Umfang der Sorgfaltspflichten im Bereich der Nachweise für die Steuerbefreiung innergemeinschaftlicher Lieferungen und Gutglaubensschutz

BFH Aktuell      

BFH, Urt. v. 14.11.2012, XI R 17/12 und BFH, Urt. v. 14.11.2012, XI R 8/11

Praxisproblem

Bekanntlich hat der Unternehmer die Voraussetzungen der Steuerbefreiung seiner innergemeinschaftlichen Lieferung gem. § 6a Abs. 3 UStG iVm §§ 17a –c UStDV nachzuweisen. Das Unionsrecht überlässt es den Mitgliedstaaten, den entsprechenden Rahmen der Nachweispflichten selbst festzulegen. Nur wenn der Unternehmer die gesetzlichen Nachweispflichten erfüllt, kann er die Steuerbefreiung für seine innergemeinschaftliche Lieferung in Anspruch nehmen. Kommt er den Nachweispflichten nicht oder nur unvollständig nach, erweisen sich die Nacheisangaben bei einer Überprüfung als unzutreffend oder bestehen zumindest berechtigte Zweifel an der inhaltlichen Richtigkeit der Angaben, die der Unternehmer nicht ausräumen kann, ist die Lieferung steuerpflichtig. Eine Ausnahme hiervon ist unionsrechtlich nur dann gegeben, wenn objektiv zweifelsfrei feststeht, dass die Voraussetzungen der Steuerfreiheit erfüllt sind.

Häufig ergeben sich aufgrund von Kontrollmitteilungen berechtigte Zweifel, beispielsweise hinsichtlich des richtigen Abnehmers, wenn es sich bei dem als Abnehmer Auftretenden nur um einen Scheinunternehmer gehandelt hat. In diesen Fällen berufen sich die Steuerpflichtigen zumeist auf die Vertrauensschutzregelung gem. § 6a Abs. 4 UStG. Hiernach kann die Lieferung – obwohl die Voraussetzungen nicht vorliegen – dennoch steuerfrei sein, wenn der Unternehmer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns aufgewendet hat. Zu berücksichtigen ist aber, dass:

  • § 6a Abs. 4 UStG nur das Vertrauen auf unrichtige Abnehmerangaben schützt; ohne formelle Vollständigkeit greift nach ständiger Rechtsprechung die Vertrauensschutzregelung des § 6a Abs. 4 UStG nicht ein;
  • der Umfang der geforderten Sorgfaltspflicht in Abhängigkeit vom Liefergeschäft und der Art der Abwicklung zu beurteilen ist; Lieferungen von hochpreisigen Pkw, die per Barzahlung abgeholt werden, verlangen eine höhere Sorgfaltspflicht, als andere Liefergeschäfte.

Die Frage der formellen Vollständigkeit, die Voraussetzung für den Gutglaubensschutz gem. § 6a Abs. 4 UStG ist, beurteilt der BFH zunehmend restriktiv. So verlangt er bisher schon für einen formal vollständigen Beleg, dass in der Rechnung auf die Steuerbefreiung der innergemeinschaftlichen Lieferung hingewiesen wird (BFH, Urt. v. 12.5.2012 – V R 49/10). Den CMR-Frachtbrief erkennt er als Belegnachweis nur bei vollständig ausgefülltem CMR als Belegnachweis an (vgl. BFH, Urt. v. 17.11.2011 – VR 28/10), eine Vorgabe, die die Praxis nur in seltenen Ausnahmefällen erfüllen kann.

 

Sachverhalt

a)            BFH, XI R 17/12

Die Klägerin, eine GmbH, lieferte als Kraftfahrzeughändler einen gebrauchten hochpreisigen Pkw an die Italien ansässige „Abnehmerin“ T mit Sitz in V. Das Fahrzeug wurde durch Vermittlung einer Firma S durch einen Bevollmächtigten B bei der Klägerin abgeholt. Der Kaufpreis wurde durch den Bevollmächtigten bar bezahlt. Die Klägerin ließ sich eine Kopie des Personalausweises von B vorlegen. Die Empfangsbestätigung auf der Rechnung beinhaltete den handschriftlichen Vermerk: „Fzg. wird gem. Kaufvertrag vom ... nach Italien ausgeführt“ und wurde von B unterschrieben. Unstreitig ist, dass:

  • die Unterschrift unter der Empfangsbestätigung von der Unterschrift auf der Personalausweiskopie abweicht,
  • der italienische Abnehmer T lediglich ein Scheinunternehmer war.

b)            BFH, XI R 8/11

In dem zweiten BFH-Verfahren war die Lieferung einer Motoryacht aus Deutschland nach Spanien als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung im Streit. Die Klägerin begehrte die Steuerbefreiung und legte als Beleg einen CMF-Frachtbrief vor, der das Feld 4 („Ort und Tag der Übernahme des Gutes“), Feld 21 (Ausfertigungsort) nicht eindeutig identifizierbar ausgefüllt hatte und in Feld 24 (Unterschrift des Empfängers) Unregelmäßigkeiten (identisches Empfangsdatum und Ausfertigungsdatum) aufwies. Die von der Klägerin vorgelegte Rechnung über den Verkauf enthielt den Zusatz „VAT@zero for export“.

Entscheidung

a)      BFH, XI R 17/12

  1. Da T nur Scheinunternehmer war, fehlte der Nachweis des wirklichen Abnehmers, die Lieferung war keine steuerfrei Lieferung gem. § 6a Abs. 1 UStG.
  2. Die Vertrauensschutzregelung setzt im vorliegenden Fall noch den Nachweis des zutreffenden „Bestimmungsortes“ voraus, der auch nicht zwingend aus der Rechnungsanschrift ableitbar war; es fehlte der Nachweis, dass der Pkw tatsächlich zum Unternehmenssitz, der Rechnungsanschrift, transportiert worden war. Ein Bezug zur Unternehmensanschrift im Kaufvertrag reichte dem BFH nicht aus.
  3. Wegen der Besonderheiten „Gebrauchtwagenlieferung“ und „Barzahlung“ sind erhöhte Sorgfaltspflichten im Rahmen des § 6a Abs. 4 UStG anzustellen.
  4.  Schließlich wies der BFH das erstinstanzliche FG an zu prüfen, inwieweit vorliegend eventuell die Grundsätze der Differenzbesteuerung gem. § 25a UStG zur Anwendung kommen können.

 

b)      BFH, XI R 8/11

  1. Der Belegnachweis setzt eine Rechnung voraus, die den Anforderungen des § 14 UStG genügen muss. Voraussetzung dafür ist der Hinweis auf die Steuerbefreiung der innergemeinschaftlichen Lieferung. Der auf der Rechnung ausgebrachte Vermerk „VAT@zero for export“ genügt diesen Anforderungen nicht. Es lasse sich nicht mit hinreichender Deutlichkeit hieraus entnehmen, dass es sich um eine innergemeinschaftliche Lieferung – und etwa nur um eine Lieferung aus einem oder in ein Drittland – handele.
  2. Der CMR-Frachtbrief weist für den BFH erhebliche Mängel auf und ist damit nicht vollständig. Nur ein vollständiger CMR könne aber als Belegnachweis dienen.
  3. Objektiv stehe – so der BFH – die Steuerbefreiung ebenfalls nicht fest, da der CMR-Frachtbrief nicht vollständig sei und erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der gemachten Angaben bestünden. Also: nur ein formell vollständiger Belegnachweis kann objektiv den Nachweis der Steuerbefreiung ermöglichen. Anders ausgedrückt: ohne (vollständigen) Belegnachweis kann der Unternehmer letztlich die Steuerbefreiung seiner innergemeinschaftlichen Lieferung objektiv nicht in Anspruch nehmen.
  4. Der gem. § 6a Abs. 4 UStG grundsätzlich mögliche Gutglaubensschutz könne nicht greifen, da die Klägerin nicht den formell vollständigen Belegnachweis erbracht habe.

Praxishinweis

Die Aussagen des BFH sind insoweit von Interesse, als er zum einen die Auffassung der Verwaltung in Abschn. 6a.3 Abs. 9 Satz 5 UStAE zum Unterschriftenabgleich bestätigt: vor allem in Abholfällen ist ein Abgleich der Unterschrift auf Passkopie und Verbringensnachweis nicht per se unverhältnismäßig. Auffällige Unterschiede zwingen zu einem Abgleich, auch wenn Unterschriften sich verändern und eventuell auf einem Personalausweis mangels Platzes ein anderes Bild aufweisen als auf anderen Dokumenten. Auch ein Barverkauf zwingt nach Auffassung des BFH zu erhöhter Sorgfaltspflicht. Eine solche Abwicklungsmodalität berge ein erhebliches umsatzsteuerliches Missbrauchsrisiko und rechtfertige besonders hohe Anforderungen an die Einhaltung der umsatzsteuerlichen Verpflichtungen des Verkäufers (vgl. hierzu EuGH, Urt. v. 6.9.2012 – Rs. C-273/11 – Mecsek-Gabona Kft, Rdnr. 48 und 50). Bei Barverkäufen hochpreisiger Pkw ins Ausland seien Nachforschungen „bis an die Grenze der Zumutbarkeit“ erlaubt. Zusammengefasst bürdet der BFH dem leistenden Unternehmer ein erhebliches Nachweis-Risiko in den Fällen auf, in denen (nachträglich) Unregelmäßigkeiten festgestellt werden. Ein Risikoausgleich zwischen Finanzverwaltung und Steuerpflichtigem besteht offenkundig im Bereich der Nachweispflichten für den BFH nicht. Bestehen keine längeren Geschäftsbeziehungen, werden Dritte bei der Leistungsabwicklung dazwischengeschaltet oder fehlt ein nachvollziehbarer Schriftverkehr (fehlende Faxkennung, widersprüchliche Angaben des Abnehmers) trifft den leistenden Unternehmer ein erhöhtes Nachweisrisiko.

Schließlich ist noch darauf hinzuweisen, dass nicht etwa mit einem besonders intensiven Buchnachweis Mängel beim Belegnachweis und umgekehrt geheilt werden können. Offen ist zur Zeit alleine, mit welchem genauen Text auf die Steuerbefreiung der innergemeinschaftlichen Lieferung in der Rechnung hingewiesen werden muss. Möglich ist sowohl ein Hinweis auf die deutsche Rechtslage (§ 6a Abs. 1 UStG) als auch auf das Unionsrecht (Art. 138 MwStSystRL); ein Gesetzeszitat scheint aber entbehrlich, wenn es mit Worten umschrieben wird. Ebenfalls scheint ein Hinweis in ausländischer - vorzugsweise englischer – Sprache zulässig zu sein.