Reverse Charge bei Grundstückslieferung im Rahmen eines Insolvenzverfahrens

EuGH Aktuell

EuGH, Urt. v. 13.06.2013 - Rs. C-125/12 – Promociones y Construcciones BJ 200 SL

Praxisproblem

Das Unionsrecht räumt den Mitgliedstaaten in Art. 199 Abs. 1 MwStSystRL das Recht ein, für bestimmte steuerpflichtige Leistungen den Leistungsempfänger zum Schuldner der Umsatzsteuer zu bestimmen. Soweit die Lieferung von Grundstücken betroffen ist, gestattet Art. 199 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL den Übergang der Steuerschuldnerschaft, wenn der Steuerpflichtige für die Besteuerung optiert hat. Voraussetzung ist allerdings wegen der ausdrücklichen Verweisung auf Art. 135 Abs. 1 Buchst. j und k MwStSystRL, dass die Grundstückslieferung ein bebautes Grundstück vor Erstbezug oder ein Baugrundstück iSv Art. 12 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL umfassen muss. Art. 199 Abs. 1 Buchst. f MwStSystRL gestattet weiterhin den Übergang der Steuerschuldnerschaft auf den Leistungsempfänger, wenn die steuerpflichtige Grundstückslieferung „im Rahmen eines Zwangsversteigerungsverfahrens“ erfolgte.

Der deutsche Gesetzgeber hat in den Fällen der (steuerpflichtigen) Grundstücklieferung in § 13b Abs. 2 Nr. 3 UStG den Übergang der Steuerschuldnerschaft alleine unter Hinweis auf das Grunderwerbsteuergesetz – Umsätze, die unter das Grunderwerbsteuergesetz fallen - angeordnet.

Wegen des Bezugs auf das Grunderwerbsteuergesetz ist der Anwendungsrahmen des § 13b Abs. 2 Nr. 3 UStG einerseits weiter – keine Differenzierung, ob die Lieferung ein Grundstück vor oder nach Erstbezug oder ein Baugrundstück betrifft oder ob die Lieferung im Rahmen eines Zwangsversteigerungsverfahrens erfolgt –, andererseits aber enger - auch Umsätze über Erbbaurechte fallen unter das Grunderwerbsteuergesetz und damit unter § 13b Abs. 2 Nr. 3 UStG. Hieraus folgt die berechtigte Frage nach einer möglichen, nicht unionskonformen Umsetzung der Vorgaben aus Art. 199 Abs. 1 Buchst. c und f MwStSystR. In der vorliegenden Rechtssache hatte der EuGH nunmehr Gelegenheit, den Anwendungsrahmen des Art. 199 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL näher zu bestimmen, insbesondere den Begriff des „Zwangsversteigerungsverfahrens“ zu definieren. 

Sachverhalt

Promociones y Contrucciones (im Folgenden „Promociones“) wurde mit Beschluss vom 22.02.2010 in Spanien für insolvent erklärt und über ihr Vermögen das freiwillige Insolvenzverfahren eröffnet. Da sich die Gelegenheit zum Verkauf zweier Promociones gehörender Grundstücke anbot, der Verkauf dieser Grundstücke durch Gerichtsbeschluss vom 01.02.2012 genehmigt wurde, veräußerte Promociones diese Grundstücke steuerpflichtig an die Käuferin, Banesto SA. Die Lieferung des Grundstücks gehört zur wirtschaftlichen Tätigkeit von Promociones. Im Streit war die Frage, ob die aus der Lieferung resultierende Umsatzsteuer vom Verkäufer Promociones oder – im Rahmen des Übergangs der Steuerschuldnerschaft – von der Käuferin Banesto SA geschuldet wird.  Während Art. 199 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL den Übergangs der Steuerschuldnerschaft für Lieferungen „im Rahmen eines Zwangsversteigerungsverfahrens“ vorsieht, regelt das spanische Umsatzsteuerrecht den Fall eines Reverse Charges nur bei der Lieferung von Grundstücken „im Rahmen eines Insolvenzverfahrens“. Wegen dieser Differenzierung fragt das vorlegende spanische Gericht, ob nur die Veräußerung von Grundstücken im Rahmen einer abschließenden Liquidation des Vermögens stattfinden muss.

Entscheidung

Der EuGH stellt zunächst darauf ab, dass zwar die spanische Sprachfassung des Art. 199 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL den Begriff der „Liquidation“ verwendet. Die Sprachfassungen der meisten anderen Mitgliedstaaten dagegen den Begriff des „Zwangsversteigerungsverfahrens“ benutzen.

Wegen der abweichenden verschiedenen Sprachfassungen zur Regelung im Art. 199 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL muss die fragliche Bestimmung nach der allgemeinen Systematik und dem Zweck der Regelung ausgelegt werden. Hierzu stellt der EuGH fest, dass die in Art. 199 Abs. 1 MwStSystRL geregelten Fälle zum ausnahmsweisen Übergang der Steuerschuldnerschaft auf den Leistungsempfänger von der Vorstellung geprägt sind, dass der Leistende aufgrund seiner finanziellen Schwierigkeiten nicht in der Lage ist, die von ihm geschuldete Steuer zu entrichten. Im Vordergrund steht folglich die Vermeidung der Steuergefährdung in den Fällen, in denen der Leistende die Steuer nicht entrichten kann.

Folglich kann das Verfahren der Umkehr der Steuerschuldnerschaft auf den Verkauf eines Grundstücks durch den Schuldner einer vollstreckbaren Forderung im Rahmen jeden Insolvenzverfahrens angewendet werden, unabhängig davon, ob es auf eine Liquidation gerichtet ist. Der Verkauf muss nur geboten sein, um die Gläubiger zu befriedigen oder dem Schuldner  die Wiederaufnahme seiner wirtschaftlichen oder beruflichen Tätigkeit zu ermöglichen. Sobald der Schuldner daher für insolvent erklärt werde und bestehe die Gefahr einer Steuerumgehung oder –hinterziehung, sei die Umkehrung der Steuerschuldnerschaft zulässig.

Praxishinweis

Diese Interpretation des EuGH zu Art. 199 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL wird vom Anwendungsbereich des § 13b Abs. 2 Nr. 3 UStG vollumfänglich mit erfasst. Zwangsversteigerungen, also Lieferungen, steuerbar nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 UStG fallen unter das Grunderwerbsteuergesetz, unabhängig davon, ob damit die Liquidation des Vermögens des Vollstreckungsschuldners mit betroffen ist oder nicht (vgl. hierzu Abschn. 13b.1 Abs. 2 Nr. 5 Beispiel UStAE).