BFH zum Gutglaubensschutz beim Vorsteuerabzug – Vertrauensschutz bei innergemeinschaftlichen Lieferungen

Anmerkung zu: BFH, Beschl. v. 18.02.2015, V S 19/14; Aussetzung der Vollziehung bei Vertrauen des Leistungsempfängers in die Rechnungsangaben des Lieferanten, wenn sich diese im Nachhinein als falsch herausstellen

Praxisproblem

Die Frage, ob einem Steuerpflichtigen der Vorsteuerabzug allein mit der Begründung versagt werden darf, dass es sich bei der angegebenen Anschrift um einen „Scheinsitz“ handelt und damit in der Rechnung keine „zutreffende“ Anschrift des leistenden Unternehmers angegeben ist, beschäftigte bis dato „nur“ die Finanzgerichte.  Im Laufe der letzten Monate entschieden verschiedene Finanzgerichte unterschiedlich über die Frage, ob die Angabe eines „Scheinsitzes“ in einer Rechnung dem Vorsteuerabzug des Leistungsempfängers entgegenstehe, wenn dieser auf die Rechnungsangaben seines Lieferanten vertraut hat. Stein des Anstoßes war der Beschluss des FG Münster vom 12.12.2013, 5 V 1934/13 U, in dem erstmals u.a. unter Bezugnahme auf das Urteil des EuGH v. 21.06.2012 in der Rechtssache Mahagében und David, C-142/11 und C-80/11 durch ein nationales Gericht entschieden wurde, dass die objektive Feststellungslast für die Versagung des Vorsteuerabzugs beim Finanzamt liege. Das Finanzamt müsse konkrete Anhaltspunkte darlegen, anhand derer bewiesen werden kann, dass der Unternehmer gewusst hat bzw. hätte wissen können oder wissen müssen, dass er in einen Umsatzsteuerbetrug verwickelt ist.

Vor dem Hintergrund der divergierenden Entscheidungen der Finanzgerichte stellt sich für den Rechtsanwender nicht nur die Frage, wem die Feststellungslast für die Versagung des Vorsteuerabzugs obliegt, sondern auch, anhand welcher Umstände der Rechnungsempfänger erkennen können muss, dass es sich bei der angegebenen Rechnungsanschrift um einen „Scheinsitz“ handelt. Des Weiteren bezog der BFH in dem Beschluss Stellung zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen sich der Unternehmer auf die Vertrauensschutzregelung nach § 6a Abs. 4 UStG berufen kann.

Der vorliegende Beschluss des BFH ist eine erste Orientierungshilfe für Unternehmer, wie sich die höchstrichterliche Rechtsprechung zu der Frage des Vertrauensschutzes in Rechnungsangaben des Lieferanten in Zukunft entwickeln wird.

Sachverhalt

Die Antragstellerin, eine GmbH, die in den Streitjahren 2007 und 2008 mit Kraftfahrzeugen handelte, beantragte für die Umsatzsteuerbescheide 2007 und 2008 sowie die Zinsen zur Umsatzsteuer 2008 die Aussetzung der Vollziehung.

Im Rahmen einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung, die den Voranmeldungszeitraum 2007 und die Zeiträume Januar bis Juni 2008 umfasste, gelangte die Prüferin ausweislich des Umsatzsteuer-Sonderprüfungsberichtes zu der Feststellung, dass die als umsatzsteuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen an die Firma B behandelten Umsätze steuerpflichtig seien. Die Fahrzeuge seien nach Feststellung der Steuerfahndung X-Stadt nicht nach Spanien verbracht, sondern im Inland weiter veräußert worden. Weitere Vorsteuerbeträge aus Rechnungen einer D-GmbH seien außerdem nicht abziehbar, da es sich um eine „Scheinfirma“ gehandelt habe, die unter ihrer Rechnungsanschrift keinen Sitz gehabt habe.

Für die Voranmeldezeiträume Juli bis Dezember 2008 versagte die Prüferin aufgrund einer umfassenden Umsatzsteuer-Sonderprüfung ebenfalls den Vorsteuerabzug. Daraufhin erließ das zuständige Finanzamt geänderte Umsatzsteuerbescheide für 2007.

Ohne Rücksicht auf die getroffenen Prüfungsfeststellungen reichte die Antragstellerin eine Umsatzsteuer-Jahreserklärung für 2008 ein. Das Finanzamt erließ daraufhin einen geänderten Umsatzsteuer-Jahresbescheid für 2008. Die Antragstellerin erhob sodann Klage wegen Umsatzsteuer 2007 und 2008.

Das Finanzgericht wies die zulässige Klage mit der Begründung zurück, dass der Vorsteuerabzug aus den Rechnungen zu versagen sei, weil die nach § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG notwendige vollständige Anschrift des leistenden Unternehmers in den Rechnungen fehle. Bei der Anschrift des leistenden Unternehmers habe es sich um einen Briefkastensitz gehandelt, an dem keine eigenen geschäftlichen Aktivitäten des Unternehmers stattgefunden hätten. Die Angabe eines Briefkastensitzes sei auch nach der Rechtsprechung des BFH bei einer GmbH nicht ausreichend i.S.v. § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG.

Das FG folgte ausdrücklich nicht dem Beschluss des FG Münster, in dem die Angabe eines Scheinsitzes in einer Rechnung dem Vorsteuerabzug nicht entgegenstehe, wenn sich für den Leistungsempfänger nach den Gesamtumständen im Vorfeld der Lieferung keine Zweifel an der in der Rechnung angegebenen Anschrift hätten ergeben müssen. Zudem lagen nach Auffassung des FG auch nicht die Voraussetzungen nach § 6a Abs. 4 UStG vor, da in den streitgegenständlichen Verbringungserklärungen kein Bestimmungsort für die Fahrzeuge angegeben war, sondern nur der Hinweis, dass die Fahrzeuge nach Spanien verbracht werden sollten.

Entscheidung

Der zulässige Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ist nach summarischer Prüfung zum Teil begründet.

Der BFH bestätigt, dass für eine zum Vorsteuerabzug berechtigende Rechnung die Angabe einer Anschrift, an der im Zeitpunkt der Rechnungsausstellung keinerlei geschäftliche Aktivitäten ausgeübt werden, grundsätzlich nicht den Pflichtangaben einer Rechnung nach § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG genügt. Hingegen könne nach den Umständen des Einzelfalls aber auch die Angabe eines „Briefkastensitzes“ mit postalischer Erreichbarkeit als Anschrift für die Voraussetzungen nach § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG ausreichen. Unter Wertung der Umstände des Einzelfalles liegen diese Voraussetzungen aber bei der Antragstellerin nicht vor. Bei einer GmbH, die in großem Umfang im Kfz-Handel tätig sei, handelt es sich nicht um eine zum Vorsteuerabzug berechtigende Rechnung, sofern sich unter der in der Rechnung genannten Anschrift nur eine nicht in Anspruch genommene Telefonleitung und eine Briefempfangsstelle befinden, hingegen aber keine eigenen Geschäftsräume.

Obwohl die Antragstellerin mithin nicht über eine zum Vorsteuerabzug berechtigende Rechnung verfügte, stellte der BFH darauf ab, ob ein Vorsteuerabzug dennoch in Betracht komme, wenn der Leistungsempfänger auf die Rechnungsangaben seines Lieferanten vertraut hat und sich diese im Nachhinein als falsch herausstellen. Unter Hinweis auf die in dieser Frage divergierenden Rechtsauffassungen des FG Münster, des Sächsischen FG sowie des FG Berlin-Brandenburg ist bei summarischer Prüfung ein Erfolg der Antragstellerin im Revisionsverfahren nicht auszuschließen, so dass die beantragte Aussetzung der Vollziehung diesbezüglich gewährt worden ist.

Hinsichtlich der Voraussetzungen des Vertrauensschutzes nach § 6a Abs. 4 UStG entschied der BFH, dass das Vertrauen auf unrichtige Abnehmerangaben nur geschützt sei, sofern der Unternehmer seine Nachweispflichten erfüllt hätte. Da in den Verbringungsnachweisen bereits die Angabe des Bestimmungsortes fehlte, ist der Nachweis formell unvollständig, so dass sich die Frage des Gutglaubensschutzes nicht stellt, da der Unternehmer seinen Nachweispflichten nicht nachgekommen ist.

Praxishinweis

Bisher hat der Leistungsempfänger grundsätzlich keinen Anspruch auf den Vorsteuerabzug nach § 15 UStG, wenn die Pflichtangaben einer Rechnung nach §§ 14, 14a UStG fehlen oder unzutreffend sind. Die durch den BFH gewährte Aussetzung der Vollziehung kann als ein Indiz dafür gedeutet werden, dass der BFH zugunsten der Antragstellerin entscheiden wird. Dies bedeutet, dass dem Vertrauensschutz in die Rechnungsangaben des Lieferanten ein stärkeres Gewicht zukommen wird, sofern sich für den Leistungsempfänger keine Zweifel an der in der Rechnung angegebenen Anschrift hätten ergeben müssen.

Offen bleibt, ab wann der Leistungsempfänger an den Rechnungsangaben seines Lieferanten zweifeln muss bzw. aus welchen Umständen sich Auffälligkeiten für ihn ergeben müssen. Anlass, die Rechnungsangaben zu überprüfen, besteht insbesondere, wenn bereits im Geschäftsverkehr übliche Kontaktdaten wie Telefonnummer, Telefaxnummer, E-Mail-Adresse oder die Bankverbindung in der Rechnung fehlen oder hohe Rechnungsbeträge in bar vereinnahmt werden. Erhöhte Nachforschungspflichten bestehen erst recht, wenn dem Leistungsempfänger im Zeitpunkt der Leistungserbringung bekannt war, dass dem Unternehmer die Ausübung des Gewerbes untersagt war.

Der Beschluss des V. Senats des BFH ist v.a. auch deshalb interessant, weil der XI. Senat beim BFH mit Beschluss vom 20.01.2015, XI B 112/14 in einem Fall falscher Rechnungsangaben (Postleitzahl und Steuernummer existierten nicht) keine Aussetzung der Vollziehung gewährt hatte (vgl. dazu unseren Newsletter März 2015). Die weitere Entwicklung in der Rechtsprechung sollte daher aufmerksam beobachtet werden.

Wie die genannten unterschiedlichen Rechtsaufassungen nicht nur zwischen den Finanzgerichten, sondern auch zwischen den Umsatzsteuersenaten beim BFH verdeutlichen, herrscht gegenwärtig keine klare Linie, an der sich die Unternehmer orientieren können, wenn es um den Vorsteuerabzug trotz falscher Rechnungsangaben des leistenden Unternehmers geht. Vor diesem Hintergrund sollten Unternehmer sowohl großen Wert auf die Prüfung von Eingangsrechnungen als auch von ihren Geschäftspartnern legen, insbesondere wenn es sich um neue Geschäftspartner handelt. Es empfiehlt sich die Einrichtung eines Umsatzsteuer-Compliance-Systems, anhand dessen Debitoren und Kreditoren sowie die formellen Rechnungsvoraussetzungen geprüft werden können.