Vertrauensschutz – oder besser kein Vertrauensschutz – bei grenzüberschreitenden Lieferungen

BFH, Urt. v. 25.4.2013 – V R 28/11

Praxisproblem

In Umsetzung der unionsrechtlichen Vorgaben aus Art. 131 MwStSystRL hat der BFH das Verhältnis zwischen den objektiv-materiell-rechtlichen Voraussetzungen für die Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung gem. § 6a Abs. 1 UStG und den für die Inanspruchnahme der Befreiung gem. § 6a Abs. 3 UStG bestehenden Nachweispflichten wie folgt konkretisiert:

  1. Die Steuerbefreiung der innergemeinschaftlichen Lieferung setzt die gem. § 6a Abs. 3 UStG i.V.m. §§ 17a – c UStDV notwendigen Buch- und Belegnachweise voraus.
  2. Sind diese Nachweise unvollständig oder liegen sie gar nicht vor, ist die Leistung steuerpflichtig, wenn die Finanzbehörde zumindest berechtigte Zweifel an der inhaltlichen Richtigkeit der Angaben hat und der Unternehmer die Zweifel nicht ausräumen kann.
  3. Auch wenn derartige Mängel in den Nachweisen vorliegen, die der Unternehmer nicht ausräumen konnte, kann es dennoch bei der Steuerbefreiung verbleiben, wenn objektiv zweifelsfrei feststeht, dass die Voraussetzungen der Steuerfreiheit erfüllt sind, insbesondere der betreffende Gegenstand in eine anderes EU-Mitgliedsland gelangt und dort der Erwerbsbesteuerung unterliegt.
  4. Weisen die Nachweise Mängel auf, die der Unternehmer nicht ausräumen konnte, steht aber auch nicht objektiv zweifelsfrei die Steuerfreiheit fest, kann sich die Steuerbefreiung schließlich unter Hinweis auf § 6a Abs. 4 Satz 1 UStG – Gutgläubigkeit des Leistenden – ergeben. Voraussetzung hierfür ist aber die formelle Vollständigkeit, wenn auch nicht die inhaltliche Richtigkeit der gem. §§ 17a ff. UStDV geforderten Nachweise.

Bislang hat der BFH die Möglichkeit eines Vertrauensschutzes gem. § 6a Abs. 4 UStG nur sehr restriktiv bewertet. In dem Vorlageverfahren hatte wieder ein Finanzgericht die Steuerbefreiung auf die Vertrauensschutzregelung des § 6a Abs. 4 Satz 1 UStG gestützt und dem leistenden deutschen Unternehmer die Steuerbefreiung gewährt, während  der BFH – wieder einmal – genau diesen Vertrauensschutz ablehnte und dem deutschen Unternehmer das alleinige Risiko eines konfliktfreien Funktionierens des Binnenmarktes aufbürdet. 

Sachverhalt

Die mit Pkws handelnde Klägerin verkaufte 2 Pkws an eine in Luxemburg ansässige GmbH und behandelte die Umsätze als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung nach Luxemburg. Sie hatte die beiden Pkws im Internet zum Verkauf angeboten. Die Geschäftsanbahnung erfolgte über eine Person, die sich als KP in der Funktion als Geschäftsführer der GmbH ausgab, sich mit ihrem Personalausweis auswies und danach im Inland ansässig war. Der dem Vertragsschluss vorausgegangene Kontakt erfolgte über ein Mobiltelefon und ein Telefaxgerät mit jeweils deutscher Vorwahl. Der Klägerin lagen bei Vertragsschluss folgende Unterlagen vor:

  • Auszug aus dem Handels- und Gesellschaftsregister für die GmbH mit Hinweis auf KP als Geschäftsführer
  • Ein Schreiben mit Briefkopf der GmbH und dem handschriftlichen Hinweis: „Vollmacht - Bitte Herrn L Kfz-Brief und Schlüssel aushändigen, Herr L hat Kaufpreis in bar dabei“.
  • Kopie des auf KP ausgestellten Personalausweises
  • Eine auf L ausgestellte Vollmacht ohne Datum
  • Die Unterschrift auf der Vollmacht und dem beigefügten Schreiben der GmbH war mit der Unterschrift auf dem Personalausweis von KP ähnlich
  • Bestätigte Gültigkeit der für die GmbH erteilten UStIdNr. durch das BZSt
  • Versicherung des L mit Unterschrift die Pkws nach Luxemburg zu befördern

Die Klägerin übergab die beiden Fahrzeuge an L, der den Kaufpreis bar entrichtete. Der tatsächliche Verbleib der beiden Pkws ist nicht bekannt, ebenso wie die tatsächliche Identität der beiden Personen, die sich als KP und L ausgaben, nicht festgestellt werden konnte. Die vorgelegten Personalausweise waren gefälscht.

Entscheidung

Der BFH stellt zunächst fest, dass in dem vorliegenden Fall die Beleg- und Buchangaben hinsichtlich der dort als Abnehmer aufgeführten GmbH unzutreffend waren. Die GmbH hatte die beiden Fahrzeuge nicht erworben, da keine für sie handlungsbefugte Person, sondern ein Unbekannter unter ihrem Namen tätig war, der sich als Geschäftsführer der GmbH ausgab. Es stand für den BFH auch nicht objektiv zweifelsfrei fest, dass die Voraussetzungen der Steuerbefreiung erfüllt waren, da der Verbleib der beiden Fahrzeuge unbekannt ist. Schließlich verweigert der BFH den Vertrauensschutz nach § 6a Abs. 4 Satz 1 UStG. Die Klägerin habe zwar auf die unrichtigen Abnehmerangaben vertraut, sie habe aber nicht mit der erforderlichen Sorgfalt gehandelt. Unter Hinweis auf die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Mecsek-Gabona (EuGH, Urt. v. 06.09.2012 – Rs. C-273/11, UR 2012, 796 Rnrn. 48 ff.) leitet der BFH ab, dass sich die zur Steuerpflicht führende Bösgläubigkeit auch aus Umständen ergeben könne, die nicht mit den Beleg- und Buchangaben zusammenhängen. Ausdrücklich verweist er in diesem Zusammenhang auf ungewöhnliche Umstände, wie z.B. einen Barverkauf hochwertiger Wirtschaftsgüter mit einem Beauftragten, dessen Vertretungsmacht nicht überprüft werde. Auch im Streitfall sieht der BFH solche Umstände gegeben, wie:

  • keine Geschäftsanbahnung über den Geschäftssitz der GmbH
  • Kontaktaufnahme zum Abnehmer über Mobiltelefon und Faxgerät mit jeweils deutscher Vorwahl und
  • Bargeschäft über hochwertige Wirtschaftsgüter

Praxishinweis

Letztlich führen die Aussagen des BFH dazu, dass die Vertrauensschutzregelung in § 6a Abs. 4 Satz 1 UStG leer läuft. Vor allem in den sog. Abholfällen erfolgt eine Risikoverteilung nahezu ausschließlich auf den leistenden Unternehmer. Jede Irritation in der ordnungsgemäßen Abwicklung grenzüberschreitender Warenlieferung geht zu Lasten des deutschen Unternehmers. Hieran wird sich auch ab 01.10.2013 nichts Wesentliches ändern. Die ab 01.10.2013 greifenden neuen Belegnachweise sehen gerade für den hochsensiblen Bereich der Abholfälle (INCOTERM® EXW und FCA) keine befriedigende anderweitige Lösung vor.