Anmerkung zu EuGH, Urt. v. 06.02.2014, C-323/12, E.ON Global Commodities SE

Praxisproblem

Bei Anträgen auf Vorsteuer-Vergütung in anderen EU-Mitgliedstaaten kommt es für die Antragsberechtigung u.a. darauf an, dass der antragstellende Unternehmer im Erstattungsstaat nicht ansässig ist und dort entweder keine oder nur die in der Richtlinie 2008/9/EG (vormals 8. EG-Richtlinie 79/1072/EWG) aufgeführten steuerfreien Umsätze erzielt hat. In dem Ausgangsverfahren war streitig, ob die Bestellung eines Fiskalvertreters im Erstattungsstaat dazu führen kann, dass der antragstellende Unternehmer als dort ansässig anzusehen ist.

Sachverhalt

Die Klägerin, eine juristische Person mit Sitz in Deutschland, hatte erklärt, dass sie vom 15.10.2005 an in Rumänien im Energiehandel tätig sein werde, und beantragte, die S Consulting SRL, eine rumänische juristische Person, gem. dem bis zum 31.12.2006 geltenden Art. 151 Abs. 3 Cod fiscal (Steuergesetzbuch), der die Pflicht zur Bestellung eines Steuervertreters in Rumänien vorsah, als Fiskalvertreter in Rumänien zu registrieren. Im Zeitraum vom 15.10.2005 bis zum 31.12.2006 führte S als Fiskalvertreter der Klägerin in deren Namen Tätigkeiten aus, die insbesondere in Lieferungen von Elektrizität bestanden, und stellte nach Art. 128 Abs. 1 und Art. 140 Abs. 1 des Cod fiscal Rechnungen mit Steuerausweis aus.

Im Zeitraum von Januar bis Dezember 2007 machte die Klägerin über ihren Fiskalvertreter S auf der Grundlage von Eingangsleistungen im Zusammenhang mit ihren Ausgangsumsätzen Vorsteueransprüche geltend. Die rumänische Finanzverwaltung verweigerte den Vorsteuerabzug mit der Begründung, dass die Klägerin vom 01.01.2007 an infolge von Änderungen im Cod fiscal (Art. 150 Abs. 1 Buchst. d) für ihre Lieferungen von Energie in Rumänien keine MwSt mehr schulde, da die Leistungsempfänger Steuerschuldner seien (Reverse Charge), so dass ihr Fiskalvertreter, der in Rumänien keine mehrwertsteuerpflichtige Tätigkeit ausgeübt habe, nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sei. Außerdem sei die Bestellung eines Fiskalvertreters in Rumänien und die Abwicklung von Umsätzen über diesen nach dem 01.01.2007 (Beitritt Rumäniens zur EU) nicht mehr möglich.

Daraufhin reichte die Klägerin am 30.06.2008 nach Art. 147 Abs. 1 Buchst. a des Cod fiscal für den Zeitraum von Januar bis Dezember 2007 einen Antrag auf Vorsteuer-Vergütung nach der 8. EG-Richtlinie mit der Begründung ein, sie sei ein in Rumänien nicht zu MwSt-Zwecken registrierter, in einem anderen EU-Mitgliedstaat ansässiger Steuerpflichtiger. Der Vergütungsantrag wurde mit der Begründung abgewiesen, dass die Klägerin im Zeitraum von Januar bis Dezember 2007 Art. 147 Abs. 1 Buchst. a des Cod fiscal nicht beachtet habe. Die rumänische Finanzverwaltung ging dabei davon aus, dass die MwSt nur einem in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Steuerpflichtigen vergütet werden könne, der in Rumänien nicht zu MwSt-Zwecken registriert und hierzu auch nicht verpflichtet sei, während die Klägerin in Rumänien weiterhin einen Fiskalvertreter gehabt habe.

Der EuGH musste entscheiden, ob die Klägerin trotz ihrer Bestellung eines Fiskalvertreters und ihrer (über den Fiskalvertreter erfolgten) Registrierung für MwSt-Zwecke in Rumänien als nicht im Inland ansässiger Steuerpflichtiger i.S.v. Art. 1 der 8. EG-Richtlinie anzusehen war.

Entscheidung

Der EuGH hat entschieden, dass ein Unternehmer wie im Ausgangsverfahren, der in einem Mitgliedstaat Elektrizität an in einem anderen Mitgliedstaat ansässige steuerpflichtige Wiederverkäufer geliefert hat, im ersten Mitgliedstaat nach der 8. EG-Richtlinie ein Recht auf Vorsteuer-Vergütung hat. Dieses Recht wird nicht allein dadurch ausgeschlossen, dass in dem Mitgliedstaat, in dem der Vorsteuer-Vergütungsanspruch entsteht (Erstattungsstaat), der Antragsteller einen Fiskalvertreter bestellt hat.

Der EuGH wiederholt, dass Art. 1 der 8. EG-Richtlinie im Wesentlichen zwei kumulative Voraussetzungen für das Recht auf Vorsteuer-Vergütung enthält: Der Unternehmer darf im Erstattungsstaat über keine Niederlassung verfügen und er darf im Erstattungsstaat entweder keine oder nur bestimmte in der 8. EG-Richtlinie aufgeführte Leistungen erbracht haben.

Nach dem Urteil darf ein in einem anderen Mitgliedstaat ansässiger Unternehmer, der im Erstattungsstaat über einen Fiskalvertreter verfügt, nicht einer Niederlassung im Erstattungsstaat gleichgestellt werden. Eine Niederlassung im Sinne der 8. EG-Richtlinie muss die gleichen Voraussetzungen wie nach der MwStSystRL erfüllen, nämlich eine Struktur besitzen, die von der personellen und technischen Ausstattung her eine autonome Erbringung von Dienstleistungen ermöglicht.

Die Voraussetzung, dass im Erstattungsstaat keine Umsätze erbracht werden, bedeutet nach dem Urteil, dass der Ort von Umsätzen nicht im Erstattungsstaat liegt, nicht jedoch, dass der Unternehmer im Erstattungsstaat nicht in der Lage ist, Umsätze auszuführen.

Praxishinweis

Der EuGH ist folgerichtig entsprechend seiner bisherigen Rechtsprechung (vgl. insbesondere EuGH, Urt. v. 06.10.2011, C-421/10, Markus Stoppelkamp) zu dem Ergebnis gekommen, dass die Klägerin ein im Ausland ansässiger Unternehmer war, der insoweit die Voraussetzungen für die Teilnahme am Vorsteuervergütungsverfahren erfüllte. Dies entspricht jedenfalls der Sicht des deutschen Rechts (vgl. § 59 Satz 2 UStDV). Auf eine Registrierung für steuerliche Zwecke oder die Bestellung eines Fiskalvertreters kommt es im deutschen Recht nicht an.