Verwendungsabsicht und Aufteilung der Vorsteuern: Verhältnisse der gesamten Umsätze im Besteuerungszeitraum maßgebend

BFH, Urt. v. 24.4.2013, XI R 25/10

Praxisproblem

§ 15 Abs. 2 UStG schließt den Vorsteuerabzug für solche Eingangsleistungen aus, die unter anderem zur Ausführung steuerfreier Ausgangsumsätze verwendet werden. Im Unterschied zur deutschen Regelung definiert der EuGH die Vorgaben aus Art. 168 MwStSystRL dahingehend positiv, dass der Unternehmer dann zum Vorsteuerabzug berechtigt ist, wenn ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang zwischen einem bestimmten Eingangsumsatz und einem oder mehrerer den Vorsteuerabzug ermöglichender Ausgangsumsätze besteht. In Abschn. 15.12 Abs. 1 Satz 4 UStAE geht die Verwaltung unter Beachtung der BFH-Rechtsprechung (BFH, Urt. v. 16.5.2002 – V R 56/00, BStBl. II 2006, 725) davon aus, dass unter dem Begriff der Verwendung auch die Verwendungsabsicht fällt. Hieraus folgt für die herrschende Meinung, dass unter Beachtung des Grundsatzes vom Sofortabzug der Vorsteuer die Verwendungsverhältnisse oder – wenn solche noch nicht vorliegen – die maßgebliche Verwendungsabsicht für die Gewährung des Vorsteuerabzugs maßgeblich ist. Wenn folglich der Unternehmer im Zeitpunkt des Leistungsbezuges zunächst die Absicht einer steuerfreien Verwendung hat, tatsächlich aber im abgelaufenen Besteuerungszeitraum steuerpflichtige Ausgangsumsätze getätigt werden, soll dem Unternehmer nur die Möglichkeit der Vorsteuerberichtigung gem. § 15a UStG übrig bleiben, um den zunächst ausgeschlossenen Vorsteuerabzug ratierlich beanspruchen zu können. Bereits mit seinem Urteil v. 2.3.2006 – V R 49/05, BStBl. II 2006, 729 hat der BFH die Kombination von Sofortabzug, Zeitpunkt des Leistungsbezuges und Verwendungsabsicht dahingehend relativiert, dass zumindest dann, wenn im Jahr des Leistungsbezuges mit der tatsächlichen Verwendung begonnen wurde, es für die Beurteilung des Vorsteuerabzugs auf die tatsächliche Verwendung in diesem Kalenderjahr ankomme.  In dem vom BFH im Urteil v. 24.4.2013 zu entscheidenden Fall ging es ebenfalls um die Frage, ob die im Zeitpunkt des Leistungsbezuges vorliegende Verwendungsabsicht oder die tatsächlich im Besteuerungszeitraum (Kalenderjahr) getätigten Verwendungsumsätze für den Vorsteuerabzug entscheidend sind. Die Besonderheit des Falls bestand darin, dass die Kosten der Eingangsleistung nicht einem bestimmten Ausgangsumsatz, sondern den Gemeinkosten zuzurechnen waren.

Sachverhalt

Streitig war der Vorsteuerabzug einer Kapitalgesellschaft für das Kalenderjahr 2005. Gegenstand ihres Unternehmens war die Vermittlung von Anteilen an Publikumsgesellschaften sowie die Erstellung von Anlegerinformationen für Publikumsgesellschaften. In den Jahren 2001 bis 2004 führte sie überwiegend steuerfreie Umsätze gem. § 4 Nr. 8 Buchst. f UStG aus, aufgrund dessen sie für 2005 lediglich 5% der angefallenen Vorsteuerbeträge geltend machte. Im September 2005 stellte sich heraus, dass die geplanten steuerfreien Umsätze nicht mehr zustande kommen und nur noch steuerpflichtige Umsätze erzielt werden würden. Aufgrund dessen begehrte die Kapitalgesellschaft in der Umsatzsteuererklärung 2005 den vollumfänglichen Vorsteuerabzug und erklärte ausschließlich steuerpflichtige Ausgangsumsätze. Dem gegenüber gewährte das Finanzamt, basierend auf der Verwendungsabsicht im Zeitpunkt des Leistungsbezuges, den Vorsteuerabzug nur in Höhe von 5%. In der mündlichen Verhandlung vor dem FG stimmten die Beteiligten darüber überein, dass es sich bei den Leistungsbezügen der Kapitalgesellschaft um Aufwendungen handelte, die nicht direkt und unmittelbar bestimmten Ausgangsumsätzen zugeordnet werden konnten.

Entscheidung

Der BFH hat den vollumfänglichen Vorsteuerabzug gewährt, indem er auf die im Kalenderjahr 2005 ausschließlich steuerpflichtigen Umsätze abstellte, nicht dagegen auf die im Zeitpunkt des Leistungsbezuges geäußerte Verwendungsabsicht. Er ging dabei nach den unstreitigen Feststellungen des FG davon aus, dass zwar kein direkter und unmittelbarer Zusammenhang zwischen einem bestimmten Eingangsumsatz und einem oder mehrerer vorsteuerabzugsgewährender Ausgangsumsätze vorläge. Die Kosten der Eingangsleistungen gehörten aber zu den allgemeinen Aufwendungen der Kapitalgesellschaft und seien als solche Bestandteile des Preises der von ihr erbrachten Leistungen. Die Kosten hingen damit direkt und unmittelbar mit ihrer wirtschaftlichen Gesamttätigkeit zusammen.

Das Abstellen auf die Verhältnisse der gesamten Umsätze im Besteuerungszeitraum leitet der BFH unmittelbar aus Art. 173 Abs. 1 iVm Art. 175 Abs. 3 MwStSystRL ab. Danach bemisst sich der für ein Jahr geltende pro-rata-Satz zwar vorläufig nach dem auf der Grundlage der Umsätze des vorangegangenen Jahres ermittelten pro-rata-Satz. Die Festsetzung des endgültigen pro-rata-Satzes, die für jedes Jahr im Laufe des folgenden Jahres vorgenommen wird, führt aber zur Berichtigung der nach dem vorläufigen pro-rata-Satz vorgenommenen Vorsteuerabzüge. Zudem sei der Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer verletzt, wenn die Vorbelastung einer Eingangsleistung alleine deshalb nicht abgezogen werden dürfe, weil zum Zeitpunkt des Leistungsbezuges ein steuerfreier Umsatz beabsichtigt war, im Besteuerungszeitraum gem. § 18 Abs. 3 UStG – also regelmäßig dem Kalenderjahr – die Vorleistung aber tatsächlich in einen besteuerten Ausgangsumsatz eingegangen ist.

Die von der herrschenden Meinung bislang herangezogenen EuGH-Urteile in Sachen Schlossstrasse (EuGH, Urt. v. 8.6.2000 – Rs. C-398/98, BStBl. II 2003, 446), Breitsohl (EuGH, Urt. v. 8.6.2000 – Rs. C-400/98, UR 2000, 329), INZO (EuGH, Urt. v. 29.2.1996 – Rs. C-110/94, BStBl. II 1996, 655) und Gent Coal Terminal (EuGH, Urt. v. 15.1.1998 – Rs. C-37/95, UR 1998, 149) rechtfertigen für den BFH kein anderes Ergebnis. Diese Urteile betreffen – so der BFH – nicht den vorliegenden Sachverhalt, in dem es um nicht zurechenbare Gemeinkosten geht, sondern den Fall, dass der Steuerpflichtige die bezogenen  Gegenstände oder Dienstleistungen aufgrund von Umständen, die von seinem Willen unabhängig waren, nicht zu den ursprünglich beabsichtigten Umsätzen verwenden konnte. Im vorliegenden Sachverhalt dagegen war ein bereits seit Jahren tätiges Unternehmen mit seinem bisherigen, im Streitfall teilweise fortgeführten, teilweise eingestellten Aktivitäten betroffen.

Praxishinweis

Die BFH-Entscheidung betrifft verallgemeinernd die Gleichstellung der Verwendungsabsicht mit der Verwendung. Es geht insbesondere um das Verhältnis des Vorsteuerabzugs nach § 15 UStG und der Vorsteuerberichtigung nach § 15a UStG. Ist alleine die Verwendungsabsicht ausschlaggebend für den Vorsteuerabzug, nicht dagegen die tatsächliche Verwendung im Kalenderjahr des Erstbezuges, hat dies in sehr vielen Fällen vor allem bei Eingangsleistungen im Zusammenhang mit Grundstücken erhebliche nachteilige Auswirkungen für den Unternehmer. Die Verwaltung verlangt für den Vorsteuerabzug anhand der Verwendungsabsicht ein Glaubhaftmachen der Absicht, belegt durch objektive Anhaltspunkte (vgl. Abschn. 15.12 Abs. 1 Satz 10 und Abs. 2 UStAE). Das jüngste Urteil des BFH stellt einen weiteren Schritt hin zu der ursprünglichen, vor Änderung des § 15a UStG zum 1.1.2002 geltenden Rechtslage dar. Danach war der Vorsteuerabzug im Zeitpunkt des Eingangsumsatzes vorläufig zu gewähren und unter Beachtung der tatsächlichen Verwendungsverhältnisse im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung nach AO-Vorschriften und nicht nach § 15a UStG zu berichtigen.