Die „Lieferung von Gegenständen“ durch rechtliche Übertragung bei Personenidentität des Inhabers der wirtschaftlichen Verfügungsmacht

Anmerkung zu: EuGH, Urt. v. 13.06.2018, C-665/16, Gmina Wrocław

Praxisproblem

Bei dem polnischen Vorabentscheidungsersuchen ging es um den Begriff der Lieferung nach Art. 14 Abs. 2 Buchst. a MwStSystRL. Nach dieser Vorschrift gilt als Lieferung auch die Übertragung des Eigentums an einem Gegenstand gegen Zahlung einer Entschädigung aufgrund einer behördlichen Anordnung oder kraft Gesetzes. Im Grunde betraf das Verfahren aber die Besteuerung der öffentlichen Hand in Bezug auf Umsätze zwischen verschiedenen Trägern der öffentlichen Gewalt.

Sachverhalt

Im Ausgangsverfahren wurde das Eigentum an Gemeindeimmobilien, die für den Straßenbau benötigt wurden, aufgrund einer behördlichen Anordnung gegen eine Entschädigung kraft Gesetzes an den Fiskus übertragen. Dabei trat allerdings der Präsident der Gemeinde sowohl als Vertreter der Gemeinde als auch als Vertreter des Fiskus auf. Als Vertreter des Fiskus war er sowohl zur Verwaltung der streitigen Immobilien im Namen des Fiskus verpflichtet als auch zur Zahlung einer Entschädigung für die Enteignung. Es erfolgte auch keine reale Entschädigungszahlung, sondern nur eine interne Umbuchung im Rahmen des Gemeindehaushalts. Die Gemeinde besitzt unstreitig den Status eines Unternehmers.

Die polnische Finanzbehörde sah in der Eigentumsübertragung eine steuerpflichtige Lieferung. Die Gemeinde erhob hiergegen Klage.

Vor dem Hintergrund der Doppelrolle des Präsidenten der Gemeinde als Vertreter des Fiskus und der Gemeinde und angesichts der Rechtsprechung des EuGH zum Begriff der Lieferung, insbesondere zum Aspekt der Übertragung der faktischen Verfügungsmacht als auch zum unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Lieferung und der empfangenen Gegenleistung, wollte das Vorlagegericht wissen, ob mit der Eigentumsübertragung unter den Umständen des Ausgangsverfahrens eine steuerbare Lieferung i. S. d. Art. 14 Abs. 2 Buchst. a MwStSystRL vorliegt. Es fragte, ob die Übertragung kraft Gesetzes von im Eigentum einer Gemeinde stehenden Immobilien auf den Fiskus gegen Entschädigung dann eine steuerbare Lieferung im Sinne von Art. 14 Abs. 2 Buchst. a MwStSystRL darstellt, wenn aus einer Vorschrift der nationalen Rechtsordnung folgt, dass diese Immobilien weiterhin vom Gemeindepräsidenten, der Vertreter des Fiskus und gleichzeitig ausführendes Organ der Gemeinde ist, verwaltet werden. Weiter wollte das Gericht wissen, ob für die Beantwortung seiner Frage von Bedeutung ist, ob die Zahlung der Entschädigung an die Gemeinde real erfolgt oder nur eine interne Umbuchung im Rahmen des Gemeindehaushalts darstellt.

Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts war es wegen des unterschiedlichen Wortlautes von Art. 14 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 2 Buchst. a MwStSystRL und fehlender Ausführungen des EuGH dazu nicht möglich, endgültig zu beurteilen, ob die Ansichten des EuGH betreffend die Übertragung des Eigentumsrechts im wirtschaftlichen Sinne auf den Fall anwendbar sind, dass das Eigentumsrecht kraft Gesetzes und gegen Entschädigung übertragen wird. Mit anderen Worten war das vorlegende Gericht nicht sicher, ob eine Lieferung von Gegenständen im Sinne von Art. 14 Abs. 2 Buchst. a der MwStSystRL dann stattfindet, wenn lediglich im rechtlichen Sinne das Eigentum an dem Gegenstand gegen Entschädigung übertragen wird, ohne dass sich die wirtschaftliche Sachherrschaft ändert.

Entscheidung

Der EuGH hat von sich aus das Vorlageersuchen dahingehend erweitert, dass auch zu prüfen sei, ob bei der Grundstücksübertragung eine steuerbare Lieferung nach Art. 2 Buchst. a MwStSystRL vorliegt. Der EuGH hat entschieden, dass die kraft Gesetzes und gegen Zahlung einer Entschädigung erfolgte Übertragung des Eigentums an einer Immobilie eines Unternehmers (hier der Gemeinde) auf den Fiskus in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren, in der dieselbe Person gleichzeitig das enteignende Organ und die enteignete Gemeinde vertritt und in der Letztere in der Praxis die betreffende Immobilie weiterhin verwaltet, auch dann einen steuerbaren Umsatz darstellt, wenn die Leistung der Entschädigung nur in einer internen Umbuchung im Rahmen des Gemeindehaushalts besteht. Die die Einordnung als „Lieferung von Gegenständen“ im Sinne von Art. 14 Abs. 2 Buchst. a MwStSystRL setzt nach dem Urteil drei Bedingungen voraus; es muss eine Übertragung des Eigentumsrechts stattfinden, diese muss aufgrund einer behördlichen Anordnung oder kraft Gesetzes vorgenommen werden und es muss eine Entschädigung gezahlt werden. Die Übertragung des Eigentumsrechts muss nicht notwendigerweise eine Übertragung im wirtschaftlichen Sinne sein. Artikel 14 Abs. 2 MwStSystRL ist nach dem Urteil lex spezialis gegenüber Art. 14 Abs. 1 MwStSystRL und geht dieser Vorschrift vor. Insbesondere nimmt die Definition der Lieferung in Art. 14 Abs. 2 Buchst. a MwStSystRL in keiner Weise auf die „Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen“ Bezug, um die es in Art. 14 Abs. 1 MwStSystRL geht.

Praxishinweis

Das deutsche Recht dürfte von dem Urteil nicht betroffen sein . Dem Verfahren lag ein sehr spezifischer Sachverhalt zu Grunde und es erscheint fraglich, ob nach deutschem Kommunalrecht vergleichbare Fälle überhaupt möglich sind, in denen die gleiche Person/das gleiche Organ als Vertreter verschiedener jPdöR auftritt und Entschädigungszahlungen nur durch interne Umbuchungen im Haushalt erfasst werden. Auch greift bei Grundstückslieferungen nach deutschem Recht grundsätzlich die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG (auf der Grundlage von Art. 371 i. V. m. Anhang X Teil B Nr. 9 MwStSystRL). Die wesentliche Erkenntnis aus dem Urteil ist aber, dass eine „Lieferung von Gegenständen“ im Sinne von Art. 14 Abs. 2 Buchst. a MwStSystRL auch dann vorliegen kann, wenn nur eine rechtliche Übertragung des Eigentums gegen Zahlung einer Entschädigung stattgefunden hat, während der Inhaber der wirtschaftlichen Verfügungsmacht über den betroffenen Gegenstand derselbe geblieben ist.

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