EuGH in Kürze – Einfuhrumsatzsteuer, Zollrecht, Bildungsleistungen

EuGH, Urt. v. 11.7.2013, Rs. C-272/12 – Harry Wilston SARL

Auf Vorlage eines französischen Gerichts musste der EuGH die Frage beantworten, ob eine im Zolllagerverfahren befindliche Ware (Schmuckstücke) Zoll und Einfuhrumsatzsteuer auslösen kann, wenn diese Ware durch einen bewaffneten Raub aus dem Zolllager entwendet wurde. Art. 206 Abs. 1 Zollkodex lässt eine Einfuhrzollschuld dann nicht entstehen, wenn die betreffende Ware u.a. infolge höherer Gewalt unwiederbringlich verlorengegangen ist. Unwiederbringlicher Verlust liegt dann vor (Art. 206 Unterabs. 2 Zollkodex), wenn die Ware von niemandem mehr zu verwenden ist. Das vorlegende Gericht wollte vom EuGH die Frage beantwortet haben, ob die Entfernung der Ware aus dem Zolllager infolge eines Raubs zu einem unwiederbringlichen Verlust infolge höherer Gewalt geführt habe. Der EuGH brauchte diese Frage aber nicht zu beantworten, da die Anwendbarkeit von Art. 296 Zollkodex unter dem Vorbehalt steht, dass nur die Fälle betroffen sein können, die unter den Anwendungsbereich von Art. 202 und 204 Abs. 1 Buchst. a Zollkodex fallen. Der EuGH ist jedoch der Auffassung, dass der Raub von Ware aus einem Zolllager die Zollschuld gem. Art. 203 Abs. 1 Zollkodex – Entzug der Ware aus zollamtlicher Überwachung – entstehen lässt. Folglich führt ein in einem Zolllager begangener Raub oder Diebstahl stets zu einer Entfernung von Ware aus dem Zolllager und begründet damit die Entstehung der Zollschuld gem. Art. 203 Abs. 1 Zollkodex. Damit scheidet dann aber zwingend die Möglichkeit der Nichterhebung gem. Art. 206 Zollkodex aus.

Wegen der Verzahnung von Zollrecht und Mehrwertsteuerrecht über die einschlägigen Bestimmungen des Unionsrechts – vgl. für die Entstehung Art. 70 und 71 MwStSystRL – führt die Entstehung der Zollschuld infolge eines Raubs der Ware aus einem Zolllagerverfahren zur Entstehung der Einfuhrmehrwertsteuer gem. Art. 71 Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL zum gleichen Zeitpunkt.

EuGH, Urt. v. 27.6.2013,  Rs. C-542/11 – Codirex Expeditie BV

Auf Vorlage des Hoge Raad der Nederlanden musste der EuGH zu der Frage Stellung nehmen, zu welchem Zeitpunkt Nichtgemeinschaftswaren eine zollrechtliche Bestimmung i.S.v. Art. 50 des Zollkodex erhalten, sofern diese Waren mit der Rechtsstellung „in vorübergehender Verwahrung“ zur Überführung in das externe gemeinschaftliche Versandverfahren angemeldet worden sind. Gem. Art. 50 Zollkodex haben gestellte Waren bis zum Erhalt einer zollrechtlichen Bestimmung die Rechtsstellung von Waren in vorübergehender Verwahrung. Diese Waren werden als „vorübergehend verwahrte Waren“ bezeichnet. Nach Auffassung des EuGH erhalten solche Nichtgemeinschaftswaren, die mit der Rechtsstellung von Waren in vorübergehender Verwahrung zur Überführung in das externe gemeinschaftliche Zollverfahren angemeldet worden sind und deren Anmeldung von den Zollbehörden angenommen worden ist, zu dem Zeitpunkt eine zollrechtliche Bestimmung und werden damit in dieses Zollverfahren übergeführt, zu dem sie überlassen werden.

Schlußantrag v. 20.6.2013, Rs. C-319/12 – MDDP

Auf Vorlage eines polnischen Gerichtes ist im Streit, ob die Steuerbefreiung für Bildungsleistungen in Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL auch solche Bildungsleistungen mit umfasst, die von nichtöffentlichen Einrichtungen zu gewerblichen Zwecken erbracht werden. Der Streit betrifft vor allem die Frage, ob die in Deutschland tätigen sog. Tagesseminar-Anbieter zwingend steuerbefreit ihre Bildungsleistungen erbringen müssen - mit der Konsequenz des Verlustes des Vorsteuerabzugs. Für den Fall, dass die gewerblichen Anbieter mit ihrem Bildungsangebot aus der Befreiung ausscheiden, hätte dies weiterhin zur Konsequenz, dass nur noch öffentliche Einrichtungen in den Genuss der Steuerbefreiung kämen.

Die Generalanwältin ist jedoch in ihrem Votum zu der Rechtsauffassung gelangt, dass die unionsrechtlichen Vorschriften der Einbeziehung der von privaten Einrichtungen zu gewerblichen Zwecken erbrachten Bildungsleistungen der Steuerbefreiung nicht entgegen stehen. Wohl steht das Unionsrecht aber einer solchen Umsetzung der Steuerbefreiung entgegen, die keinerlei Anforderungen an die in Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL verlangte Anerkennung einer vergleichbaren Zielsetzung privater Einrichtungen stellt.