EuGH zur Befreiung der Einfuhr von Gegenständen

Anmerkung zu: EuGH, Urt. v. 17.07.2014, C-272/13, Equoland Soc. Coop. arl, Ersuchen um Vorabentscheidung: Befreiung der Einfuhr von Gegenständen, die einer anderen Lagerregelung als der Zolllagerregelung unterliegen sollen ‒ Pflicht, die Waren physisch in das Lager zu verbringen ‒ Nichtbeachtung ‒ Pflicht zur Zahlung der Mehrwertsteuer, obwohl diese bereits im Reverse-Charge-Verfahren entrichtet wurde

Praxisproblem

Wird ein Gegenstand aus einem Drittland in ein USt-Lager im Inland eingelagert, ist eine vor der Einlagerung liegende Einfuhr von der Einfuhrumsatzsteuer befreit (§ 5 Abs. 1 Nr. 4 UStG). Fraglich ist, ob für Zwecke der EUSt-Befreiung der Gegenstand physisch in ein Umsatzsteuerlager eingelagert werden muss oder ob ein virtuelles Lager ausreicht.

Sachverhalt

Die Klägerin führte im Juni 2006 Waren aus einem Drittland zur Einlagerung in einem Steuerlager ein. Dies war bereits auf der Zollanmeldung zur Einfuhr erklärt worden. Daher wurde von den Zollbehörden keine Einfuhrumsatzsteuer erhoben. Der Lagerverwalter, für das die Waren bestimmt waren, trug diese in das Lagerregister ein. Es stellte sich allerdings später heraus, dass die Waren nie physisch im Lager eingelagert wurden, sondern nur virtuell, d.h. durch ihre Eintragung in das Register, dem Lagerbestand zugeführt wurden. Somit waren sie nicht als dem Steuerlager zugeführt anzusehen und die Mehrwertsteuer wurde von der Klägerin im Rahmen des Reverse-Charge-Verfahrens erklärt und entrichtet. Die Finanzverwaltung forderte die Klägerin jedoch zur Zahlung der Einfuhrumsatzsteuer auf, da die Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer im vorliegenden Fall mangels physischer Einlagerung in einem Steuerlager nicht gegeben gewesen sei.

Nach Ansicht der Klägerin ist die Steuerbefreiung der Einfuhrumsatzsteuer nicht von der physischen Verbringung der Waren in das Lager abhängig, sondern von der einfachen urkundlichen Verbringung, da der Eigentümer der gelagerten Ware jedenfalls zum Zeitpunkt der Überführung in den freien Verkehr eine Eigenrechnung ausstellen werde, aufgrund derer er die EUSt von der infolge des Verkaufs geschuldeten MwSt abziehe. Wenn die MwSt bei der Einfuhr gezahlt worden wäre, hätte sie – so die Klägerin – diese in der Voranmeldung zum Vorsteuerabzug bringen können, womit dasselbe steuerliche Ergebnis erreicht und der Grundsatz der Steuerneutralität gewährleistet worden wäre. Außerdem war die Klägerin der Auffassung, dass die virtuelle Verbringung der Ware in ein Umsatzsteuerlager in vielen EU-Mitgliedstaaten eine zulässige Praxis sei.

Entscheidung

Der EuGH hat entschieden, dass Art. 16 Abs. 1 der 6. EG-Richtlinie eng auszulegen ist. Die Steuerbefreiung darf dahingehend angewendet werden, dass der Unternehmer einen Gegenstand der Einfuhr zur Inanspruchnahme der Steuerbefreiung physisch in ein Steuerlager verbringen muss. Diese physische Präsenz soll die spätere Erhebung der MwSt sicherstellen.

Weiter hat der EuGH entschieden, dass in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens, in dem EUSt bei Entzug der Ware aus der Steuerlagerregelung im Rahmen des Reverse-Charge-Verfahrens entrichtet wurde, ein Mitgliedstaat nicht nochmals EUSt im Rahmen einer Sanktionsregelung erheben kann. Eine solche Maßnahme sei unverhältnismäßig und liefe im Wesentlichen darauf hinaus, dem Unternehmer sein Recht auf Vorsteuerabzug aus der EUSt zu nehmen.

Praxishinweis

Der EuGH hat bestätigt, dass nach dem Wortlaut von Art. 16 der 6. EG-Richtlinie bzw. Art. 154, 157 MwStSystRL eine Steuerbefreiung für rein virtuelle Lager nicht in Betracht kommt. Zudem sind die Umsatzsteuerlagerregelungen lediglich fakultativer Natur und es steht den Mitgliedstaaten ein gewisser Umsetzungsspielraum zu (vgl. Art. 155 MwStSystRL).

Nach deutscher Rechtslage (§ 4 Nr. 4a UStG) setzt die Steuerbefreiung ein (physisches) Verbringen der Ware in das Steuerlager bzw. das Befinden der Ware dort voraus, wenn Lieferungen im Lager ohne Warenbewegung stattfinden. Kern der deutschen Umsatzsteuerlagerregelung ist eine Steuerbefreiung für Umsätze von Gegenständen, mit denen diese in ein Umsatzsteuerlager eingelagert werden, sowie eine Steuerbefreiung der Lieferungen von Gegenständen, bei denen diese körperlich in einem Umsatzsteuerlager verbleiben oder in ein anderes Umsatzsteuerlager im Inland gelangen (§ 4 Nr. 4a Satz 1 Buchst. a Satz 1 UStG). Die Befreiung gilt beim Gelangen der Gegenstände in ein Steuerlager (Einlagerung) nicht nur für die Lieferung dieser Gegenstände im Inland. Befreit sind auch gem. § 4b Nr. 2 UStG ein vor der Einlagerung liegender innergemeinschaftlicher Erwerb oder gem. § 5 Abs. 1 Nr. 4 UStG eine Einfuhr.

Die Steuerbefreiung gilt nicht für Lieferungen, bei denen die gelieferten Gegenstände für die Lieferung auf der Einzelhandelsstufe aufgemacht sind. Umsatzsteuerlager kann jedes Grundstück oder Grundstücksteil im Inland sein, das zur Lagerung der in Anlage 1 zu § 4 Nr. 4a UStG genannten Gegenstände dienen soll und von einem Lagerhalter betrieben wird. Es kann mehrere Lagerorte umfassen (§ 4 Nr. 4a Sätze 3 und 4 UStG). Umsatzsteuerlager kann somit jeder räumlich bestimmte Ort im Inland sein, der zur Lagerung von in der Anlage 1 zu § 4 Nr. 4a UStG genannten Gegenständen dienen soll und geeignet ist. Das Lager kann auch aus mehreren Lagerorten bestehen. Umsatzsteuerlager können also auch in den Räumen oder an jedem anderen festen Ort im Inland, der als Zolllager zugelassen wurde, errichtet werden. Das Lager muss durch ein Grundstück oder einen Grundstücksteil räumlich bestimmt sein. Sogenannte virtuelle Lager wie z.B. rollende Lkw können daher kein Umsatzsteuerlager bilden.

Eine rein „urkundliche“ und nicht physische Verbringung von Waren in ein Umsatzsteuerlager steht daher der Steuerbefreiung im nationalen Recht entgegen.