Geschäftsveräußerung im Ganzen, auch ohne dass der veräußerte Teil des Unternehmens einen für sich lebensfähigen Organismus gebildet hat

BFH, Urt. v. 19.12.2012, XI R 38/10

Praxisproblem

Erfolgt die Übertragung einzelner Unternehmensteile oder des Unternehmens im Ganzen im Rahmen einer sog. Geschäftsveräußerung im Ganzen, ist dieser Vorgang gem. § 1 Abs. 1a UStG nicht steuerbar. Voraussetzung für die Nichtsteuerbarkeit ist, dass

  • der Veräußerer Unternehmer ist,
  • es sich bei dem veräußerten Vermögen um im Inland belegenes Vermögen oder Teilvermögen handelt,
  • der Gegenstand der Geschäftsveräußerung das Unternehmen oder ein in der Gliederung eines Unternehmens gesondert geführter Betrieb ist und schließlich
  • die Veräußerung an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen erfolgt, der die Absicht der Fortführung der bisherigen Geschäftstätigkeit hat.

Die deutsche Regelung in § 1 Abs. 1a UStG basiert auf den Regelungen in Art. 19 Unterabs. 1 und Art. 29  MwStSystRL. Wegen der unterschiedlichen Begrifflichkeiten – das Unionsrecht spricht von der Übertragung des Gesamtvermögens oder eines Teilvermögens – legt die Rechtsprechung (BFH, Urt. v. 18.1.2005 – V R 53/02, BStBl. II 2007, 730) § 1 Abs. 1a UStG richtlinienkonform iSd Unionsrecht in der Interpretation des EuGH aus. Nach Auffassung des EuGH betrifft die Geschäftsveräußerung im Ganzen die Übertragung von Geschäftsbetrieben und selbständigen Unternehmensteilen, die als Zusammenfassung materieller und immaterieller Bestandteile ein Unternehmen oder einen Unternehmensteil bilden, mit dem eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit fortgeführt werden kann (vgl. EuGH, Urt. v. 27.11.2003 – Rs. C-497/01 – Zita Modes; EuGH, Urt. v. 10.11.2011 – Rs. C-444/10 – Schriever, UR 2011, 937).

Vor allem in Bezug auf eine Teilvermögensveräußerung ist im Rahmen einer Gesamtwürdigung für die Geschäftsveräußerung entscheidend, ob das übertragene (Teil)Unternehmensvermögen als hinreichendes Ganzen die Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit ermöglicht und ob die vor und nach der Übertragung ausgeübten Tätigkeiten übereinstimmen oder sich hinreichend ähneln. Fraglich war bisher, ob entsprechend Abschn. 1.5 Abs. 6 Satz 2 UStAE die Übertragung von Teilvermögen – oder im Dictus des § 1 Abs. 1a UStG: Die Veräußerung eines in der Gliederung eines Unternehmens gesondert geführten Betriebes – verlangt, „dass der veräußerte Teil des Unternehmens einen für sich lebensfähigen Organismus gebildet hat, der unabhängig von den anderen Geschäften des Unternehmens nach Art eines selbständigen Unternehmens betrieben worden ist und nach außen hin ein selbständiges, in sich abgeschlossenes Wirtschaftsgebilde gewesen ist“.

Der BFH hat unter Hinweis auf die autonom gemeinschaftsrechtlich vorzunehmende Abgrenzung der begünstigten Teilvermögensübertragung in § 1 Abs. 1a UStG diese Sichtweise der Verwaltung abgelehnt. Weder eine bilanzielle Selbständigkeit noch die Heranziehung des einkommensteuerrechtlichen Teilbetriebsbegriffs aus § 16 EStG noch die Abschn. 1.5. Abs. 6 Satz 2 UStAE geäußerte Verwaltungsauffassung können zur Beurteilung einer Teilvermögensübertragung herangezogen werden.

Sachverhalt

Streitig ist die Steuerbarkeit der Veräußerung eines Erbbaurechts mit aufstehendem, verpachteten Rehazentrum als nichtsteuerbare Geschäftsveräußerung im Ganzen gem. § 1 Abs. 1a UStG. Im Streitjahr erwarb die Klägerin, eine AG, die insbesondere Seniorenzentren und Kliniken betrieb, von einem gemeinnützigen Verein ein Erbbaurecht mit aufstehendem Rehazentrum mit der Verpflichtung, den Mietvertrag mit der A-GmbH zu übernehmen. In den Jahren zuvor hatte der gemeinnützige Verein auf einem Erbbaugrundstück das Rehazentrum unter Inanspruchnahme von Vorsteuern errichtet und – unter Option zur Steuerpflicht – steuerpflichtig an die A-GmbH vermietet. Ca. 1 Jahr nach dem Erwerb veräußerte die Klägerin das Erbbaurecht mit aufstehendem Rehazentrum an die A-KG ohne Umsatzsteuerausweis. Mit gleicher notarieller Urkunde erwarb die A-KG das Eigentum an dem Erbbaugrundstück und schloss mit der A-GmbH einen Mietvertrag über 22,5 Jahre.

Entscheidung

Unter Hinweis auf die einschlägige und zuvor dargestellte EuGH-Rechtsprechung (EuGH, Urt. v. 27.11.2003 – Rs. C-497/01 – Zita Modes) hat der BFH in der Veräußerung des Erbbaurechts an dem Grundstück nebst aufstehendem Rehazentrum eine Teilvermögensübertragung und damit eine nichtsteuerbare Geschäftsveräußerung im Ganzen bejaht. Bei Grundstücksgeschäften führe, so der BFH, die Übertragung eines vermieteten oder verpachteten Grundstücks zu einer Geschäftsveräußerung gem. § 1 Abs. 1a UStG, da durch den mit Grundstückserwerb verbundenen Eintritt in dem Miet- oder Pachtvertrag ein Vermietungs- oder Verpachtungsunternehmen übernommen werde. Entsprechendes gelte, wenn ein verpachtetes oder vermietetes Grundstück nicht übertragen wird, sondern lediglich das Erbbaurecht – ein grundstücksgleiches Recht, für das die Vorschriften des BGB über Grundstücke gilt – an diesem Grundstück übergeht. Die für eine Teilvermögensveräußerung erforderliche Sachgesamtheit ergebe sich bei der Übertragung eines Erbbaurechts mit verpachtetem Rehazentrum als eines von mehreren verpachteten Objekten der Klägerin aus der Zusammenfassung von Erbbaurecht und Pachtvertrag. Unbeachtlich sei, ob bei der veräußernden Klägerin für das übertragene Erbbaurecht mit verpachtetem Gebäude vor der Veräußerung eine eigenständige betriebliche Organisation vorgelegen habe.

Praxishinweis

Zu beachten ist, dass die Beurteilung eines Vorganges als nichtsteuerbare Geschäftsveräußerung gem. § 1 Abs. 1a UStG unmittelbare Auswirkung auf eine eventuelle Vorsteuerberichtigung gem. § 15a UStG zeitigt. Im Falle einer Geschäftsveräußerung im Ganzen ordnet § 1 Abs. 1a Satz 3 UStG den Eintritt des Erwerbers in die Rechtsposition des Veräußerers an. Folglich läuft gem. § 15a Abs. 6a UStG der vom Veräußerer ausgelöst Berichtigungszeitraum für den Erwerber weiter, der konsequenterweise auch den vom Veräußerer vorgenommenen Vorsteuerabzug bei geänderter Verwendung des erworbenen Gegenstandes korrigieren muss. Liegt dagegen keine Geschäftsveräußerung vor, kann die Veräußerung – wie im vorliegenden Fall – für der Veräußerer zu einer Verwendungsänderung infolge der Veräußerung gem. § 15a Abs. 8 UStG führen. Ihn träfe in diesem Fall die Vorsteuerberichtigung. Vor allem Zweifel in der rechtlichen Beurteilung einer Veräußerung als nichtsteuerbare Geschäftsveräußerung gem. § 1 Abs. 1a UStG oder steuerbaren Umsatz führen vor allem in der Position des Erwerbers zu unkalkulierbaren Folgerisiken.