BMF-Schreiben vom 11. Dezember 2013 zum Vorliegen einer Geschäftsveräußerung (§ 1 Abs. 1a UStG); Konsequenzen des BFH-Urteils vom 19. Dezember 2012, XI R 38/10, und des EuGH-Urteils vom 30. Mai 2013, C-651/11

Hintergrund

Erfolgt die Übertragung einzelner Unternehmensteile oder des Unternehmens im Ganzen im Rahmen einer sog. Geschäftsveräußerung im Ganzen, ist dieser Vorgang gem. § 1 Abs. 1a UStG nicht steuerbar. Voraussetzung für die Nichtsteuerbarkeit ist, dass

·         der Veräußerer Unternehmer ist,

·         es sich bei dem veräußerten Vermögen um im Inland belegenes Vermögen oder Teilvermögen handelt,

·         der Gegenstand der Geschäftsveräußerung das Unternehmen oder ein in der Gliederung eines Unternehmens gesondert geführter Betrieb ist und schließlich

·         die Veräußerung an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen erfolgt, der die Absicht der Fortführung der bisherigen Geschäftstätigkeit hat.

Die deutsche Regelung in § 1 Abs. 1a UStG basiert auf den Regelungen in Art. 19 Unterabs. 1 und Art. 29 MwStSystRL. Wegen der unterschiedlichen Begrifflichkeiten – das Unionsrecht spricht von der Übertragung des Gesamtvermögens oder eines Teilvermögens – legt die Rechtsprechung (BFH, Urt. v. 18.01.2005 – V R 53/02, BStBl. II 2007, 730) § 1 Abs. 1a UStG richtlinienkonform i.S.d. Unionsrecht in der Interpretation des EuGH aus. Nach Auffassung des EuGH betrifft die Geschäftsveräußerung im Ganzen die Übertragung von Geschäftsbetrieben und selbständigen Unternehmensteilen, die als Zusammenfassung materieller und immaterieller Bestandteile ein Unternehmen oder einen Unternehmensteil bilden, mit dem eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit fortgeführt werden kann (vgl. EuGH, Urt. v. 27.11.2003 – Rs. C-497/01 – Zita Modes; EuGH, Urt. v. 10.11.2011 – Rs. C-444/10 – Schriever, UR 2011, 937).

BFH:

Durch sein Urteil vom 19.12.2012 entschied der BFH unter Hinweis auf die zuvor dargestellte EuGH-Rechtsprechung (EuGH, Urt. v. 27.11.2003 – Rs. C-497/01 – Zita Modes), dass bei der Veräußerung des Erbbaurechts, an einem Grundstück nebst aufstehendem Rehazentrum eine Teilvermögensübertragung und damit eine nichtsteuerbare Geschäftsveräußerung im Ganzen vorliegt.

Bei Grundstücksgeschäften führe, so der BFH, die Übertragung eines vermieteten oder verpachteten Grundstücks zu einer Geschäftsveräußerung gem. § 1 Abs. 1a UStG, da durch den mit Grundstückserwerb verbundenen Eintritt in den Miet- oder Pachtvertrag ein Vermietungs- oder Verpachtungsunternehmen übernommen werde. Entsprechendes gelte, wenn lediglich das Erbbaurecht an diesem Grundstück übergeht. Die für eine Teilvermögensveräußerung erforderliche Sachgesamtheit ergebe sich bei der Übertragung eines Erbbaurechts mit verpachtetem Rehazentrum als eines von mehreren verpachteten Objekten der Klägerin aus der Zusammenfassung von Erbbaurecht und Pachtvertrag. Unbeachtlich sei, ob bei der veräußernden Klägerin eine eigenständige betriebliche Organisation für das übertragene Erbbaurecht mit verpachtetem Gebäude vor der Veräußerung vorgelegen habe.

EuGH:

Der EuGH legte in seinem Urteil vom 30.05.2013 fest, dass das reine Übertragen und Halten von Gesellschaftsanteilen keine Geschäftsveräußerung im Ganzen sei, da dies keine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne der Sechsten Richtlinie darstelle. Dieser Tatbestand sei unabhängig von der Beteiligungsquote. Dies bedeutet, dass auch eine Veräußerung von einer Beteiligung von 100 % keine Geschäftsveräußerung im Ganzen begründe. Damit eine Geschäftsveräußerung im Ganzen vorliegt, müsse der übertragene Gesellschaftsanteil Bestandteil einer eigenständigen Einheit sein. Diese habe eine wirtschaftlich selbstständige Betätigung zu ermöglichen und müsse tatsächlich vom Erwerber fortgeführt werden. Hierbei sei die Übertragung von Vermögenswerten verpflichtend. Ansonsten würde der Erwerber nicht in die Lage versetzt, eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit als Rechtsnachfolger des Veräußerers fortzuführen.

Geänderte Verwaltungsauffassung

Durch das BMF-Schreiben vom 11.12.2013 werden die Erkenntnisse aus den oben genannten Urteilen in den UStAE eingearbeitet.

Aus dem BFH-Urteil folgt, dass ein in der Gliederung des Unternehmens gesondert geführter Betrieb somit gemäß Abschnitt 1.5. Abs. 6 UStAE vorliegt, wenn der veräußerte Teil des Unternehmens vom Erwerber als selbständiges wirtschaftliches Unternehmen fortgeführt werden kann. Nicht entscheidend ist, dass bereits im Unternehmen, welches eine Übertragung vornimmt, ein (organisatorisch) selbständiger Unternehmensteil bestand.

Die EuGH-Rechtsprechung erweitert durch ihr Urteil den Tatbestand der Geschäftsveräußerung im Ganzen. Dem Abschnitt 1.5. Abs. 9 UStAE ist nun zu entnehmen, dass eine nichtsteuerbare Geschäftsveräußerung von Personengesellschaftsanteilen unter gewissen Voraussetzungen vorliegen kann. Unabhängig von der Höhe der Gesellschaftsanteile kann eine Übertragung dieser nur einer Geschäftsveräußerung im Ganzen gleichgestellt werden, wenn der Gesellschaftsanteil Teil einer eigenständigen Einheit ist, die eine selbständige wirtschaftliche Betätigung ermöglicht und diese Tätigkeit vom Erwerber fortgeführt wird. Hierbei ist die Übertragung von Vermögenswerten unabdingbar, da der Erwerber ansonsten nicht in die Lage versetzt wird, eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit als Rechtsnachfolger des Veräußerers fortzuführen.

Hierdurch wird nochmals verdeutlicht, dass es bei der Geschäftsveräußerung im Ganzen darauf ankommt, dass der Erwerber mit dem übertragenen Vermögenswerten eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit übernehmen kann und dies auch beabsichtigt.

Praxishinweis

Zu beachten ist, dass die Beurteilung eines Vorganges als nichtsteuerbare Geschäftsveräußerung gem. § 1 Abs. 1a UStG unmittelbare Auswirkung auf eine eventuelle Vorsteuerberichtigung gem. § 15a UStG zeitigt. Im Falle einer Geschäftsveräußerung im Ganzen ordnet § 1 Abs. 1a Satz 3 UStG den Eintritt des Erwerbers in die Rechtsposition des Veräußerers an. Folglich läuft gem. § 15a Abs. 10 UStG der vom Veräußerer ausgelöste Berichtigungszeitraum für den Erwerber weiter, der konsequenterweise auch den vom Veräußerer vorgenommenen Vorsteuerabzug bei geänderter Verwendung des erworbenen Gegenstandes korrigieren muss. Liegt dagegen keine Geschäftsveräußerung vor, kann die Veräußerung – wie im vorliegenden Fall – für der Veräußerer zu einer Verwendungsänderung infolge der Veräußerung gem. § 15a Abs. 8 UStG führen. Ihn träfe in diesem Fall die Vorsteuerberichtigungspflicht. Gerade Zweifel in der rechtlichen Beurteilung einer Veräußerung als nichtsteuerbare Geschäftsveräußerung gem. § 1 Abs. 1a UStG oder steuerbaren Umsatz führen vor allem in der Position des Erwerbers zu unkalkulierbaren Folgerisiken.