EuGH zum Pauschalentgelt für eine Garantie im Fall des Defekts eines Gebrauchtfahrzeugs

Anmerkung zu: EuGH, Urt. v. 16.07.2015, C-584/13, Mapfre asistencia und Mapfre warranty;  Begriff „Versicherungsumsätze“, Begriff „Dienstleistungen“, Pauschalentgelt für eine Garantie für den Fall des Defekts eines Gebrauchtfahrzeugs

Praxisproblem

§ 4 Nr. 8 Buchst. g UStG beschränkt sich auf die Übernahme von Schulden/Verpflichtungen in Geld. Dementsprechend liegt auch in Fällen, in denen sich Autoverkäufer nach „Garantiebedingungen“ zur Durchführung einer Reparatur im Falle des Schadenseintritts und nicht zu einer Schadensersatzleistung in Geld verpflichten, keine steuerfreie Übernahme von Verbindlichkeiten vor. Danach hat der Käufer/Garantienehmer einen Anspruch gegen den Unternehmer, dass er die entsprechenden Reparaturarbeiten durchführt, also Naturalrestitution leistet. Bei diesem Anspruch handelt es sich ebenso wenig wie bei der Verpflichtung zur Renovierung einer Immobilie um eine Finanzdienstleistung. Bei einer gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung liegen damit die Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 8 Buchst. g UStG hinsichtlich der Verpflichtung des Unternehmers zur Durchführung der Reparatur nicht vor (vgl. BFH, Urt. v. 10.02.2010, XI R 49/07, BFH/NV 2010, 1055).

Sachverhalt

Das französische Vorabentscheidungsersuchen betraf die Frage, ob die Leistung eines von einem Gebrauchtwagenhändler unabhängigen Unternehmers, die darin besteht, gegen Zahlung eines Pauschalbetrags Reparaturen nach mechanischen Funktionsausfällen zu versichern, die bestimmte Teile eines Gebraucht-Pkw betreffen können, einen steuerbefreiten Versicherungsumsatz (Art. 13 Teil B Buchst. a der 6. EG-Richtlinie bzw. Art. 135 Abs. 1 Buchst. a MwStSystRL) oder eine steuerpflichtige Dienstleistung darstellt.

Die Klägerin bietet den Kunden von Gebrauchtwagenhändlern gegen Entgelt eine Art Garantie für mechanische Ausfälle von Gebrauchtwagen an. Die Klägerin selbst ist nicht Vertragspartei des Pkw-Kaufvertrages. Im Garantiefall erstattet die Klägerin die Kosten der in einer Vertragswerkstatt durch-geführten Reparatur. Die Klägerin hat ihrerseits (offensichtlich zur Abdeckung ihres eigenen Risikos) bei einem Versicherungsunternehmen V eine Versicherung abgeschlossen.

Zwischen den Beteiligten war streitig, ob es sich bei den von der Klägerin (und V) erbrachten Leistungen um steuerpflichtige Dienstleistungen oder steuerfreie Versicherungsleistungen handelt. Streitig war auch, welche Art von Versicherungsleistungen ggf. in Betracht kommt und welcher Versicherungssteuersatz anwendbar ist. Die französischen Steuerbehörden hatten die Leistungen der Klägerin einer Versicherungssteuer von 18 % unterworfen. Die Klägerin war dagegen der Auffassung, dass die von ihr erteilte Garantie für mechanische Ausfälle keine Versicherungsleistung darstellt, sondern eine Nebenleistung zur Lieferung durch den Gebrauchtwagenhändler. Sie sei mit ihrem Umsatz als Subunternehmer der Gebrauchtwagenhändler tätig geworden und nicht im Auftrag des Pkw-Käufers.

Entscheidung

Der EuGH weist zunächst darauf hin, dass das vorlegende Gericht den Sachverhalt nicht ausreichend deutlich geschildert hat. Unabhängig davon, ob der Käufer des Gebrauchtfahrzeugs einen Vertrag mit der Klägerin abschließt und der Pkw-Verkäufer lediglich als Vermittler auftritt oder ob der Pkw-Verkäufer den Vertrag im eigenen Namen, aber für den Käufer abschließt oder ob der Verkäufer die Rechte aus dem Vertrag, den er im eigenen Namen und auf eigene Rechnung mit der Klägerin abgeschlossen hat, auf den Käufer überträgt, ist nach dem Urteil der Begriff „Versicherungsumsatz“ i.S.v. Art. 13 Teil B Buchst. a der 6. EG-Richtlinie weit genug gefasst, um jeden der v.g. genannten Fälle zu erfassen. Es liegen alle Merkmale eines Versicherungsumsatzes i.S.d. bisherigen EuGH-Rechtsprechung vor. Der Versicherer, hier die Klägerin, ist ein vom Gebrauchtwagenverkäufer unabhängiger Wirtschaftsteilnehmer, Versicherter ist der Käufer des Fahrzeugs. Das Risiko besteht in den dem Käufer im Fall eines von der Garantie erfassten Defekts entstehenden Reparaturkosten, zu deren Übernahme sich der Versicherer verpflichtet. Der Versicherungsbeitrag schließlich besteht in dem Pauschalbetrag, den der Fahrzeugkäufer entweder als Teil des Kaufpreises des Fahrzeugs oder zusätzlich entrichtet.

Die Einstufung einer Leistung als „Versicherungsumsatz“ i.S.v. Art. 13 Teil B Buchst. a der 6. EG-Richtlinie – das ist neu in der Rechtsprechung zum Versicherungsumsatz – ist nicht von der Art und Weise abhängig, wie der Versicherer die Höhe des von ihm versicherten Risikos verwaltet und den genauen Beitragssatz berechnet. Der von der Klägerin in der Form eines Beitrags erhobene Betrag wird dem Käufer eines Gebrauchtfahrzeugs nicht zurückerstattet, wenn innerhalb der Garantiezeit keine Defekte auftreten oder wenn die Reparaturkosten niedriger als der Beitrag sind. Zugleich ist der Fahrzeugkäufer im Fall eines Defekts, dessen Kosten den entrichteten Beitrag übersteigen, nicht zur Zahlung des über den Beitrag hinausgehenden Teils dieser Kosten verpflichtet. Die von der Klägerin erhobenen Beiträge stellen sich nach dem Urteil also vorbehaltlich einer Überprüfung durch das vorlegende Gericht als typische Versicherungsbeiträge dar, deren Entrichtung den Versicherten vollständig gegen das versicherte Risiko absichert. Die Methode der Beitragsberechnung und der Verwaltung der Reparaturkosten ist in diesem Zusammenhang eine Frage der internen Organisation des Versicherungsgebers und kann nicht ausschlaggebend dafür sein, wie die von ihm erbrachten Leistungen einzustufen sind.

Die Leistung der Klägerin ist nach den weiteren Urteilsgründen auch nicht als Nebenleistung zu dem Pkw-Verkauf zu betrachten. Die hier streitige Garantie wird dem Käufer eines Gebrauchtfahrzeugs von einem Unternehmer gewährt, der vom Verkäufer dieses Fahrzeugs unabhängig und nicht Partei des Kaufvertrags ist. Daher kann diese Garantie nicht als von dem Händler gewährte Garantie angesehen werden. Außerdem kann der Käufer eines Gebrauchtfahrzeugs das Fahrzeug erwerben, ohne die Garantievereinbarung abzuschließen, und hat zudem die Möglichkeit, ohne die Vermittlung durch den Verkäufer des Fahrzeugs in Anspruch zu nehmen, einen Garantievertrag mit einer anderen Gesellschaft als der Klägerin abzuschließen.

Praxishinweis

Der BFH hatte bereits mit Urt. v. 16.01.2003, V R 16/02, BStBl II 2003, 445 entschieden, dass die entgeltliche Garantieleistung des Autoverkäufers keine unselbstständige Nebenleistung zur Fahrzeuglieferung, sondern eine eigenständige Leistung ist. Umsatzsteuerfrei sind nach § 4 Nr. 10 Buchst. b UStG nur die Leistungen, die darin bestehen, dass anderen Personen Versicherungsschutz verschafft wird. Die Vorschrift rechtfertigt kein Abgehen von den vom EuGH aufgestellten allgemeinen Grundsätzen zur umsatzsteuerrechtlichen Qualifizierung von Leistungsbündeln. Sie kann deshalb nach dem BFH-Urteil v. 10.02.2010, XI R 49/07, BFH/NV 2010, 1055 nicht erweiternd dahingehend ausgelegt werden, dass eine einheitliche Leistung bereits immer dann steuerfrei ist, wenn ein Element in der Verschaffung von Versicherungsschutz besteht. Damit ist die Garantiezusage als einheitliche Leistung eigener Art steuerpflichtig, die aus der Sicht des Durchschnittsverbrauchers nicht durch die Verschaffung von Versicherungsschutz, sondern durch das Versprechen einer Einstandspflicht des Händlers im Schadensfall geprägt ist. Sie ist nicht etwa deshalb nach § 4 Nr. 10 Buchst. b UStG steuerfrei, weil sich der Händler für seine Verpflichtung rückversichert hat. Denn der Umsatz zwischen einem Unternehmer und seinem Kunden beurteilt sich nach dem Rechtsgeschäft, das zwischen diesen abgeschlossen worden ist, und nicht danach, ob der Unternehmer für seine Verpflichtung aus diesem Rechtsgeschäft eine Rückversicherung abgeschlossen hat.

Im vorliegenden Fall lag eine Leistung (Versicherungsleistung) eines anderen Unternehmers als des Pkw-Verkäufers vor, die grundsätzlich als eigenständige Leistung steuerfrei ist. Nicht ganz klar wird nach dem Urteil, ob der EuGH die Einheitlichkeit der Leistung im vorliegenden Verfahren allein deshalb verneint hat, weil Pkw-Verkäufer und Versicherungsgeber zwei unterschiedliche Unternehmer sind. Den Randziffern 52 bis 57 folgend könnte der EuGH offensichtlich auch bei einer solchen Ausgangsposition einmal zu einem einheitlichen Umsatz kommen, bei dem eine Leistung Nebenleistung zur Hauptleistung ist. Dies würde auf der Linie des EuGH-Urteils v. 16.4.2015, C-42/14, Wojskowa Agencja Mieszkaniowa w Warszawie liegen. In dieser Entscheidung hat der EuGH mehrfach betont, dass es auf die Gesamtumstände des Einzelfalls ankommt.