Steuerbarkeit von Vermögensübertragungen als Gegenleistung für die Einziehung von Aktien

Anmerkung zu: EuGH, Urt. v. 13.06.2018, C-421/17, Polfarmex Spółka Akcyjna w Kutnie

Praxisproblem

Bei dem polnischen Vorabentscheidungsersuchen ging es um die Frage, ob die Übertragung einer Immobilie durch eine Aktiengesellschaft auf einen Aktionär als Gegenleistung für die Einziehung seiner Aktien nach der MwStSystRL steuerbar ist. Nach Art. 359 § 1 des PL-Gesetzbuchs über Handelsgesellschaften können Aktien eingezogen werden, wenn die Satzung dies bestimmt. Eine Aktie kann entweder mit Zustimmung des Aktionärs im Wege ihres Erwerbs durch die Gesellschaft (freiwillige Einziehung) oder ohne seine Zustimmung (Zwangseinziehung) eingezogen werden. Die Zwangseinziehung erfolgt gegen ein Entgelt, das nicht geringer sein darf als der Wert, der auf eine Aktie entfallenden Nettoaktiva, wie sie im Jahresabschluss für das letzte Geschäftsjahr ausgewiesen wurden, abzüglich des zur Aufteilung zwischen den Aktionären bestimmten Betrags.

Sachverhalt

In einem beim PL-FM gestellten Antrag auf Vornahme einer Einzelfallauslegung von Steuervorschriften legte die Klägerin, eine AG, dar, sie erwäge eine Umbildung des Konzerns durch Einziehung eines Teils der Aktien einer S-Gesellschaft. Die S werde für die Einziehung der Aktien ein Entgelt in Form der Übertragung des Eigentums an Grundstücken mit den sich darauf befindenden Gebäuden samt ihres Ausstattungsmobiliars erhalten (das Entgelt werde in Form einer Sachleistung erfolgen). Die Klägerin war der Auffassung, dass sie weder auf der Stufe der Einziehung der Aktien noch auf der der Gewährung des Entgelts für die eingezogenen Aktien in Form einer Sachleistung als Unternehmer (im Rahmen der von ihr ausgeübten wirtschaftlichen Tätigkeit) handele, sodass sie daher nicht verpflichtet sei, eine diesbezügliche Rechnung auszustellen. Die Maßnahme müsse als ein einziger komplexer Geschäftsvorgang angesehen werden, der sich aus der Einziehung der Aktien als solcher und der Gewährung des entsprechenden Entgelts zusammensetze. Zwischen diesen beiden Handlungen bestehe eine enge Verknüpfung und ein Kausalzusammenhang. Nach dem Zivilrecht stelle die Eigentumsübertragung als Entgelt für die eingezogenen Aktien keine gesonderte Rechtshandlung dar, sondern diene lediglich der Durchführung des Beschlusses der Aktionärshauptversammlung über die Einziehung der Aktien. Folglich dürfe auch die Übertragung des Eigentums an den Immobilien als solche nicht der MwSt unterliegen. Unabhängig davon könne, selbst wenn die Klägerin diesen Umsatz als Unternehmer tätige, nicht angenommen werden, dass die Gewährung eines Entgelts in Form einer Sachleistung für die eingezogenen Aktien eine entgeltliche Lieferung von Gegenständen im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Nr. 1 PL-MwStG darstelle, die der Mehrwertsteuer unterliege.

Der PL-FM war der Auffassung, dass die Übertragung der Vermögensbestandteile als Gegenleistung für die Einziehung der Aktien eine Lieferung von Gegenständen im Sinne von Art. 7 Abs. 1 PL-MwStG darstellt, die – gem. Art. 5 Abs. 1 Nr. 1 PL-MwStG – der Mehrwertsteuer unterliegt und von der Klägerin durch die Ausstellung einer Rechnung zu dokumentieren sei. Zwischen den Beteiligten des beschriebenen Umsatzes entstehe ein Schuldverhältnis, da die Klägerin sich verpflichte, das Eigentum an den Grundstücken auf den Aktionär zu übertragen, wobei die eingezogenen Aktien die Gegenleistung für diese Handlung darstellen, sodass eine Lieferung von Gegenständen gegen Entgelt vorliege, wobei das Entgelt zwar nicht in Form von Geld geleistet werde, aber einen konkreten Wert haben werde, der sich in Geld ausdrücken lasse.

Entscheidung

Der EuGH hat unter Bezugnahme auf seine bisherigen Rechtsprechungsgrundsätze entscheiden, dass eine Lieferung von Gegenständen gegen Entgelt vorliegt, wenn eine AG wie im Fall des Ausgangsverfahrens einem ihrer Aktionäre als Gegenleistung für den – nach einem im nationalen Recht vorgesehenen Mechanismus zur Einziehung von Aktien erfolgenden – Rückkauf von Aktien, die dieser Aktionär an ihrem Grundkapital hält, das Eigentum an Grundstücken überträgt, wenn die Grundstücke für die wirtschaftliche Tätigkeit der AG verwendet werden. Zwar hat der EuGH bereits entschieden, dass die Übertragung des Eigentums an einem Grundstück, die zur Begleichung von Steuerrückständen von einem Unternehmer zugunsten des Fiskus oder einer Gebietskörperschaft eines Mitgliedstaats vorgenommen wird, nicht steuerbar ist, weil sie angesichts dessen, dass die Zahlung einer Steuerschuld einseitiger Natur ist, keine Lieferung eines Gegenstands gegen Entgelt darstellt (vgl. EuGH, Urt. v. 11.05.2017, C-36/16, Posnania Investment), Im Ausgangsfall besteht nach dem vorliegenden EuGH-Urteil zwischen dem Lieferer des Grundstücks und dem Empfänger ein Rechtsverhältnis, in dessen Rahmen im Austausch gegen Aktien das Eigentum an einem Grundstück übertragen wird. Indem auf diese Weise gegenseitig Eigentumsrechte übertragen werden, sind beide Parteien an diesem Umsatz sowohl als Lieferer als auch als Erwerber beteiligt. Somit handelt es sich um ein Rechtsverhältnis, in dessen Rahmen gegenseitige Leistungen ausgetauscht werden, wobei die eine den Gegenwert der anderen bildet (Tausch oder tauschähnlicher Umsatz).

Praxishinweis

Das Urteil hat auch für das deutsche Umsatzsteuerrecht Bedeutung. Zwischen Personen- und Kapitalgesellschaften und ihren Gesellschaftern ist nach nationalem Recht ein Leistungsaustausch möglich, was der EuGH vorliegend bestätigt hat. Bei Leistungen aufgrund eines gegenseitigen Vertrags (vgl. §§ 320 ff. BGB), durch den sich der Gesellschafter zu einem Tun, Dulden oder Unterlassen und die Gesellschaft sich hierfür zur Zahlung einer Gegenleistung verpflichtet, sind die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG für einen steuerbaren Leistungsaustausch regelmäßig erfüllt, falls der Gesellschafter Unternehmer ist; dies gilt auch, wenn Austausch- und Gesellschaftsvertrag miteinander verbunden sind. Umsatzsteuerrechtlich maßgebend für das Vorliegen eines Leistungsaustauschs ist, dass ein Leistender und ein Leistungsempfänger vorhanden sind und der Leistung eine Gegenleistung gegenübersteht. (vgl. Abschnitt 1.6 UStAE). Der bloße Umstand, dass die Übertragung eines Grundstücks als Entgelt für Rücknahme von Aktien erfolgt und dieser Umsatz im Zusammenhang mit einer Umstrukturierung der jeweiligen Gesellschaft steht, kann insoweit nicht dazu führen, dass eine solche Grundstückslieferung nicht steuerbar ist.

Ihre Ansprechpartner