Steuerbefreiung, Postdienstleistungen, förmliche Zustellung von Schriftstücken, Postzustellungsauftrag

Anmerkung zu: EuGH, Urt. v. 16.10.2019, verb. Rs. C-4/18 und C-5/18, Winterhoff und Eisenbeis

Praxisproblem

Bei den Vorabentscheidungsersuchen des BFH v. 31.05.2017, V R 30/15 und V R 8/165, ging es um die Anwendbarkeit der Steuerbefreiung für Leistungen der „öffentlichen Posteinrichtungen“ nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. a MwStSystRL. Nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. a MwStSystRL befreien die Mitgliedstaaten von öffentlichen Posteinrichtungen erbrachte Dienstleistungen und dazugehörende Lieferungen von Gegenständen mit Ausnahme von Personenbeförderungs- und Telekommunikationsdienstleistungen.

Streitig in den Verfahren war, ob ein Unternehmer, dessen Tätigkeit im Wesentlichen darin besteht, im Gebiet eines Mitgliedstaates förmliche Zustellungen nach öffentlich-rechtlichen Vorschriften auszuführen, mit diesen Leistungen in den Anwendungsbereich der Steuerbefreiung fällt.

Sachverhalt

In der Rs. C-4/18 ging es um eine (insolvente) B AG, die im Rahmen ihres Unternehmens durch verschiedene Organgesellschaften Postdienstleistungen erbrachte. Während der Streitjahre 2008 und 2009 führte sie durch ein bundesweit strukturiertes Zustellnetz im Wesentlichen Postzustellungsaufträge im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland aus, die sie als umsatzsteuerfrei behandelte. Die Entgelte für förmliche Zustellungen i. H. v. 2,50 EUR bis 3,44 EUR (jeweils ohne die gesetzl. geschuldete USt) wurden durch entsprechende Beschlüsse der Bundesnetzagentur von Mai 2006 bis Mai 2010 genehmigt. Nach einer bei B durchgeführten Umsatzsteuer-Sonderprüfung vertrat das FA die Ansicht, die Umsätze aus förmlichen Zustellungen seien nicht von der USt befreit. Zum einen seien die Voraussetzungen von § 4 Nr.  11b UStG (in der in den Streitjahren geltenden alten Fassung) nicht erfüllt, da nach dieser Bestimmung nur die unmittelbar dem Postwesen dienenden Umsätze der Deutschen Post AG steuerfrei seien. Zum anderen komme auch keine unmittelbare Berufung auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. a MwStSystRL in Betracht. Denn bei der förmlichen Zustellung von Briefsendungen handele es sich nicht um eine Universaldienstleistung im Sinne dieser Regelung.

In der Rs. C-5/18 geht es um eine GmbH A, die ebenfalls ein Unternehmen betrieb, dessen Geschäftsgegenstand insbes. die Ausführung von Postzustellungsaufträgen im Gebiet der BRD ist. A beantragte im Jahr 2010 beim BZSt, ihr eine Bescheinigung über die "Umsatzsteuerbefreiung in Bezug auf das Produkt Postzustellungsaufträge (PZA) gemäß §§ 176 ff. ZPO" nach § 4 Nr. 11b UStG in der ab dem 01.07.2010 geltenden Fassung zu erteilen. Zur Begründung führte A aus, dass das Produkt "Postzustellungsauftrag" dem Post-Universaldienst zuzuordnen sei. A hatte sich gem. § 4 Nr. 11b UStG über ihre Muttergesellschaft ggü. dem BZSt verpflichtet, bundesweit flächendeckende förmliche Zustellungen von Schriftstücken auf der Grundlage der Prozessordnungen und der Gesetze, die die Verwaltungszustellung regeln, entsprechend der seitens der Bundesnetzagentur zu diesem Zweck erteilten Lizenzen im gesamten Bundesgebiet anzubieten. Das BZSt lehnte den Antrag auf Erteilung einer Bescheinigung nach § 4 Nr. 11b UStG mit der Begründung ab, das Produkt "Postzustellungsauftrag" sei keine Post-Universaldienstleistung. A trug vor, dass förmliche Zustellungen in allen EU-Mitgliedstaaten - mit Ausnahme Schwedens   von der USt befreit seien.

Im Kern ging es um die Frage, ob ein Unternehmer, der förmliche Zustellungen von Schriftstücken nach öffentlich-rechtlichen Vorschriften (sog. Postzustellungsauftrag gem. §§ 176 ff. ZPO) durchführt, diese Leistungen nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. a MwStSystRL steuerfrei erbringt. Die förmliche Zustellung i. S. d. § 33 PostG (früher: Postzustellungsurkunde) fällt nach bisheriger Verwaltungsauffassung nicht unter die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 11b UStG, weil diese Leistung nicht unter die in § 1 PUDLV genannten Post-Universaldienstleistungen fällt (vgl. Abschn. 4.11b.1 Abs. 8 UStAE).

Entscheidung

Der EuGH hat entschieden, dass Art. 2 Nr. 13 und Art. 3 der Richtlinie 97/67 dahin auszulegen sind, dass Anbieter von Briefzustelldienstleistungen, die in ihrer Eigenschaft als Inhaber einer nationalen Lizenz verpflichtet sind, förmliche Zustellungen von Schriftstücken von Gerichten oder Verwaltungsbehörden nach Vorschriften des nationalen Rechts durchzuführen, als „Universaldiensteanbieter“ im Sinne dieser Bestimmungen anzusehen sind, so dass solche förmlichen Zustellungen als von „öffentlichen Posteinrichtungen“ erbrachte Dienstleistungen nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. a MwStSystRL steuerfrei sind.

Praxishinweis

Das Urteil widerspricht der geltenden Verwaltungsauffassung in Abschn. 4.11b.1 Abs. 8 UStAE. Förmliche Postzustellungsleistungen sind unionsrechtlich auch dann befreit, wenn die Dienstleistungen nach nationalem Recht nicht als Teil des Universaldienstes angesehen werden. In allen Fällen der förmlichen Zustellungen nach öffentlich-rechtlichen Vorschriften erhalten die Leistungsempfänger somit steuerfreie und nicht steuerpflichtige Leistungen. Etwaige in der Rechnung ausgewiesene USt wird nach § 14c Abs. 1 UStG geschuldet und der Rechnungsempfänger hat daraus keinen Vorsteuerabzug. Der leistende Unternehmer kann den Steuerbetrag ggü. dem Leistungsempfänger berichtigen. In diesem Fall ist § 17 Abs. 1 UStG entsprechend anzuwenden. Wurde der zu hoch ausgewiesene Rechnungsbetrag bereits vereinnahmt und steht dem Leistungsempfänger aus der Rechnungsberichtigung ein Rückforderungsanspruch zu, ist die Berichtigung des geschuldeten Mehrbetrags erst nach einer entsprechenden Rückzahlung an den Leistungsempfänger zulässig.

 

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