Einfuhr, Begriff der Einfuhr, Eingang in Wirtschaftskreislauf der EU, Weiterbeförderung in anderen Mitgliedstaat als dem der Entstehung der Zollschuld, Zollrechtliches Fehlverhalten

Anmerkung zu: EuGH, Urt. v. 10.07.2019, C-26/18, Federal Express Corporation Deutsche Niederlassung

Praxisproblem

Bei dem Vorabentscheidungsersuchen des FG Hessen ging es um die Frage, ob deutsche EUSt auf Waren entsteht, die im deutschen Teil des EU-Zollgebiets der zollamtlichen Überwachung entzogen bzw. dorthin vorschriftswidrig verbracht wurden, jedoch tatsächlich in einen anderen Mitgliedstaat geliefert wurden und dort in den Wirtschaftskreislauf eingegangen sind.

Sachverhalt

Gegenstand des Rechtsstreits war die Erhebung von EUSt wegen Unregelmäßigkeiten beim Lufttransport von Drittlandsware über den Flughafen Frankfurt/Main nach Griechenland. Die Klägerin versandte einfuhrabgabenpflichtige Gegenstände mit den Ursprungsorten Israel, Mexiko und den Vereinigten Staaten an verschiedene Empfänger in Griechenland, ihrem endgültigen Bestimmungsort. Diese Gegenstände wurden in 18 Einzelsendungen per Flugzeug bis nach Frankfurt am Main (Deutschland) verbracht, wo sie zur Weiterbeförderung nach Griechenland in ein anderes Flugzeug geladen wurden. Im Oktober 2008 teilte das Zollamt des Flughafens Athen (Griechenland) dem Hauptzollamt Frankfurt/Main mit, dass die 18 Sendungen unter Verstoß gegen das Zollrecht nach Griechenland befördert worden seien. Unter Berücksichtigung dieser Informationen stellte das Hauptzollamt fest, dass bei 14 der 18 Sendungen die in Art. 40 ZK (im Streitjahr galten die Vorschriften des Zollkodex) vorgesehene Gestellung in Deutschland nicht erfolgt sei und zog hieraus den Schluss, dass diese Sendungen vorschriftswidrig in das Zollgebiet der EU verbracht worden seien. Es vertrat die Auffassung, dass gemäß Art. 202 ZK durch die vorschriftswidrige Verbringung dieser Sendungen eine Einfuhrzollschuld entstanden sei. Für drei der 18 Sendungen stellte das Hauptzollamt fest, dass sich die betreffenden Gegenstände in vorübergehender Verwahrung bei ihrer Ankunft am Flughafen Frankfurt am Main befanden, dass ihre Weiterbeförderung nach Athen ohne die Überführung in das externe gemeinschaftliche Versandverfahren erfolgt sei und dass sie deshalb unerlaubt vom Verwahrungsort entfernt worden seien. In Bezug auf die letzte Sendung wurde festgestellt, dass der Weiterbeförderung der Gegenstände nach Athen ein ordnungsgemäß abgeschlossenes externes Versandverfahren von Paris (Frankreich) nach Frankfurt am Main vorausgegangen war, auch diese Gegenstände aber unerlaubt vom Verwahrungsort entfernt worden seien. Für diese vier Sendungen stellte das Hauptzollamt fest, dass aufgrund des zollrechtlichen Fehlverhaltens eine Einfuhrzollschuld auf der Grundlage von Art. 203 ZK entstanden sei.

Streitig war, ob die durch das zollrechtswidrige Verbringen verursachte Gefahr, dass die Waren in den Wirtschaftskreislauf der EU Union gelangen, zu einer Einfuhr im mehrwertsteuerrechtlichen Sinne bereits in Deutschland führte, oder ob die Waren tatsächlich dort auch in den Wirtschaftskreislauf eingehen müssen. Ist das Eingehen in den Wirtschaftskreislauf erforderlich, schloss sich für das FG Hessen die Frage an, ob dies bereits dann vorliegt, wenn der Gegenstand zollrechtswidrig keiner Regelung i. S. d. Art. 61 Abs. 1 MwStSystRL (nicht durch Abgabe einer Gestellungsmitteilung) zugeführt oder zwar zunächst einer solchen Regelung zugeführt wird, aufgrund eines zollrechtlichen Fehlverhaltens später aber dieser Regelung nicht mehr unterliegt, oder ob im Falle eines zollrechtlichen Fehlverhaltens der Eingang in den Wirtschaftskreislauf der Union voraussetzt, dass angenommen werden kann, dass der Gegenstand aufgrund dieses zollrechtlichen Fehlverhaltens im Steuergebiet des Mitgliedstaats, in dem das Fehlverhalten begangen wurde, in den Wirtschaftskreislauf der EU gelangte und einem Verbrauch oder einer Verwendung zugeführt werden konnte. Fraglich war also, ob allein der Umstand, dass eine Ware nicht oder nicht mehr einer Regelung nach Art. 61 Abs. 1 MwStSystRL unterliegt, zu einer mehrwertsteuerrechtlichen Einfuhr führt, oder ob weitere Kriterien hinzutreten müssen, um einen Eingang in den Wirtschaftskreislauf der EU anzunehmen.

Entscheidung

Die erste Frage des Vorlagegerichts, ob Art. 2 Abs. 1 Buchst. d und Art. 30 MwStSystRL dahin auszulegen sind, dass, wenn ein Gegenstand in das Gebiet der EU verbracht wird, die Wendung „Einfuhr eines Gegenstands“ i. S. d. Vorschriften nur den Eingang dieses Gegenstands in den Wirtschaftskreislauf der EU bezeichnet oder ob diese Wendung auch die Gefahr des Eingangs eines Gegenstands in diesen Kreislauf umfasst, hat der EuGH als unzulässig bewertet. Da feststand, dass die fraglichen Gegenstände nach Griechenland, ihrem endgültigen Bestimmungsort, weiterbefördert und dort verbraucht wurden, war unstreitig, dass diese Gegenstände in den Wirtschaftskreislauf der EU eingegangen waren. Daher war die Frage, ob die „Gefahr“, dass ein Gegenstand in den Wirtschaftskreislauf der EU gelangt, für die Feststellung genügt, dass eine „Einfuhr“ dieses Gegenstands i. S. v. Art. 2 Abs. 1 Buchst. d und Art. 30 MwStSystRL vorliegt, hypothetisch.

Die zweite Frage des Vorlagegerichts, ob beim Verbringen eines Gegenstands in das Gebiet der EU es für Art. 2 Abs. 1 Buchst. d und Art. 30 MwStSystRL genügt anzunehmen, dass dieser Gegenstand in einem bestimmten Mitgliedstaat in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangt ist, wenn in diesem Mitgliedstaat ein zollrechtliches Fehlverhalten in Bezug auf diesen Gegenstand begangen wurde, das zur Entstehung einer Einfuhrzollschuld geführt hat, hat der EuGH unter einer bestimmten Voraussetzung verneint. Es muss nachgewiesen sein, dass der fragliche Gegenstand in einen anderen Mitgliedstaat, seinen endgültigen Bestimmungsort, weiterbefördert worden ist, wo er verbraucht wurde. Dann entsteht die EUSt auf diesen Gegenstand nur in diesem anderen Mitgliedstaat.
Da unstreitig war, dass die fraglichen Gegenstände nach Griechenland, ihrem endgültigen Bestimmungsort, weiterbefördert worden waren, wo sie verbraucht wurden, stellt das in Deutschland begangene zollrechtliche Fehlverhalten für sich genommen keinen ausreichenden Beweis dafür dar, dass die fraglichen Gegenstände in Deutschland in den Wirtschaftskreislauf der EU gelangt sind.

Praxishinweis

Nach der bisherigen Rechtsprechung des EuGH kann neben der Zollschuld eine EUSt entstehen, wenn aufgrund des Fehlverhaltens, das zur Entstehung der Zollschuld führte, angenommen werden kann, dass die fraglichen Waren in den Wirtschaftskreislauf der EU gelangt sind und somit einem Verbrauch zugeführt werden können (vgl. EuGH v. 02.06.2016, C 226/14 und C 228/14, Eurogate Distribution und DHL Hub Leipzig, und v. 01.06.2017, C-571/15, Wallenborn Transports). Es ist grds. anzunehmen, dass Einfuhrabgaben unterliegende Gegenstände, die der zollamtlichen Überwachung innerhalb einer Freizone entzogen werden und sich nicht mehr in dieser Zone befinden, in den Wirtschaftskreislauf der Union überführt worden sind. Im Ausgangsfall war es aber möglich, diese Vermutung zu widerlegen. Dies gilt nach dem Urteil jedenfalls dann, wenn nachgewiesen wird, dass trotz des zollrechtlichen Fehlverhaltens, das zur Entstehung einer Einfuhrzollschuld in dem Mitgliedstaat führte, in dem dieses Fehlverhalten begangen wurde, ein Gegenstand im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats, in dem dieser Gegenstand zum Verbrauch bestimmt war, in den Wirtschaftskreislauf der EU gelangt ist. In diesem Fall entsteht die EUSt in diesem anderen Mitgliedstaat (hier in Griechenland).
Der EuGH hat vorliegend seine jüngere Rechtsprechung bestätigt, dass die Entstehung einer Zollschuld (wegen zollrechtlichem Fehlverhalten) nach Art. 204 ZK nicht (mehr) unmittelbar auch zur Entstehung von EUSt führt. Es ist grds. in jedem Einzelfall zu prüfen, ob eine Einfuhr i. S. v. Art. 2 Abs. 1 Buchst. d MwStSystRL vorliegt. Kann der Nachweis geführt werden, dass die Ware – trotz zollrechtlicher Pflichtverletzung – im Rahmen eines Zollverfahrens die Union wieder verlassen hat, entsteht keine EUSt. Gleiches gilt nach dem vorliegenden Urteil, wenn nachgewiesen werden kann, dass die EUSt in einem anderen Mitgliedstaat entstanden ist als dem, in dem die zollrechtliche Pflichtverletzung begangen wurde.

Die Entscheidung hat damit weitreichende Folgen für die Praxis. Sie sollten sämtliche Festsetzungen von EUSt aufgrund eines fehlerhaften Zollverfahrens, insbesondere Versandverfahrens, dahingehend überprüfen, ob die Grundsätze dieser Rechtsprechung anwendbar sind. Vielfach kann Ihnen die EuGH-Entscheidung dienlich sein, wenn die EUSt Entstehung erst im endgültigen Mitgliedstaat des Verbrauchs erfolgt. Das USt Team der AWB ist Ihnen bei der Prüfung und ggf. Durchsetzung gern behilflich.

 

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