von der Klägerin erbrachten Leistungen auf dem Gebiet des damaligen Freihafens Hamburg (Zollfreihafen) um steuerbare Leistungen im Inland (i.S.d. § 1 Abs. 2 Satz 1 UStG) handelte. Dabei waren im zugrun-deliegenden Sachverhalt besonders die Auswirkungen der umsatzsteuerrechtlichen Organschaft zu berücksichtigen. Mithin musste der BFH also entscheiden, ob eine im damaligen Freihafen Hamburg ansässige Organgesellschaft auch als im Inland (im Sinne des Umsatzsteuerrechts) ansässig gilt. Weiterhin war die Frage zu klären, ob eine mögliche Beschränkung der Wirkung der Organschaft auf das Inland in der zugrundeliegenden Fallkonstellation möglicherweise gegen Unionsrecht bzw. gegen Verfassungsrecht verstoße.

Sachverhalt

Die Klägerin (Revisionsklägerin), eine Holding-Gesellschaft, hielt im Streitjahr 2007 unmittelbar sowie mittelbar Beteiligungen an diversen Produktions- und Vertriebsgesellschaften, mit denen sie aufgrund finanzieller, organisatorischer und wirtschaftlicher Eingliederung einen umsatzsteuerrechtlichen Organkreis bildete. Zu diesen Beteiligungsgesellschaften der Klägerin gehörte im Streitjahr auch die A, die im Gebiet des damaligen Freihafen Hamburg vornehmlich Theaterleistungen i.S.d.s § 4 Nr. 20 Buchst. a Satz 2 USG erbrachte. Die A war i.S.v. § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen der Klägerin eingegliedert.

Die Klägerin führte auf Grundlage eines geschlossenen Managementvertrags gegenüber A Management- und EDV-Dienstleistung gegen Entgelt aus. Der Verkauf von Eintrittskarten für die Theateraufführungen der A wurde von zum umsatzsteuerrechtlichen Organkreis der Klägerin gehörenden Vertriebsgesellschaften (Organgesellschaften) übernommen. Diese handelten dabei in fremden Namen und auf fremde Rechnung. Die im Streitjahr vereinnahmten Vorverkaufs-, Versand- und Systemgebühren verblieben bei den Organgesellschaften.

In ihrer Umsatzsteuererklärung für das Streitjahr behandelte die Klägerin die gegenüber A erbrachten Leistungen als nicht steuerbare Leistungen innerhalb des Organkreises, obgleich A gem. § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 i.V.m. § 1 Abs. 2 Satz 1 UStG kein im Inland gelegener Unternehmensteil sei. Das Finanzamt unterwarf daraufhin die streitgegenständlichen Leistungen der Klägerin der Umsatzsteuer. Hiergegen erhob die Klägerin Einspruch und machte geltend, dass die von ihren Organgesellschaften gegenüber der A erbrachten Vermittlungsleistungen ebenfalls als nicht steuerbare Leistungen innerhalb eines Organkreises zu behandeln seien. Das Finanzamt wies den Einspruch der Klägerin als unbegründet zurück.

Auch eine anschließende Klage vor dem FG hatte keinen Erfolg. Das FG begründete seine Entschei-dung unter anderem damit, dass die von der Klägerin als Organträgerin sowie ihren Organgesell-schaften gegenüber A ausgeführten und im Freihafen Hamburg bewirkten sonstigen Leistungen keine Innenumsätze innerhalb eines umsatzsteuerrechtlichen Organkreises seien. Entgegen den Anforderungen von § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 i.V.m. § 1 Abs. 2 Satz 1 UStG sei die A im Freihafen und mithin gerade nicht im Inland ansässig. Weder Wortlaut, Systematik, gesetzgeberische Intention noch Teleos des § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b UStG ließen es zu, organschaftliche Regelungen auf eine im Freihafen gelegene Organgesellschaft zu erstrecken.

In der Revision führte die Klägerin an, dass sich die Wirkung der umsatzsteuerrechtlichen Organ-schaft infolge der gesetzlichen Fiktion des § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b UStG auch auf im Freiha-fen (der nach § 1 Abs. 2 Satz 1 UStG nicht zum Inland gehöre) bewirkten Umsätze erstrecke. Die betreffenden Leistungen müssten daher so behandelt werden, als würde es sich um einen Umsatz zwischen zwei inländischen Unternehmen handeln. Es sei § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b UStG jedenfalls nicht zu entnehmen, dass gerade diese Inlandswirkung ausgeschlossen sei. Weiterhin verstoße es nicht gegen Art. 11 Abs. 1 MwStSystRL, wenn § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b UStG auch die Rechtsfolgen der umsatzsteuerrechtlichen Organschaft auslöse. Das Gebiet der Freihäfen gehöre zum Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland und sei nur aufgrund gesetzlicher Fiktionen kein Inland. Im Umkehrschluss könne eine Anwendung der umsatzsteuerrechtlichen Organschaft (als Rückausnahme zu § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b UStG) auf die in einem Freihafen bewirkten Umsätze nicht unionsrechtswidrig sein.

Entscheidung

Die Revision der Klägerin wurde als unbegründet zurückgewiesen. Nach Auffassung des BFH sind die streitgegenständlichen Leistungen steuerbar und steuerpflichtig. Es handelt sich nicht um nicht steuerbare Innenumsätze innerhalb eines umsatzsteuerrechtlichen Organkreises.

Die streitgegenständlichen Umsätze sind nach Auffassung des BFH als im Inland ausgeführt anzuse-hen und in Ermangelung einer Steuerbefreiung auch steuerpflichtig. Zum Inland gehört das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland mit Ausnahme u.a. der Freizonen des Kontrolltyps I nach § 1 Abs. 1 Satz 1 des Zollverwaltungsgesetzes, mithin der Freihäfen (§ 1 Abs. 2 Satz 1 UStG). Dagegen wird unionsrechtlich nach Art. 5 Abs. 2 MwStSystRL als Gebiet eines Mitgliedstaats das Gebiet jedes Mitgliedstaats der Gemeinschaft bezeichnet, auf den der Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft gemäß dessen Art. 299 Anwendung findet, mit Ausnahme der in Art. 6 Abs. 2 Buchst. a und b MwStSystRL genannten Gebiete. Aufgeführt sind in dieser Vorschrift für Deutschland nur die Insel Helgoland sowie das Gebiet von Büsingen. Der hiervon abweichende deutsche Inlandsbegriff nach § 1 Abs. 2 Satz 1 UStG beruhe unionsrechtlich auf einer Protokollerklärung zu Art. 16 der Richtlinie 77/388/EWG --nunmehr Art. 155 MwStSystRL-- (vgl. dazu Birkenfeld, DStZ 1996, 193; Lange, DStZ 1996, 133; Oelmaier in Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer, § 1 Rz 1; ferner Moog/Schweizer, UR 2011, 881). Gem. § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b UStG sind Umsätze, die in Freihäfen bewirkt werden, „wie Umsätze im Inland“ zu behandeln, wenn u.a. die sonstigen Leistungen vom Leistungsempfänger ausschließlich oder zum Teil für eine nach § 4 Nr. 8 – 27 UStG steuerfreie Tätigkeit verwendet werden.

Die von der Klägerin der A in Form von entgeltlich zur Verfügung gestellten EDV-Arbeitsplätzen erbrachten sonstige Leistungen wurden gemäß § 3a Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 4 Nr. 11 bzw. Nr. 4 und Nr. 14 UStG in der für das Streitjahr 2007 geltenden Fassung (a.F.) im Freihafen bewirkt. Des Weiteren wurden die von den Organgesellschaften der Klägerin im Zusammenhang mit dem Kartenverkauf der A erbrachten Vermittlungsleistungen gemäß § 3a Abs. 2 Nr. 4 S. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a UStG a.F. ebenfalls im Freihafen bewirkt. Diese sind nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG der Klägerin zuzurechnen. Diese im Freihafen bewirkten Umsätze der Klägerin und ihrer Organgesellschaften sind zwar nicht i.S. von § 1 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 UStG im Inland ausgeführt, weil der Freihafen Hamburg nach § 1 Abs. 2 S. 1 UStG im Streitjahr 2007 kein Inland i.S. des UStG war. Sie sind jedoch gemäß § 1 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 Buchst. b UStG "wie Umsätze im Inland" und damit als steuerbar zu behandeln, wenn die Eingangsleistungen --was im Streitfall auf die Theaterleistungen der A zutrifft-- ausschließlich oder zumindest zum Teil u.a. für eine nach § 4 Nr. 20 Buchst. a S. 2 UStG steuerfreie Tätigkeit verwendet werden. Eine Steuerbefreiung für diese Umsätze ist nicht ersichtlich.

Bei den streitigen Umsätzen handelt es sich nicht um nichtsteuerbare Innenumsätze innerhalb eines Organkreises, da die Voraussetzungen einer Organschaft zwischen der Klägerin als Organträgerin und A als Organgesellschaft nicht vorlagen.Gem. § 2 Abs. 2 Nr. 2 S. 2 UStG ist die Wirkung der Organgesellschaft auf Innenleistungen zwischen den im Inland gelegenen Unternehmensteilen beschränkt. Auch wenn die Anforderungen an die finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Eingliederung der A in das Unternehmen der Klägerin i.S.v. § 2 Abs. 2 Nr. 2 S. 1 UStG erfüllt war, steht einer Organschaft zwischen der Klägerin als Organträgerin und A als Organgesellschaft entgegen, dass A, anders als § 2 Abs. 2 Nr. 2 S. 2 UStG voraussetzt, aufgrund der Ansässigkeit im Freihafen Hamburg – der im im Streitjahr 2007 kein Inland i.S. von § 1 Abs. 2 S. 1 UStG war - kein im Inland gelegener Unternehmensteil war.  Auch die Regelung des § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b UStG führt zu keiner abweichenden Beurteilung. Nach dieser Bestimmung sind in Freihäfen bewirkte Umsätze „wie Umsätze im Inland“ zu behandeln. Sie fingiert für eine im umsatzsteuerrechtlichen Ausland erbrachte Leistung einen Leistungsort im Inland. Zur Ansässigkeit des Leistungsempfängers oder zum Ort, an dem dessen Unternehmensteile gelegen sind, trifft § 1 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 Buchst. b UStG hingegen gerade keine Regelungsanordnung. Entgegen der Auffassung der Klägerin bewirkt § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b UStG nach Ansicht des BFH gerade nicht, dass auch der Unternehmensteil des Leistungsempfängers i.S. von § 2 Abs. 2 Nr. 2 S. 2 UStG als im Inland liegend behandelt werden müsste.

Aus der Gesetzesbegründung zur Neufassung des § 1 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 Buchst. b UStG durch das JStG 2007 (BTDrucks 16/2712, S. 74) lassen sich keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass der Gesetzgeber den Inlandsbegriff i.S. von § 1 Abs. 2 S. 1 UStG oder die Voraussetzungen der Organschaft i.S. von § 2 Abs. 2 Nr. 2 S. 2 UStG hätte erweitern wollen. Das gilt gleichermaßen für die Verlagerung des Orts der Ansässigkeit des Leistungsempfängers oder des Orts, an dem dessen Unternehmensteile gelegen sind. Der Gesetzgeber verfolgte (nur) das Ziel, Leistungsbezüge unternehmerisch tätiger Leistungsempfänger, welche den Vorsteuerabzug ausschließende Ausgangsumsätze ausführen, u.a. in den Freihäfen durch eine Verlagerung des Leistungsorts mit Umsatzsteuer zu belasten, um so ungerechtfertigte Steuervorteile i.S. von privatem und öffentlichem unversteuerten Letztverbrauch zu vermeiden (BTDrucks 16/2712, S. 74). Ob der Leistungsempfänger im Inland, Ausland oder Drittland ansässig ist, spielte für ihn hierbei keine Rolle. Danach kommt der Missbrauchsbekämpfungsvorschrift des § 1 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 Buchst. b UStG nicht die Bedeutung zu, dass die nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 S. 2 UStG auf das Inland beschränkte Wirkung der umsatzsteuerrechtlichen Organschaft hinsichtlich bestimmter Umsätze auf im Freihafen, mithin im umsatzsteuerrechtlichen Ausland, gelegene Unternehmensteile eines Organkreises erweitert wird.

Gegen eine Erstreckung der von § 1 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 Buchst. b UStG angeordneten Rechtsfolge auf die Regelungen der umsatzsteuerrechtlichen Organschaft spricht nach Auffassung des BFH, dass dies zu einer gesetzlich nicht vorgesehenen und systemwidrigen partiellen Organschaft in Abhängigkeit von bestimmten, die Rechtsfolge des § 1 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 Buchst. b UStG auslösenden Umsätzen führen würde.

Praxishinweis

Wie das Urteil des BFH zeigt, bewirkt § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b UStG nicht, dass eine im Freihafen ansässige Organgesellschaft als im Inland ansässig gilt. Eine solche vermeidliche Beschränkung der Wirkung der Organschaft auf das Inland verstößt weder gegen Unionsrecht noch gegen Verfassungsrecht.

Nach Aufhebung des Hamburger Freihafens mit Wirkung zum 01.01.2013 (durch das Gesetz zur Aufhebung des Freihafens Hamburg vom 24.01.2011, BGBl. I 2011, 50) sind im Bundesgebiet nur noch vergleichbare Fälle in den verbliebenen Freizonen (Freihafen Bremerhaven und Freihafen Cuxhaven) denkbar.

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