BFH zur Steuerfreiheit von Umsätzen privater Krankenhausbetreiber bis 2008 und ab 2009

Anmerkung zu: BFH, Urteile v. 18.03.2015, XI R 8/13 und XI R 38/13

Praxisproblem

Nach § 4 Nr. 16 Buchst. b UStG in der bis einschließlich 2008 geltenden alten Fassung (a.F.) waren die mit dem Betrieb der privaten Krankenhäuser eng verbundenen Umsätze steuerfrei, wenn bei Krankenhäusern im vorangegangenen Kalenderjahr die in § 67 Abs. 1 oder 2 AO bezeichneten Voraussetzungen erfüllt wurden. Bei einem Krankenhaus, das nicht in den Anwendungsbereich des Krankenhausentgeltgesetzes oder der Bundespflegesatzverordnung fiel, mussten danach mindestens 40 % der jährlichen Belegungstage oder Berechnungstage auf Patienten entfallen, bei denen für die Krankenhausleistungen kein höheres Entgelt als für allgemeine Krankenhausleistungen berechnet wurde. Nach der ab 2009 geltenden Rechtslage sind die Leistungen der privaten Krankenhäuser nur steuerfrei, wenn es sich um eine Hochschulklinik, ein in den Krankenhausplan eines Landes aufgenommenes Krankenhaus oder um ein Krankenhaus handelt, das über einen Versorgungsvertrag mit den Verbänden der gesetzlichen Krankenkassen verfügt (§ 4 Nr. 14 Buchst. b Satz 2 Doppelbuchst. aa UStG). Der BFH hatte über die Umsatzsteuerfreiheit privater Krankenhausbetreiber bis 2008 einerseits und ab 2009 andererseits zu entscheiden

Sachverhalt

Die Klägerin im BFH-Verfahren XI R 8/13 betrieb ein privates Krankenhaus für Psychosomatik, Psychotherapie und Krisenintervention. Sie behandelte in den Streitjahren 2003 bis 2006 privat versicherte Patienten und Selbstzahler. Im Verfahren XI R 38/13 handelte es sich um eine Privatklinik, in der niedergelassene Ärzte im Streitjahr 2009 operative Eingriffe an gesetzlich und privat versicherten Patienten durchführten. Die Klinik war im Streitjahr nicht als Plankrankenhaus i.S.d. § 108 Nr. 2 SGB V in den Krankenhausplan des betreffenden Landes aufgenommen. Sie hatte für das Streitjahr auch keinen Versorgungsvertrag i.S.d. § 108 Nr. 3 SGB V mit den Landesverbänden der Krankenkassen und den Verbänden der Ersatzkassen abgeschlossen. Die Klägerin verfügte im Streitjahr ferner über keine Zulassung als medizinisches Versorgungszentrum i.S.d. § 95 SGB V. Das FA war der Auffassung, dass die Voraussetzungen für eine Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 16 Buchst. b UStG a.F. (XI R 8/13) bzw. § 4 Nr. 14 Buchst. b Satz 2 Doppelbuchst. aa UStG (XI R 38/13) nicht vorlägen. Das FG hatte in beiden Fällen der Klage stattgegeben. Die Klägerin könne sich für die Steuerfreiheit der streitbefangenen Umsätze jeweils auf das Unionsrecht berufen.

Entscheidung

Dem ist der BFH im Verfahren XI R 8/13 nicht gefolgt. Auf die Revision des FA hat er die Klage abgewiesen. Nach dem Urteil ist die Steuerbefreiung der mit dem Betrieb eines Krankenhauses eng verbundenen Umsätze nach § 4 Nr. 16 Buchst. b UStG a.F. i.V.m. § 67 AO hinsichtlich der 40 %-Grenze unionsrechtskonform. Diese Grenze verstoße zudem nicht gegen den Grundsatz der mehrwertsteuerrechtlichen Neutralität. Soweit der nationale Gesetzgeber in § 4 Nr. 16 Buchst. b UStG a.F. auf die Verhältnisse des vorangegangen Kalenderjahrs abgestellt hat, wofür das Unionsrecht keine Grundlage bietet, war der Streitfall hiervon nicht betroffen.

Dagegen hat der BFH im Verfahren XI R 38/13 die der Klage stattgebende Entscheidung des FG bestätigt. Der XI. Senat des BFH hat sich der Rechtsprechung des V. Senats angeschlossen, der mit Urt. v. 23.10.2014, V R 20/14 entschieden hatte, dass § 4 Nr. 14 Buchst. b Satz 2 Doppelbuchst. aa UStG nicht den unionsrechtlichen Vorgaben entspreche. Nach diesem Urteil können Behandlungsleistungen von Privatkrankenhäusern unabhängig von sozialversicherungsrechtlichen Zulassungen umsatzsteuerfrei sein. Nach der vorliegenden Entscheidung hat der deutsche Gesetzgeber den ihm insoweit eingeräumten Ermessensspielraum überschritten, weil die Regelung in § 4 Nr. 14 Buchst. b Satz 2 Doppelbuchst. aa UStG die Steuerfreiheit der Leistungserbringung in privaten Krankenhäusern unter einen sozialversicherungsrechtlichen Bedarfsvorbehalt stellt, der nach der BFH-Entscheidung mit dem Unionsrecht nicht vereinbar ist. Die Klägerin im Verfahren XI R 38/13 konnte sich mithin für die Steuerfreiheit der streitbefangenen Umsätze unmittelbar auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL, dessen Voraussetzungen sie erfüllte, berufen. Damit sich der Betreiber eines Privatkrankenhauses auf die Steuerfreiheit nach dem Unionsrecht berufen kann, obwohl er keinen Versorgungsvertrag abgeschlossen hat, muss er über eine sog. Anerkennung verfügen. Diese kann sich daraus ergeben, dass er in nicht unerheblichem Umfang Patienten behandelt, die als gesetzlich Versicherte Anspruch auf Kostenerstattung nach § 13 SGB V haben oder beihilfeberechtigt sind. In der BFH-Entscheidung V R 20/14 traf dies auf den Streitfall (Quote über 35 %) zu. Im Fall der Entscheidung wurden in 43 % der Umsätze gesetzlich krankenversicherte Personen behandelt.

Praxishinweis

Es bleibt abzuwarten, ob die Finanzverwaltung die die Steuerbefreiung bejahenden Urteile des V. und XI. Senats des BFH veröffentlicht und damit allgemein anwendet bzw. ob der Gesetzgeber tätig wird. Wünschenswert wäre eine Klarstellung, unter welchen Voraussetzungen die Umsatzsteuerbefreiung für die Behandlungsleistungen nicht zugelassener Krankenhäuser gewährt wird, wenn sich der Betreiber auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL beruft. Dabei könnte – wie in den Urteilsfällen – die Vergleichbarkeit einer Privatklinik mit einem nach § 108 SGB V zugelassenen Krankenhaus ausschlaggebend sein. Eine baldige Klarstellung könnte schon mit Blick auf Berufungsfälle einerseits auf das Unionsrecht und andererseits auf nationales Recht geboten sein. Privatkrankenhäuser ohne Zulassung nach § 108 SGB V, die in der Vergangenheit keine größeren Investitionen getätigt haben, könnten sich mit Blick auf die BFH-Entscheidungen ggf. rückwirkend auf die unionsrechtlich gebotene Steuerbefreiung ihrer Heilbehandlungen (unter Wegfall des bisherigen Vorsteuerabzugs) berufen. Andererseits könnten Privatkrankenhäuser, die in den letzten Jahren größere Vorsteuervolumina hatten, geneigt sein, an der Steuerpflicht nach nationalem Recht festzuhalten.