Anmerkung zu EuGH, Urt. v. 16.01.2014, C-300/12, Ibero Tours GmbH

Praxisproblem

Wenn ein Reisebüro, das als Vermittler für einen Reiseveranstalter tätig ist, einem Reisekunden einen selbst finanzierten Preisnachlass gewährt, ist fraglich, ob das Reisebüro zu einer Minderung seiner Umsatzsteuerschuld berechtigt ist. Der BFH hatte dies in der Vergangenheit bejaht, hatte aber in seinem Vorabentscheidungsersuchen vom 26.04.2012, V R 18/11 an den EuGH Zweifel, ob seine bisherige Auslegung mit dem Unionsrecht vereinbar ist. In dem Streitfall war beachtlich, dass das Reisebüro eine steuerpflichtige Vermittlungsleistung gegenüber dem Reiseveranstalter erbracht hatte. Gewährt das Reisebüro aus der von ihm verdienten Vermittlungsprovision einen Preisnachlass an den Reisekunden, stellt sich die Frage, ob die Zahlung an den Reisekunden das Entgelt für die an den Reiseveranstalter erbrachte Vermittlungsleistung mindert. Für eine derartige Minderung spricht, dass sich die Aufwendungen des Reisekunden für die Reise durch den Preisnachlass mindern. Gegen eine Minderung des Entgelts spricht, dass die Vermittlungsleistung des Reisebüros an den Reiseveranstalter und die Reiseleistung des Reiseveranstalters an den Reisekunden nicht gleichartig sind. Der BFH bezweifelte – entgegen seiner bisherigen Rechtsprechung – die Anwendbarkeit der EuGH-Rechtsprechung zur Rabattgewährung in einer Vertriebskette (vgl. EuGH, Urt. v. 24.10.1996, C-317/94, Elida Gibbs) auf Preisnachlässe bei Vermittlungsleistungen – zumindest bei der Vermittlung von Reiseleistungen.

Sachverhalt

Die Klägerin ist ein Reisebüro, das teils steuerfreie und teils steuerpflichtige Vermittlungsleistungen erbringt. Soweit die Klägerin Leistungen steuerpflichtig vermittelte, handelte es sich bei den vermittelten Leistungen um Reiseleistungen, die Reiseveranstalter an Reisekunden erbrachten und die der Sonderregelung nach Art. 26 der 6. EG-Richtlinie (jetzt Art. 306 bis 310 MwStSystRL) unterliegen. Für ihre steuerpflichtigen Vermittlungsleistungen erhielt die Klägerin von den Reiseveranstaltern die vereinbarten Provisionen. Gegenüber den Reisekunden gewährte die Klägerin Preisnachlässe, die im Ergebnis ihre Provisionen entsprechend schmälerten. Nachdem sie zunächst die Provisionen in vollem Umfang versteuert hatte, beantragte sie eine Änderung der Steuerfestsetzungen für die Streitjahre 2002 bis 2005, da die Gewährung der Preisnachlässe an die Reisekunden gem. § 17 UStG zu einer Minderung der an die Reiseveranstalter erbrachten Vermittlungsleistungen geführt habe.

Dem schloss sich das Finanzamt nur insoweit an, als die von den Reiseveranstaltern erbrachten Leistungen nach der Margenregelung des Art. 26 der 6. EG-Richtlinie steuerpflichtig waren (Reisevorleistungen im Gemeinschaftsgebiet). Soweit die durch die Reiseveranstalter erbrachten Reiseleistungen nach Art. 26 Abs. 3 der 6. EG-Richtlinie steuerfrei waren (Reisevorleistungen im Drittlandsgebiet), lehnte das FA eine Änderung zugunsten der Klägerin ab.

Entscheidung

Der EuGH hat entschieden, dass für Sachverhalte wie im Vorlagefall das EuGH-Urteil vom 24.10.1996, C-317/94, Elida Gibbs nicht einschlägig ist. Er begründet dies damit, dass sein Urteil vom 24.10.1996 nur für Preisnachlässe gilt, die in einer Kette von Umsätzen vorkommen, dass also der Erste in der Kette einen Preisnachlass gewährt, der dem Endverbraucher (als dem Letzten in der Kette) zugute kommt.

Im Ausgangsfall handele es sich jedoch nicht um einen solchen Sachverhalt. Der Reiseveranstalter sei nicht das erste Glied einer Kette von Umsätzen, da er seine Leistung unmittelbar an den Endverbraucher erbringe. Der Kläger sei nur als Vermittler dieses Umsatzes tätig. Der Kläger erbringe eine Leistung, die von der Leistung des Reiseveranstalters zu trennen sei. Der Reiseveranstalter gewähre dem Kunden auch keinen Rabatt, da der Kläger den Reisepreis, der dem Reisenden berechnet wird, in voller Höhe an den Reiseveranstalter abzuführen habe. Der Rabatt, den der Vermittler dem Reisenden zahlt, wirkt sich nach dem Urteil somit weder auf die Bemessungsgrundlage der Reiseleistung noch auf die Bemessungsgrundlage der Provision des Vermittlers der Reiseleistung aus.

Praxishinweis

Die Verwaltung geht bisher in Anwendung der BFH-Rechtsprechung davon aus, dass die Grundsätze des EuGH-Urteils vom 15.10.2002, C-427/98, Kommission / Deutschland, BStBl. II 2004, 328 auch auf Vermittlungsleistungen anwendbar sind. Nach dem vorliegenden EuGH-Urteil ist allerdings nunmehr beachtlich, dass Vermittlungsleistungen nicht Teil einer „Vertriebskette“ gleichartiger Waren sind. Die Vermittlungsleistung ist nach dem EuGH-Urteil im Hinblick auf eine Minderung der Bemessungsgrundlage gesondert von der vermittelten Leistung zu beurteilen. Dies gilt besonders in Fällen wie denen des Ausgangsverfahrens, wo im Fall der Vermittlungsleistung im Gegensatz zur vermittelten Leistung die Margenbesteuerung nach § 25 UStG nicht zur Anwendung kommt. Dies hat zur Folge, dass die Vermittlungsleistung wegen der Bezugnahme auf den Ort der Ansässigkeit des Reiseveranstalters ggf. vollständig steuerpflichtig ist, während es bei der vermittelten Reiseleistung nur zum Teil zur Versteuerung kommen kann, weil ggf. Leistungselemente enthalten sind, für die der Ort der Leistung außerhalb des Gemeinschaftsgebiets gelegen ist. Bereits hieraus hätte der EuGH den Schluss ziehen können, dass Vermittlungsleistung und vermittelte Leistung nicht als gleichartig und damit nicht als in einer Vertriebskette erbracht angesehen werden können und im Ergebnis auch die Grundsätze des EuGH-Urteils vom 15.10.2002, C-427/98, Kommission / Deutschland, BStBl. II 2004, 328 nicht anzuwenden sind.

Die Berichtigung der Bemessungsgrundlage im Falle der Vermittlung einer Reise bei Gewährung eines Rabattes durch den Vermittler an den Endkunden zu Lasten der Vermittlungsprovision richtet sich im nationalen Recht nach § 17 Abs. 1 Satz 1 UStG. Entsprechende Regelungen zur Berichtigung der Bemessungsgrundlage bei Vermittlungsumsätzen durch Verkaufsagenten enthält Abschn. 17.2 Abs. 10 UStAE, in dem die Verwaltung das BFH-Urteil vom 12.01.2006, V R 3/04, BStBl. II 2006, 479 anwendet. Danach ist die Bemessungsgrundlage zu mindern, wenn der Verkaufsagent eine im Inland steuerpflichtige Vermittlungsleistung erbracht hat, der Verkaufsagent einem Endabnehmer einen Teil des von diesem gezahlten Leistungsentgelts erstattet oder einen Preisnachlass für die von ihm vermittelte Leistung gewährt, die vermittelte Leistung an den Endabnehmer im Inland steuerpflichtig ist und der Verkaufsagent das Vorliegen der vorstehenden Voraussetzungen nachgewiesen hat. An dieser Praxis kann nach dem vorliegenden Urteil (wohl) nicht mehr festgehalten werden.

Dem Urteil kommt aber auch grundsätzliche Bedeutung zu, da es nicht nur die Reisebranche in Deutschland betrifft, sondern ebenso auf andere Bereiche anzuwenden ist, in denen Waren wie z.B. Pkws oder Dienstleistungen über Vermittler verkauft werden.

Das Urteil wirft auch die Frage auf, ob das vom EuGH gefundene Ergebnis dem Neutralitätsgrundsatz entspricht. Danach darf dem Fiskus aus allen Umsatzgeschäften nur der Umsatzsteuerbetrag zufließen, der dem Betrag entspricht, den der Endabnehmer letztlich wirtschaftlich aufgewendet hat (vgl. EuGH, Urt. v. 15.10.2002, C-427/98, Kommission / Deutschland, BStBl. II 2004, 328). Daher führen Preisnachlässe an Endabnehmer von einem Unternehmer auf einer der Vorstufen dann nicht zu einer Entgeltminderung bei diesem, wenn der Umsatz an den Endabnehmer steuerfrei ist, wobei es unerheblich ist, ob es sich um eine Umsatzsteuerbefreiung mit oder ohne Vorsteuerabzug handelt. Verkaufsagenten können deshalb für die von ihnen gewährten Preisnachlässe nach bisher geltendem nationalem Recht keine Entgeltminderung beanspruchen, soweit der vermittelte Umsatz steuerfrei ist.

Im vorliegenden Fall war der Umsatz an den Endverbraucher aber nicht steuerfrei. Wirtschaftlich wendet der Reisende für die Reiseleistung weniger auf als den ihm in Rechnung gestellten Preis. Insofern wäre anzunehmen gewesen, dass sich die vom Fiskus vereinnahmte Steuer (hier die Steuer auf die Reiseleistung; die Steuer auf die Vermittlungsleistung ist beim Reiseveranstalter als Vorsteuer abzugsfähig, so dass insofern keine Steuer hängen bleibt) entsprechend der Minderung der Bemessungsgrundlage der Vermittlungsleistung verringert. Der EuGH hebt jedoch darauf ab, dass er (lediglich) entschieden hat, dass die Summe der Zahllasten der Unternehmer in einer Umsatzkette der Steuer entsprechen muss, die in dem vom Endverbraucher aufgebrachten Betrag enthalten ist. Bedenklich hinsichtlich des Neutralitätsgrundsatzes ist es aber auch, dass der Vermittler die Steuer, die in dem an den Reisenden gezahlten Teil der Vermittlungsprovision enthalten ist, als Vorsteuer hätte abziehen können, wenn er den dem Reisenden gezahlten Betrag anders investiert hätte, z.B. für eine an ihn erbrachte Werbedienstleistung eines anderen Unternehmers. Im Ergebnis wird der gleiche wirtschaftliche Aufwand des Vermittlers somit umsatzsteuerlich unterschiedlich behandelt. Die ausstehende Folgeentscheidung des BFH bleibt mit Spannung abzuwarten.