Grundsatz der Neutralität gebietet Rückzahlung zu Unrecht in der Rechnung ausgewiesener Umsatzsteuer

EuGH, Urt. v. 11.4.2013 – Rs. C-138/12 – Rusedespred OOD

Praxisproblem

Abweichend vom Unionsrecht regelt § 14c UStG die umsatzsteuerlichen Konsequenzen eines fehlerhaften Steuerausweises in einer Rechnung. § 14c Abs. 1 UStG regelt den unrichtigen Steuerausweis mit der grundsätzlich vorbehaltslosen Rechnungsberichtigungsmöglichkeit. § 14c Abs. 2 UStG regelt den unberechtigten Steuerausweis mit der Möglichkeit einer Rechnungsberichtigung bei Beseitigung der Gefährdung des Steueraufkommens und Zustimmung des Finanzamtes. Seit der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Schmeink und Cofreth sowie Manfred Strobel (EuGH, Urt. v. 19.9.2000 – Rs. C-454/98, UR 2000,470; BFH, Urt. v. 8.3.2001, BStBl. II 2004, 373) ist in allen Fällen des fehlerhaften Steuerausweises eine Rechnungsberichtigung möglich, sodass der Rechnungsaussteller auf der Basis der berichtigten Rechnung die zu Unrecht oder unrichtige Umsatzsteuer zurück verlangen kann.

Im Unterschied zum deutschen Recht regelt das Unionsrecht in Art. 203 MwStSystRL lediglich, dass die Mehrwertsteuer von jeder Person geschuldet wird, die diese Steuer in einer Rechnung ausweist. Das ungarische Recht setzt in Umsetzung dieser unionsrechtlichen Bestimmung fest, dass nur im Falle der Berichtigung einer fehlerhaften Rechnung die fälschlich in Rechnung gestellte Mehrwertsteuer erstattet werden kann, schließt aber gleichzeitig eine Rechnungsberichtigung endgültig aus, wenn dem Leistungsempfänger das Vorsteuerabzugsrecht aus dieser Rechnung versagt wurde.

Der EuGH musste anhand des Grundsatzes der Neutralität prüfen, ob eine solche nationalstaatliche Regelung mit dem Unionsrecht vereinbar ist.

Sachverhalt

Die Klägerin, Rusedespred, verkaufte an die Esi Trade EOOD ein Gebäude nebst Renovierung, wies in der Rechnung die Preise für das Gebäude, die Renovierung, die Grunderwerbsteuer und die Eintragungsgebühren aus. Da der Verkauf des Gebäudes als steuerfrei bewertet wurde, wies die Klägerin in der Rechnung die Umsatzsteuer alleine auf die Posten „Renovierung, Grunderwerbsteuer und Eintragungsgebühren“ aus. Im Rahmen einer Steuerprüfung wurde Esi Trade aus der Rechnung der Vorsteuerabzug versagt, da alle in der Rechnung abgerechneten Umsätze steuerbefreit seien. Ein diesbezüglicher Steuerbescheid wurde bestandskräftig. Wegen des mit bestandskräftigem Steuerbescheid versagten Vorsteuerabzugs ist nach ungarischem Recht eine Rechnungsberichtigung ausgeschlossen. Folglich wurde der Antrag der Klägerin auf Erstattung des zu Unrecht in Rechnung gestellten Umsatzsteuerbetrages abgelehnt.

Entscheidung

Der EuGH leitet aus Art. 203 MwStSystRL das Recht zur Rechnungsberichtigung ab, falls eine Gefährdung des Steueraufkommens entweder nicht bestand oder beseitigt worden ist. Die Mitgliedstaaten können hierzu die Bedingungen festlegen, unter denen zu Unrecht in Rechnung gestellte Mehrwertsteuer berichtigt werden kann. Der Grundsatz der Neutralität verlange jedoch bei einer rechtzeitigen und vollständigen Beseitigung der Gefährdung des Steuerauskommens, dass die zu Unrecht in Rechnung gestellte Mehrwertsteuer berichtigt werden kann, ohne auf die Gutgläubigkeit des Rechnungsausstellers abzustellen. Hieraus leitet der EuGH für das ungarische Recht die Erstattung der Mehrwertsteuer zugunsten der Klägerin ab. Da die Gefährdung des Steueraufkommens durch Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug völlig ausgeschlossen gewesen sei, sei die im ungarischen Recht – unerfüllbare – Voraussetzung, die Rechnung berichtigen zu müssen, unverhältnismäßig. Gleichzeitig gewährt der EuGH  dem Steuerpflichtigen ein subjektives Recht, sich auf den Grundsatz der Neutralität in der durch die Rechtsprechung zu Art. 203 MwStSystRL konkretisierten Form berufen zu können.

Praxishinweis

Unmittelbare Auswirkungen für das deutsche Recht hat diese Entscheidung des EuGH nicht.