EuGH zur Umsatzsteuerfreiheit von Beförderungen im Zusammenhang mit Heilbehandlungen

Anmerkung zu: EuGH, Urt. v. 02.07.2015, C-334/14, Nathalie De Fruytier, Beförderung menschlicher Organe und von Laborproben als eine mit medizinischen Leistungen eng verbundene Leistung

Praxisproblem

Bei Transporten menschlicher Organe und von Laborproben durch darauf spezialisierte Unternehmen im Zusammenhang mit Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin stellt sich regelmäßig die Frage, ob diese Beförderungen als mit den umsatzsteuerfreien Heilbehandlungen eng verbundene Umsätze angesehen werden und selbst auch umsatzsteuerfrei sein können.

Sachverhalt

Das belgische Vorabentscheidungsersuchen betraf erneut die Frage, ob der von einem selbstständigen Unternehmer im Auftrag von Krankenhäusern und Laboratorien durchgeführte Transport von menschlichen Organen und medizinischen Proben als eine mit medizinischen Leistungen eng verbundenen Leistung gem. Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b bzw. c der 6. EG-Richtlinie (seit 01.01.2007: Art. 132 Abs. 1 Buchst. b bzw. c MwStSystRL) von der Mehrwertsteuer zu befreien ist. Die Klägerin führte als Selbstständige Beförderungen von menschlichen Organen und dem menschlichen Körper entnommenen Substanzen für verschiedene Krankenhäuser und Laboratorien unter der Aufsicht und Verantwortung eines Arztes durch.

Der EuGH hatte für den Vorlagefall bereits mit Urteil vom 03.06.2010, C-237/09, Nathalie De Fruytier, entschieden, dass die Beförderung von menschlichen Organen und dem menschlichen Körper entnommenen Substanzen nicht unter die Steuerbefreiung für die Lieferung von menschlichen Organen, menschlichem Blut und Frauenmilch nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. d der 6. EG-Richtlinie (ab 1.1.2007: Art. 132 Abs. 1 Buchst. d MwStSystRL; umgesetzt durch § 4 Nr. 17 Buchst. a UStG) fällt. Das Gericht wollte im Wesentlichen wissen, ob die Transporttätigkeit als mit Leistungen medizinischer Art eng verbundene Umsätze i.S.v. Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der 6. EG-Richtlinie steuerfrei sein können.

Entscheidung

Der EuGH hat mit Bezug auf seine ständige Rechtsprechung zum Begriff der ärztlichen Heilbehandlung entschieden, dass die streitige Transporttätigkeit offensichtlich keine Heilbehandlung i.S.v. Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der 6. EG-Richtlinie darstellt. Es handle sich nicht um ärztliche Leistungen, die unmittelbar tatsächlich dem Zweck dienen, Krankheiten oder Gesundheitsstörungen zu diagnostizieren, zu behandeln oder zu heilen, oder tatsächlich dem Zweck dienen, die Gesundheit zu schützen, aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen.

Die Frage, ob die Transporttätigkeit eine nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der 6. EG-Richtlinie mit einer Krankenhausbehandlung oder einer ärztlichen Heilbehandlung eng verbundener Umsatz sein kann, hat der EuGH im Prinzip ebenfalls verneint. Er wiederholt – wiederum unter Bezugnahme auf frühere Urteile –, dass nur medizinische Dienstleistungen, die naturgemäß im Rahmen von Krankenhausbehandlungen und ärztlichen Heilbehandlungen erbracht werden und im Prozess der Erbringung dieser Dienstleistungen zur Erreichung der damit verfolgten therapeutischen Ziele unentbehrlich sind, „eng verbundene Umsätze“ im Sinne der Vorschrift darstellen können. Nur solche Leistungen wirkten sich auf die Kosten der medizinischen Behandlungen aus, die dem Einzelnen durch die Steuerbefreiung zugänglich gemacht werden.

Die Transporttätigkeit kann nach der Entscheidung nur dann ein steuerfreier eng verbundener Umsatz sein, wenn die Tätigkeit im Prozess der Heilbehandlungen unentbehrlich ist und wenn die Klägerin als Einzelunternehmer (und nicht als öffentliche Einrichtung oder Krankenanstalt usw.) die subjektive Voraussetzung nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der 6. EG-Richtlinie erfüllt und eine „andere ordnungsgemäß anerkannte Einrichtungen gleicher Art“ ist.

Der EuGH hatte in diesem Zusammenhang bereits entschieden, dass ein privatrechtliches Labor, das medizinische Analysen zu Diagnosezwecken vornimmt, als eine Einrichtung „gleicher Art“ wie „Krankenanstalten“ und „Zentren für ärztliche Heilbehandlung und Diagnostik“ im Sinne dieser Vorschrift einzustufen ist, wenn die Analysen im Hinblick auf ihren therapeutischen Zweck unter den Begriff „ärztliche Heilbehandlung“ in der Bestimmung fallen (vgl. EuGH, Urt. v. 08.06.2006, C-106/05, L. u. P.  und EuGH, Urt. v. 10.06.2010, C-262/08, CopyGene). Im vorliegenden Fall geht der EuGH noch einen Schritt weiter und stuft – quasi als Tatsacheninstanz – die Klägerin im Gegensatz zu einem privatrechtlichen Labor, das medizinische Analysen zu Diagnosezwecken vornimmt, die einen therapeutischen Zweck haben, so ein, dass sie keine abgegrenzte Einheit darstelle, die dieselbe Art von Funktion wie Krankenanstalten oder Zentren für ärztliche Heilbehandlung und Diagnostik erfülle. Daher könne ein Beförderer wie die Klägerin nicht als „Einrichtung gleicher Art“ i.S.v. Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Sechsten Richtlinie eingestuft werden.

Praxishinweis

Zur Steuerbefreiung für ärztliche Heilbehandlungen nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der 6. EG-Richtlinie ist festzustellen, dass der EuGH mit Urteil v. 13.03.2014, C-366/12, Klinikum Dortmund GmbH bereits festgestellt hatte, dass eng verbundene Umsätze von dieser Befreiung grundsätzlich nicht erfasst werden. Nach dieser Vorschrift kann somit eine Steuerbefreiung für die von einem selbstständigen Unternehmer durchgeführten Transporte von vornherein nicht in Betracht kommen.

Zur Steuerbefreiung für Krankenhausbehandlungen und ärztliche Heilbehandlungen sowie mit ihnen eng verbundene Umsätze nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der 6. EG-Richtlinie ist festzustellen, dass der EuGH bereits mit Urteil v. 11.01.2001, C-76/99, Kommission / Frankreich die Übersendung von Proben durch ein Entnahmelabor an ein Speziallabor als eng verbundene Leistung angesehen hatte.

Weitere Voraussetzung für die Steuerbefreiung ist jedoch, dass die Leistungen von Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder unter in sozialer Hinsicht vergleichbaren Bedingungen von anderen ordnungsgemäß anerkannten Einrichtungen gleicher Art bewirkt werden müssen. Der EuGH hat deutlich gemacht, selbstständige Beförderungsunternehmer dürften regelmäßig, auch wenn sich die Beförderung auf menschliche Organe und dem menschlichen Körper entnommene Substanzen bezieht und sie für Krankenhäuser und Laboratorien tätig sind, in sozialer Hinsicht nicht unter vergleichbaren Bedingungen wie öffentliche Einrichtungen tätig sein. Auch dürfte es sich bei Beförderungsunternehmern nicht um ordnungsgemäß anerkannte Einrichtungen gleicher Art handeln. Somit kommt auch nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der 6. EG-Richtlinie eine Steuerbefreiung für die streitgegenständlichen Beförderungsleistungen nicht in Betracht. Dementsprechend kann auch im nationalen Recht § 4 Nr. 14 UStG nicht zur Anwendung kommen.