Versagung einer Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer wegen nicht ausgeübter wirtschaftlicher Tätigkeit

EuGH Aktuell

EuGH, Urt. v. 14.3.2012- Rs. C-527/11 – Ablessio SIA

Praxisproblem

Die aktive Teilnahme am Europäischen Binnenmarkt setzt in jedem Fall eine Mehrwertsteuerregistrierung in mindestens einem der Mitgliedsländer voraus. Dokumentiert wird die Registrierung durch die sog. Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer (USt-IDNr.). Die USt-IDNr. wird benötigt in dem Bereich der grenzüberschreitenden Lieferungen. Nur, wer mit einer solchen USt-IDNr. auftritt, kann die Steuerfreiheit einer grenzüberschreitenden Warenbewegung auslösen. Im Bereich der Dienstleistungen ermöglicht die Verwendung einer USt-IDNr. die Ortsbestimmung nach Art. 44 MwStSystRL, § 3a Abs. 2 Satz 1 UStG. Der Ort liegt dort, wo der Leistungsempfänger seinen Sitz hat. Zu beachten ist allerdings, dass die USt-IDNr. keine materiell-rechtliche Voraussetzung – weder für die Steuerbefreiung der Lieferung noch für die Ortsbestimmung bei Dienstleistungen im B2B-Bereich – ist. Sie dient jedoch als formeller Nachweis des steuerlichen Status des Steuerpflichtigen, der Kontrolle des Steuerpflichtigen und damit der Erleichterung der genauen Erhebung der Umsatzsteuer. Das Unionsrecht sieht sie als Identifizierung des Steuerpflichtigen im Zusammenhang mit dem ordnungsgemäßen Funktionieren des Mehrwertsteuersystems.

Für das deutsche Recht bestimmt § 27a UStG, wer die USt-IDNr. beantragen kann, wer sie erteilt und in welchem Verfahren die Erteilung zu erfolgen hat. Gem. § 27a Abs. 1 Satz 1 UStG haben alle Unternehmer iSd § 2 Abs. 1 UStG einen Anspruch auf Erteilung einer USt-IDNr. Diese weist ihren Inhaber als Unternehmer oder sonstige Person aus, die der Umsatzsteuer in Deutschland unterliegt. Die übrigen Mitgliedstaaten haben Zugriff auf diese deutsche USt-IDNr., die über eine jeweilige Zentralbehörde qualifiziert abgefragt werden kann. In Deutschland fungiert die USt-IDNr. neben der Steuernummer. Voraussetzung für die Erteilung einer USt-IDNr. ist in Deutschland, dass der Antragsteller bei den zuständigen Landesfinanzbehörden umsatzsteuerlich geführt wird. Grundsätzlich wird sie daher von Amts wegen erteilt, sie kann aber auch unmittelbar beim Bundeszentralamt für Steuern beantragt werden. Gründe für eine Versagung gibt es im deutschen Recht nicht.

Deutsche Unternehmen beklagen zunehmend die Versagung, Nichterteilung oder nur schleppende Erteilung der USt-IDNr. in anderen Mitgliedstaaten, verbunden mit dem gleichzeitigen Ausschluss aus dem Binnenmarktsystem. In der Rs. Ablessio SIA musste der EuGH zu der Frage Stellung nehmen, ob eine USt-IDNr. alleine deswegen versagt werden darf, weil der Antragsteller nicht über die materiellen, technischen und finanziellen Mittel verfügte, um eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben zu können.

Sachverhalt

Ablessio, eine lettische Gesellschaft, die Bauleistungen erbringt, beantragte die Eintragung in das lettische Register der Mehrwertsteuerpflichtigen. Dieser Antrag wurde abgelehnt, da Ablessio über keine Anlagegüter verfüge, keinen Mitvertrag über solche Anlagegüter abgeschlossen habe, nicht in das Register der Bauunternehmen eingetragen worden und seit ihrer Gründung keiner effektiven wirtschaftlichen Tätigkeit nachgegangen sei. Hinzu kam, dass der Inhaber Ablessios bereits mehrmals eine individuelle Nummer für andere Unternehmen erhalten hatte, ohne jedoch insoweit eine wirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt zu haben.

Entscheidung

Der EuGH stellt zunächst dar, dass die Zuteilung einer USt-IDNr. nicht nur gegenüber Personen möglich ist, die bereits eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben, sondern auch gegenüber denjenigen, die beabsichtigen, eine solche Tätigkeit aufzunehmen und die erste Investitionsausgaben zu diesem Zweck tätigen. Unerheblich ist, dass diese Personen in diesem Vorstadium ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit möglicherweise noch nicht darlegen und beweisen können, dass sie bereits über die materiellen, technischen und finanziellen Mittel für die Ausübung einer solchen Tätigkeit verfügen. Zwar darf jeder Mitgliedstaat zum Schutz der finanziellen Haushaltsinteressen und zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung, Steuerumgehung und etwaigen Mißbräuchen letztlich auch die Zuteilung der USt-IDNr. versagen. Dabei ist jedoch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Die Versagung muss auf ernsthaften Anzeichen beruhen, nach denen objektiv davon ausgegangen werden kann, dass es wahrscheinlich ist, dass die diesem Steuerpflichtigen zugeteilte USt-IDNr. in betrügerischer Absicht verwendet werden wird. Im Rahmen einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls müssen hierfür Beweise vorgelegt werden, die diese betrügerische Absicht bestätigen. Die Überprüfung obliegt dem nationalen Gericht.

Praxishinweis

Es ist ausdrücklich durch den EuGH nochmals klargestellt worden, dass wegen der formellen Bedeutung der USt-IDNr., die Weigerung eine solche zuzuteilen, keinen Einfluß auf das Vorsteuerabzugsrecht haben darf. Sämtliche, für die Notwendigkeit der USt-IDNr. angeführten Gründe, dürfen nicht zu einer Beschränkung des Vorsteuerabzugsrechts führen. Das heißt also für die deutschen Unternehmen im EU-Ausland:

  • selbst wenn ihnen eine Registrierung und damit die Erteilung einer USt-IDNr. versagt wird,
  • kann über die mangelnde Registrierung
  • nicht die Ausübung des Vorsteuerabzugsrechts verhindert werden.

Die Versagung der mehrwertsteuerlichen Registrierung kann damit in letzter Konsequenz gerichtlich überprüft werden und führt zu einem einklagbaren Anspruch, der nur im Falle behaupteter und auch bewiesener Mißbrauchsabsicht erfolglos ist.