Keine Steuerfreiheit sog. Führungsleistungen einer Versicherung bei offener Mitversicherung

BFH, Urt. v. 24.4.2013, XI R 7/11

Praxisproblem

§ 4 Nr. 10 Buchst. a UStG befreit Leistungen aufgrund eines Versicherungsverhältnisses i.S.d. VersStG, § 4 Nr. 11 UStG befreit die Umsätze aus der Tätigkeit u.a. als Ver­sicherungs­ver­treter. Im Versicherungsgeschäft wird zwischen der sog. verdeckten und offenen „Mit­ver­sicherung“ unterschieden. Unter einer Mitversicherung wird die Versicherung ein und desselben Interesses gegen dieselbe Gefahr durch mehrere Versicherer verstanden.  Offen ist die Mitversicherung dann, wenn gegenüber dem Versicherungsnehmer eine Mehrzahl von Versicherern auftritt, um sich an der Deckung desselben Risikos zu beteiligen. Es wird dabei kein einheitlicher Versicherungsvertrag, sondern eine Mehrzahl rechtlich selb­stän­di­ger Verträge zwischen dem Versicherungsnehmer und dem jeweiligen Mit­ver­sicherer abgeschlossen. Der Zusammenschluss der Mitversicherer begründet im Innenverhältnis eine Innengesellschaft bürgerlichen Rechts. Davon zu trennen ist die getroffene Füh­rungs­ver­ein­ba­rung zwischen einem Versicherer als Führendem und den übrigen Mitversicherern. Umstritten ist die umsatzsteuerliche Beurteilung der an den führenden Versicherer von den Mitversicherern gezahlten „Führungsprovision“, der ein entgeltlicher Ge­schäfts­be­sor­gungs­ver­trag (§ 675 BGB) oder ein Auftragsverhältnis (§ 662 BGB) zugrunde liegt.

Sachverhalt

Die Klägerin, X-Versicherungsgesellschaft, behandelte ihre im Rahmen offener Mit­ver­sicherungen erhaltenen Führungsprovisionen als steuerfreie Leistungsentgelte gem. § 4 Nr. 10 Buchst. a UStG. Die Versicherungsprämien wurden von den jeweiligen Ver­sicherungs­neh­mern entweder anteilig an die einzelnen Versicherer gezahlt oder aber – regelmäßig im Interesse der Einfachheit – als Ganzes an die Klägerin als führende Gesellschaft. Von der Gesamtprämie erhielt die Klägerin für ihre Führungsaufgaben einen bevorzugten Anteil in Höhe von 1 bis 3% der Gesamtprämie. Demgegenüber unterwarf die Finanzbehörde die Entgelte für die Führungsleistungen der Klägerin dem Regelsteuersatz.

Entscheidung

Der BFH hat aufgrund der Tatsachenfeststellungen des Finanzgerichts die Tätigkeit der Klägerin als Führungstätigkeit im Rahmen einer offenen Mitversicherung bewertet. Die Führungsprovision behandelte der BFH als steuerpflichtiges Leistungsentgelt.

Eine Steuerbefreiung aus dem Rechtsinstitut der Leistungskommission gem. § 3 Abs. 11 UStG lehnte der BFH ab, da die Klägerin hinsichtlich ihrer Führungsaufgaben (Mitverwaltung der mitversicherten Risikos) nicht im eigenen, sondern stets im Namen Dritter, nämlich im Namen des jeweiligen Mitversicherers, aufgetreten sei.

Die Steuerbefreiung gem. § 4 Nr. 10 Buchst. a UStG lehnte der BFH ab, da sich die streitige Führungsleistung gerade nicht auf die von der Klägerin gegenüber dem Ver­sicherungs­neh­mer erbrachte Hauptleistung, dem Gewähren von (anteiligem) Versicherungsschutz durch sie selbst, beziehe. Gegenstand der Führungsleistung sei ausschließlich die Entbindung entsprechender Verwaltungsaufgaben der Mitversicherer in Bezug auf das von den Mit­ver­sicherern übernommene Risiko.

Die Steuerbefreiung gem. § 4 Nr. 10 Buchst. b UStG lehnte der BFH mit dem Hinweis ab, dass die Klägerin mit der in Rede stehenden Führungstätigkeit keinen anderen Personen Versicherungsschutz verschafft habe. Sie habe keinen Versicherungsvertrag zugunsten eines Dritten abgeschlossen. Schließlich verneinte der BFH auch die Steuerbefreiung gem. § 4 Nr. 11 UStG, da die Klägerin in Erledigung ihrer Führungsaufgaben nicht als Versicherer oder Versicherungsmakler aufgetreten sei.

Praxishinweis

Zu beachten ist, dass die unionsrechtlichen Vorgaben in Art. 135 Abs. 1 Buchst. a MwStSystRL deutlich von den deutschen Formulierungen in § 4 Nr. 10 und 11 UStG ab­weichen.