Zulässigkeit von Verwaltungsgeldstrafen für Verletzung umsatzsteuerlicher Pflichten

EuGH, Urt. v. 20.06.2013 - Rs. C-259/12 – Rodolpi-M 91 OOD

Praxisproblem

Das deutsche Umsatzsteuerrecht kennt lediglich in § 26a UStG bußgeldbewährte Tatbestände, die in den in § 26a Abs. 1 Nr. 1 bis 7 UStG enumerativ aufgelisteten Fällen eine Geldbuße von maximal 5.000 € ermöglichen. In den anderen EU-Mitgliedsländern, speziell den östlichen Beitrittsländern, sehen die nationalen Regelungen teilweise drakonische Strafen vor, die bis zur Höhe des geschuldeten Umsatzsteuerbetrages oder geltend gemachten Vorsteuerabzugsbetrages reichen können. Das bulgarische Umsatzsteuergesetz (ZDDS) beispielsweise sieht in Art. 182 ZDDS eine solche Sanktionsmöglichkeit für die Fälle vor, dass ein Steuerpflichtiger einen zu Unrecht vorgenommenen Vorsteuerabzug nicht rechtzeitig und damit verspätet berichtigt hat. Damit entsteht die Frage, ob diese „Doppelbelastung“ nicht gegen den umsatzsteuerlichen Grundsatz der Neutralität, zumindest aber gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, verstößt. Genau diese Frage hatte der EuGH in der Rechtssache Rodolpi zu beantworten.

Sachverhalt

Rodolpi ist eine mehrwertsteuerpflichtige bulgarische Gesellschaft. Sie machte aus einer Rechnung unberechtigterweise Vorsteuern geltend. Sie hätte nach bulgarischem Recht die erforderliche Berichtigung noch in der Steuererklärung für Oktober berücksichtigen müssen, tat das aber tatsächlich erst in der Dezembererklärung, entrichtete allerdings dann auch den zu Unrecht geltend gemachten Vorsteuerbetrag zzgl. Zinsen an die Finanzbehörden. Obwohl die Berichtigung tatsächlich – wenn auch verspätet - erfolgte und die Beträge aus dem unberechtigten Vorsteuerabzug zzgl. Zinsen zurückerstattet wurden, verhängte die zuständige Behörde gegen Rodolpi eine Verwaltungsstrafe in Höhe des berichtigten Vorsteuerbetrages.

Entscheidung

Der EuGH stellt zunächst klar, dass das Unionsrecht nicht ausdrücklich ein System von Sanktionen im Falle von Pflichtverletzungen vorsieht. Folglich sind die Mitgliedstaaten ermächtigt, ihre eigenen Sanktionen zu wählen, sofern sie nur sachgerecht sind und den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts, vor allem dem Grundsatz der Neutralität und Verhältnismäßigkeit, nicht widersprechen. Er hat allerdings die Belastung Rodolpis sowohl aus dem Gesichtspunkt der Neutralität als auch des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit verneint. Der Grundsatz der Neutralität, wonach gleichartige Umsätze verschiedener Wirtschaftsteilnehmer nicht umsatzsteuerlich unterschiedlich behandelt werden dürfen, greife nicht ein, da die fragliche Verwaltungsgeldstrafe nicht wegen irgendeines Umsatzes, sondern wegen verspäteter Berichtigung, verhängt worden sei. Unverhältnismäßig könne die Maßnahme schon deswegen nicht sein, weil das ungarische Recht eine abgestufte Sanktion, gekoppelt an den Zeitraum der Pflichtverletzung anknüpfe. Ob aber die Höhe im konkreten Fall dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspreche, müsse das vorlegende Gericht prüfen.

Praxishinweis

Im EU-Ausland tätige Unternehmer dürfen nicht davon ausgehen, dass die in Deutschland nach wie vor recht großzügige Behandlung umsatzsteuerlicher Pflichtverletzungen in allen EU-Mitgliedstaa- ten anzutreffen ist. Im Gegenteil: Verstöße gegen formelle und materielle Pflichten werden häufig ohne Möglichkeiten von Fristverlängerungen oder Ähnlichem strikt geahndet. Hier muss der im Inland ansässige, aber im EU-Ausland tätige, Unternehmer Vorkehrungen treffen, um nicht finanziellen oder sonstigen Schaden zu nehmen.