VORSICHT bei sog. Pick-up-Lieferungen – EuGH entscheidet restriktiv gegen Steuerbefreiung und Vorsteuerabzug bei fehlerhafter Abwicklung in Reihengeschäften

EuGH zur Zuordnung der Warenbewegung bei innergemeinschaftlichen Reihengeschäften und zum Vertrauensschutz beim Vorsteuerabzug
Anmerkung zu: EuGH, Urt. v. 21.02.2018, C-628/16, Kreuzmayr GmbH

Sachverhalt

Bei dem österreichischen Vorabentscheidungsersuchen ging es um die Zuordnung der bewegten Lieferung bei Reihengeschäften und damit um den Leistungsort und die Gewährung der Umsatzsteuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen in Fällen, in denen der erste Lieferer in der Kette davon ausgeht, dass sein unmittelbarer Abnehmer die Warenbeförderung (in eigener Verfügungsmacht) in einen anderen Mitgliedstaat vornimmt, tatsächlich aber der letzte Abnehmer die Warenbeförderung vorgenommen hat und bereits im Abgangsstaat die Verfügungsmacht über die Waren erlangt hat. Zudem ging es um die Frage des Vorsteuerabzugs aus Vertrauensschutzgründen bei falscher Zuordnung der bewegten (und damit steuerfreien innergemeinschaftlichen) Lieferung.

Der Sachverhalt stellte sich wie folgt dar: Der Unternehmer X1 hatte Mineralölprodukte an den Unternehmer X2 verkauft. Nach Akontierung des jeweiligen Preises hatte X2 von X1 Abholnummern und Abholausweise erhalten, die zur Abholung der Produkte berechtigten. X2 hatte sich ggü. X1 verpflichtet, für den Transport der Produkte von Deutschland (DE) nach Österreich (AT) zu sorgen und war gegenüber X1 mit seiner AT-USt-IdNr. aufgetreten. X2 hatte die Produkte an den Unternehmer X3 (Kläger) weiterverkauft, mit X3 vereinbart, dass X3 den Transport der Produkte veranlasst oder durchführt und die jeweiligen Abholnummern und die Abholausweise an X3 weitergeleitet. X2 hatte aber den X1 darüber nicht informiert. Obwohl X1 davon ausging, dass X2 als reines Handelsunternehmen die Produkte weiterverkauft, war (daher) für X1 nicht ersichtlich, ob dies bei Beginn der Beförderung der Waren bereits geschehen war oder nicht. Für X1 war nur ersichtlich, dass Mineralölprodukte, die von X2 bestellt wurden, abgeholt wurden.

Schematische Darstellung

Wie mit X2 vereinbart, hatte X3 den Transport der Produkte veranlasst oder durchgeführt, indem X3 die Produkte von seinen Mitarbeitern oder von Dritten (Frachtführern), die von X3 damit beauftragt wurden, abholen ließ (Lieferungen im April bis Oktober 2007). X1 hatte die Lieferungen an X2 als (steuerfreie) innergemeinschaftliche Lieferungen beurteilt. X2 hatte an X3 Rechnungen mit gesondertem Ausweis der AT-MwSt erteilt, X3 hatte diese beglichen und daraus den Vorsteuerabzug geltend gemacht (X3 verwendete diese Produkte für seine besteuerten Umsätze). Das FA hat zunächst diesen Vorsteuerabzug anerkannt. Später wurde aber dem FA bekannt, dass X2 die in Rechnung gestellte MwSt nicht erklärt und nicht abgeführt hatte. Dass X2 dies beabsichtigte, war dem X3 weder bewusst noch musste dies dem X3 bewusst sein. X2 rechtfertigte seine Vorgangsweise damit, dass seine Lieferungen an X3 in DE ausgeführt worden (und dort steuerfrei) seien, weshalb diese in AT nicht steuerbar seien. In der Folge änderte X2 die Rechnungen an X3 dahingehend ab, dass in diesen keine MwSt mehr ausgewiesen war. X2 zahlte die seiner Ansicht nach fälschlicherweise ausgewiesene MwSt dem X3 aber nicht zurück. Selbst wenn die MwSt zu Unrecht ausgewiesen gewesen wäre, hätte X3 die an X2 gezahlten Steuerbeträge von X2 nicht mehr zurückerlangen können, weil X2 zwischenzeitlich insolvent geworden war. X3 erachtete die Änderung der Rechnungen durch X2 als gesetzlich nicht gedeckt. Das FA strich jedoch bei X3 den Vorsteuerabzug und begründete dies damit, dass der Ort der Lieferungen von X2 an X3 nicht in AT liege. Aufgrund eines Zivilprozesses zwischen X1 und X2 (X1 klagte von X2 Forderungen ein) ergab sich, dass die Kunden von X2 die Transporte veranlasst hatten. X1 hatte dies dem deutschen FA mitgeteilt, das daraufhin bei X1 deutsche MwSt festsetzte.

Das Vorinstanzgericht hatte der von X3 gegen die Streichung des Vorsteuerabzuges erhobenen Klage stattgegeben. Im Zuge der Aufhebung dieser Entscheidung hatte der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt, dass die bloße Möglichkeit, dass X1 seine Lieferungen an X2 irrtümlich, aber gutgläubig als innergemeinschaftliche Lieferungen eingestuft hat, nicht bewirke, dass X3 den Vorsteuerabzug aus Rechnungen betreffend die (aus objektiver Sicht) innergemeinschaftlichen Lieferungen von X2 an X3 geltend machen darf. Die Ausführungen in der Entscheidung des Vorinstanzgerichts, dass es auch bzgl. des Vorsteuerabzuges einen Vertrauensschutz geben kann, hatte der Verwaltungsgerichtshof mit der Begründung als unzutreffend beurteilt, dass ein solcher aus den Bestimmungen über den Vertrauensschutz betreffend die Steuerfreiheit bei Lieferungen, die objektiv nicht die innergemeinschaftlichen sind, nicht ableitbar sei. Streitig war daher im vorliegenden Verfahren, ob X3 zum Abzug der vom FA gestrichenen Vorsteuern berechtigt war.

Zur Begründung seiner drei Vorlagefragen bezog sich das Vorlagegericht insbesondere auf die Ausführungen des EuGH, Urt. v. 16.12.2010, Euro Tyre, C-430/09, die insoweit nicht eindeutig seien. In dem Urteil Euro Tyre zugrundeliegenden Fall hatte der Ersterwerber den Transport veranlasst. Da isoliert betrachtet sowohl die Lieferung an den Ersterwerber als auch die Lieferung an den Zweiterwerber unter den Wortlaut des Art. 32 Abs. 1 MwStSystRL fällt und nur eine Lieferung die innergemeinschaftliche (bewegte) Lieferung sein kann (s. Rn 24 Euro Tyre), war vom EuGH auszuführen, welche Lieferung nun die bewegte ist. Dazu hat der EuGH mehrere Aussagen getroffen. In Rn 35 des Urteils Euro Tyre hat der EuGH ausgeführt, dass für den Fall, dass der Ersterwerber seine Absicht bekundet hat, die Waren in einen anderen Mitgliedstaat als den Liefermitgliedstaat zu befördern und dass er mit seiner von diesem anderen Mitgliedstaat erteilten USt-IdNr. aufgetreten ist, der Erstlieferant davon ausgehen konnte, dass der von ihm getätigte Umsatz eine innergemeinschaftliche Lieferung darstellt. Nach Rn 36 des Urteils ist dies allerdings dann nicht der Fall, wenn der Ersterwerber seinem Lieferanten mitgeteilt hat, dass die Ware weiterverkauft werde, bevor sie den Liefermitgliedstaat verlassen habe. Nach Rn 45 des Urteils ist überdies Voraussetzung dafür, dass die erste Lieferung als innergemeinschaftliche zu beurteilen ist, dass das Recht, über die Ware wie ein Eigentümer zu verfügen, erst im Bestimmungsmitgliedstaat auf den Zweiterwerber übertragen wird. Wäre Rn 35 des Urteils Euro Tyre so zu verstehen, dass die Lieferung des Erstlieferanten zwar nicht die innergemeinschaftliche ist, dass aber der Erstlieferant seine Lieferung (aufgrund des Vertrauensschutzes) als die innergemeinschaftliche behandeln darf, wäre – so das Vorlagegericht - die Lieferung des Zweitlieferanten die innergemeinschaftliche und die weiteren Ausführungen des EuGH, welche Lieferung nun die innergemeinschaftliche ist, wären entbehrlich gewesen und das vom EuGH eingeräumte Ergebnis, dass die Lieferung des Erstlieferanten die innergemeinschaftliche sein könnte, würde nie eintreten.

Die Aussage in Rn 35 des Urteils Euro Tyre könnte nach Auffassung des Vorlagegerichts daher so zu verstehen sein, dass bei Vorliegen der genannten Voraussetzungen die erste Lieferung die innergemeinschaftliche ist. In dem dem EuGH-Urteil zugrundeliegenden Fall hatte zwar der Ersterwerber den Transport veranlasst (indem er den Transport durch den Zweiterwerber durchführen ließ), im vorliegenden Verfahren hatte hingegen der Zweiterwerber (X3) den Transport veranlasst. Da in Fällen wie denen des Ausgangsverfahrens der Zweiterwerber (X3) bereits im Liefermitgliedstaat (DE) über die Waren wie ein Eigentümer verfügen konnte, besteht nach Auffassung des Vorlagegerichts zwischen den Aussagen in Rn 35 und 36 einerseits und den Aussagen in Rn 45 andererseits des EuGH-Urteils Eurp Tyre ein Spannungsverhältnis. Dieses könnte nach Auffassung des Vorlagegerichts so gelöst werden, dass Rn 45 so zu verstehen ist, dass es aus der Sicht des Lieferanten möglich sein muss, dass das Recht, über die Waren wie ein Eigentümer zu verfügen, erst im Bestimmungsmitgliedstaat auf einen Zweiterwerber übertragen wird. Die Aussagen in Rn 35 und 36 sei nämlich inhaltsleer, wenn es auf die tatsächliche Übertragung der Verfügungsmacht ankäme.

Dagegen spreche, dass Rn 45 des Urteils Euro Tyre überflüssig wäre, wenn diese so wie dargelegt zu verstehen wäre, weil für den Fall, dass der Erwerber keine Mitteilung i. S. d. Rn 36 des Euro-Tyre-Urteils gemacht hat, aus der Sicht des Lieferanten immer die Möglichkeit besteht, dass der Erwerber die Verfügungsmacht erst im Bestimmungsland auf einen Zweiterwerber überträgt. Demnach müsse in Fällen wie denen des Ausgangsverfahrens beurteilt werden, ob den Aussagen in den Rn 35 und 36 oder den Aussagen in der Rn 45 des Euro-Tyre-Urteils Priorität zukommt. Da der Lieferant ohne entsprechende Mitteilung nicht beurteilen könne, ob es überhaupt einen Zweiterwerber gibt und selbst für den Fall, dass der Lieferant vermute, dass es einen Zweiterwerber gibt, auch nicht beurteilen könne, wo dieser die Verfügungsmacht erhalten hat, komme den Aussagen in den Rn 35 und 36 des Urteils Euro Tyre Priorität zu. Demnach sei – so das Vorlagegericht - Rn 45 des Urteils Euro Tyre wohl so zu verstehen sein, dass es auf die Sicht des Lieferanten ankommt.

Auch in Rn 42 des Urteils vom 06.09.2012, C-273/11, Mecsek-Gabona, hat der EuGH darauf hingewiesen, dass die Beurteilung einer Lieferung wesentlich davon abhängt, welche Angaben der Lieferer von seinem Erwerber erhält. Im Urteil vom 27.9.2012, C-587/10, VSTR, hat der EuGH die Aussagen, die er im Urteil Euro Tyre getroffen hat, bestätigt. Wer i. S. d. Art. 32 Abs. 1 MwStSystRL versendet oder befördert, könnte daher nicht nach objektiven Kriterien, sondern aus der Sicht des Lieferanten zu beurteilen sein. Dies könnte allerdings dann nicht gelten, wenn dem Lieferanten bewusst ist oder bewusst sein musste, dass er aus der Sicht seines Lieferanten als derjenige anzusehen ist, der versendet oder befördert. Dies deshalb, weil es keine zwei aufeinanderfolgende innergemeinschaftliche Lieferungen gibt (s Rn 24 des Urteils vom 16.12.2010, C-430/09, Euro Tyre).

Im vorliegenden Fall hatte aus der Sicht von X1 der X2 befördert oder versendet. Diese Sichtweise war dem X2 bewusst oder musste ihm bewusst sein. X2 hatte ja dem X1 gegenüber bekundet, dass er die Waren nach AT versenden oder befördern wird und dem X1 nicht mitgeteilt, dass er die Waren bereits weiterverkauft hat, bevor diese DE verlassen haben. Daher könne – so das Vorlagegericht - die Versendung oder Beförderung ausschließlich dem X2 zuzurechnen sein. Dann würde sich nur der Ort der Lieferung des X1 an X2 (und nicht auch der Ort der Lieferung des X2 an X3) nach Art. 32 Abs. 1 MwStSystRL bestimmen. Selbst wenn sich grundsätzlich (wegen der Transportveranlassung durch X3) auch der Ort der Lieferung des X2 an X3 nach Art. 32 Abs. 1 MwStSystRL bestimmen würde, würde dies - so das Vorlagegericht - nicht dazu führen, dass die vorgelagerte Lieferung (X1 an X2) nicht unter Art. 32 Abs. 1 MwStSystRL zu subsumieren ist. Bei Reihengeschäften sind nämlich die Lieferungen in deren Reihenfolge zu beurteilen. Wenn die erste Lieferung als die bewegte zu beurteilen ist, ist die zweite Lieferung die ruhende, selbst wenn diese isoliert betrachtet (auch) die bewegte wäre, und nicht umgekehrt.

Für den Fall, dass der EuGH im vorliegenden Fall verneinen würde, dass die erste Lieferung (X1 an X2) die warenbewegte innergemeinschaftliche Lieferung war, fragte das Vorlagegericht, ob X3 dennoch trotzdem die ihm von X2 in Rechnung gestellte AT-MwSt als Vorsteuer abziehen darf, weil dem X3 eine missbräuchliche Inanspruchnahme des Vorsteuerabzuges nicht zu unterstellen sei.

Ein Vertrauensschutz hinsichtlich der Berechtigung zum Vorsteuerabzug ist im Unionsrecht nicht normiert. Allerdings ist dieser nach Auffassung des Vorlagegerichts aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen abzuleiten. Für eine Bejahung des Vertrauensschutzes spreche Folgendes: Befördert oder versendet ein Steuerpflichtiger von ihm gekaufte Waren von einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat, muss der Steuerpflichtige grundsätzlich davon ausgehen, dass die Lieferung an ihn im Ursprungsmitgliedstaat ausgeführt wird (und daher die innergemeinschaftliche ist). Stellt ihm jedoch sein Lieferant eine Rechnung mit der MwSt des Ankunftsmitgliedstaates aus, kann dies aus der Sicht des Steuerpflichtigen dann rechtens sein, wenn es eine vorgelagerte Lieferung an seinen Lieferanten gibt, die als innergemeinschaftliche Lieferung beurteilt werden könnte. Umstände, aus denen X3 Grund zur Annahme hatte, dass auszuschließen ist, dass es einen Vorlieferanten in der Reihe gibt, lagen nach der Sachverhaltsdarstellung des Vorlagegerichts nicht vor. Vielmehr deute der Umstand, dass X2 die Abholnummern und Abholausweise an X3 weitergeleitet hatte, darauf hin, dass es einen unmittelbaren Vorlieferanten gab. Da der Vorlieferant den Transport nicht veranlasst oder durchgeführt hatte und X3 keinen Grund zur Annahme hatte, dass X2 dem X1 mitgeteilt hatte, dass X3 den Transport veranlassen oder durchführen würde, durfte X3 nach Auffassung des Vorlagegerichts davon ausgehen, dass zwischen dem Vorlieferanten und X2 vereinbart wurde, dass X2 den Transport veranlassen oder durchführen wird. Aus der Sicht von X3 sei daher nicht auszuschließen, dass der Vorlieferant seine Lieferungen an X2 zu Recht als die innergemeinschaftliche beurteilt und entsprechende Rechnungen an X2 erteilt hatte (was ja auch tatsächlich der Fall war). X2 könne daher zu Recht Rechnungen mit Ausweis der AT-MwSt  ausgestellt haben. Dass es letztlich darauf ankommt, wo die Verfügungsmacht tatsächlich verschafft wird, war im Zeitpunkt der Lieferungen des Ausgangsverfahrens nicht evident, weil das Urteil Euro Tyre erst später erging. Insofern musste X3 nach Auffassung des Vorlagegerichts keine Bedenken betreffend die Richtigkeit der von X2 ausgestellten Rechnungen haben.

Für den Fall, dass der EuGH im vorliegenden Fall bejahen würde, dass die erste Lieferung (X1 an X2) die warenbewegte innergemeinschaftliche Lieferung war und X1 nachträglich erfuhr, dass X3 den Transport veranlasst hatte und bereits in DE wie ein Eigentümer über die Waren verfügen konnte, fragte das Vorlagegericht, ob die Lieferung von X1 an X2 rückwirkend ihre Eigenschaft als die innergemeinschaftliche verliert (ob diese also rückwirkend als die sog. ruhende Lieferung zu beurteilen ist). Hierzu meinte das Vorlagegericht, dass X1 auf die Richtigkeit der Angaben von X2 vertrauen durfte. Ein Vertrauensschutz falle aber nie, also auch nicht bei einer nachträglich besseren Einsicht, nachträglich weg (sondern stehe allenfalls von vornherein nicht zu). Dass das deutsche FA die Lieferungen des X1 an X2 (nachträglich) als die ruhenden beurteilt hat, sei daher ohne Bedeutung.

Entscheidung

Die erste Frage nach der Zuordnung der Warenbewegung hat der EuGH mit Bezugnahme auf seine bisherige Rechtsprechung dahingehend beantwortet, dass vorliegend die zweite Lieferung (X2 an X3) die warenbewegte innergemeinschaftliche Lieferung war. Da es nach ständiger EuGH-Rechtsprechung auf die Umstände des Einzelfalls ankommt, war erheblich, dass der Ort der zweiten Lieferung in einem Reihengeschäft mit drei Beteiligten nicht bestimmt werden kann, ohne die objektiven, maßgeblichen Gesichtspunkte, die dem Zwischenhändler und dem Enderwerber bekannt waren, zu berücksichtigen. Die Bestimmung der Warenbewegung kann nicht allein von der vom Erstlieferanten vorgenommenen Einstufung der ersten Lieferung abhängen, wenn diese allein auf der Grundlage der Informationen erfolgte, die ihm vom Zwischenhändler fälschlicherweise übermittelt werden.

Die zweite Frage, ob dem Enderwerber (X3) der Vorsteuerabzug aus Vertrauensschutzgründen aus der zu Unrecht für eine (nicht gegebene) Inlandslieferung in Österreich zusteht, hat der EuGH verneint. Zunächst bestätigt der EuGH seine ständige Rechnung, dass der Vorsteuerabzug nur aus einer für den Eingangsumsatz gesetzlich geschuldeten Steuer möglich ist. Mit Blick auf den Vertrauensschutz führt der EuGH unter Bezugnahme auf sein Urteil v. 09.07.2015, C-183/14, Salomie und Oltan, lediglich aus, dass sich jeder auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes berufen kann, bei dem eine Verwaltungsbehörde aufgrund bestimmter Zusicherungen, die sie ihm gegeben hat, begründete Erwartungen geweckt hat. Daraus folgt, dass sich ein Wirtschaftsteilnehmer unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens zur Geltendmachung eines Anspruchs auf Vorsteuerabzug nicht auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes gegenüber seinem Lieferanten berufen kann. X3 hat nach der Entscheidung lediglich das Recht, die Rückzahlung der rechtsgrundlos an X2, der eine fehlerhafte Rechnung ausgestellt hat, gezahlten Steuer nach nationalem Recht verlangen zu können.

Die dritte Frage, ob die Lieferung des X1 rückwirkend ihre Eigenschaft als innergemeinschaftliche Lieferung verlieren kann, musste der EuGH nicht mehr beantworten, da diese Lieferung nach der Entscheidung des EuGH eine ruhende (steuerpflichtige) Lieferung war.

Praxishinweis

Die Zuordnung der Warenbewegung im Reihengeschäft ist bei grenzüberschreitenden Lieferungen (innergemeinschaftlichen Lieferungen oder Ausfuhrlieferungen) für die Anwendung der Steuerbefreiungen von absoluter Bedeutung. Nur eine warenbewegte Lieferung kann – nach nationalem UStG und Rechtsprechung – die steuerbefreite innergemeinschaftliche Lieferung (bei Beförderung oder Versendung der Ware in die übrige EU) oder Ausfuhrlieferung (bei Warenbewegung ins Drittland) sein. Daher ist die Praxis an einer korrekten Zuordnung und Abwicklung sehr interessiert.

Keine neuen Erkenntnisse bringt leider das Urteil hinsichtlich der Kriterien, die bei der Zuordnung der Warenbewegung zu einer der Lieferungen in einem innergemeinschaftlichen Reihengeschäft anzuwenden sind. Hat der Ersterwerber dem Letzterwerber bereits vor Beginn der Beförderung im Abgangsstaat die Verfügungsmacht verschafft, kann die erste Lieferung (an den Ersterwerber) nicht die warenbewegte Lieferung sein. Zur Feststellung, ob eine Lieferung als „innergemeinschaftliche Lieferung“ eingestuft werden kann, sind auch die Absichten zu berücksichtigen, die der Erwerber zum Zeitpunkt des Erwerbs hatte, sofern sie durch objektive Gesichtspunkte gestützt werden. Der EuGH hat sich überhaupt nicht mit den Ausführungen des Vorlagegerichts zu den Entscheidungsgründen im EuGH-Urteil Euro Tyre beschäftigt, was dafür zu sprechen scheint, dass der EuGH hier keine Unklarheiten sieht.

Relativ deutlich führt der EuGH aber, und das ist neu, in diesem Zusammenhang aus, dass der erste Lieferer bei gegebener objektiver Sachlage nicht darauf vertrauen kann, dass seine Lieferung die warenbewegte innergemeinschaftliche Lieferung ist. Es kommt nicht alleine auf die Informationen an, die der Ersterwerber dem ersten Lieferer übermittelt. In der Praxis bedeutet dies, dass der Ersterwerber sich in jedem Fall (objektive) Kenntnis darüber verschaffen muss, wer bei ihm die Ware abholt und in welcher Funktion dies erfolgt. Einen Vertrauensschutz in das Vorliegen der materiell-rechtlichen Voraussetzungen einer innergemeinschaftlichen Lieferung (einzig aufgrund der Angaben des Ersterwerbers) gibt es nach dem vorliegenden Urteil wohl nicht.

Gleiches gilt für den Vorsteuerabzug aus einer Rechnung, in der mit Steuerausweis über eine innergemeinschaftliche Lieferung abgerechnet wird. Wenn der Letzterwerber aufgrund der objektiven Umstände davon auszugehen hat, dass er Empfänger einer innergemeinschaftlichen Lieferung ist, hat er keinen Vertrauensschutz für den Vorsteuerabzug aus der ihm in Rechnung gestellten Umsatzsteuer. Mit anderen Worten, es gibt keinen Vertrauensschutz in das Vorliegen einer ruhenden Inlandslieferung. Im Ergebnis ist das auch zutreffend. Wenn wie im vorliegenden Fall der Letzterwerber die Ware bei einem Unternehmer in einem anderen Mitgliedstaat abholt, mit dem er selbst keine vertragliche Beziehung hat, kann der Letzterwerber regelmäßig nicht davon ausgehen, dass er eine ruhende Inlandslieferung erhält.

Die Sachverhaltsproblematik verdeutlicht einmal mehr, wie wichtig es ist, dass es eine europaweite und einfach zu handhabende Regelung für die Zuordnung der Warenbewegung in Reihengeschäften gibt. Bedauerlicherweise sind sämtliche Reformüberlegungen noch nicht in ein Gesetzgebungsverfahren übergegangen. Die Leidtragenden sind die exportierenden Unternehmen. Fehler in der Abwicklung führen bei diesen zu einer Nachbelastung mit USt.

Aus diesem Grunde ist allen exportierenden Unternehmen dringend anzuraten, die Abläufe und Prozesse im Unternehmen zu prüfen und risikominimierend zu gestalten. Insbesondere Abholfälle (sog. pick-up-Fälle) führen regelmäßig zu Problemen, da nicht immer der unmittelbare Kunde die Waren abholt sondern (i. d. R. nach Weiterverkauf) der Kunde des Kunden oder dessen Kunde tatsächlich die Ware befördert oder den Spediteur mit der Versendung beauftragt. Diese Fälle alle zu monitoren und auch sicherzustellen, dass die Abrechnung korrekt erfolgt, bedarf eines geordneten Prozessablaufs und idealerweise eines darauf eingerichtetes Risikomanagements für grenzüberschreitende Lieferungen. Wie die Entscheidung verdeutlicht, können Fehler für die Lieferanten in der gesamten Kette wirtschaftlich zu einer Definitivbelastung führen.

Das USt-Team der AWB hilft Ihnen gern bei der Prüfung Ihrer Liefer- und Warenströme, der Implementierung geeigneter Prozesse bis hin zum Innerbetrieblichen Kontrollsystem Umsatzsteuer als Teil eines Compliance-Management-Systems.

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