EuGH zur Steuerermäßigung für Arzneimittel, medizinische Geräte und Hilfsmittel

Anmerkung zu: EuGH, Urt. v. 04.01.6015, C-678/13, Kommission/Polen; Anwendungsbereich der Steuerermäßigung nach Anhang III Nr. 3 und 4 MwStSystRL für Arzneimittel, medizinische Geräte und Hilfsmittel

Praxisproblem

Der Anwendungsbereich der Steuerermäßigung nach Anhang III Nr. 3 und 4 MwStSystRL für Arzneimittel, medizinische Geräte und Hilfsmittel ist häufig Gegenstand von Rechtsstreiten. Nach Nummer 3 sind Arzneimittel begünstigt, die üblicherweise für die Gesundheitsvorsorge, die Verhütung von Krankheiten und für ärztliche und tierärztliche Behandlungen verwendet werden, einschließlich Erzeugnissen für Zwecke der Empfängnisverhütung und der Monatshygiene. Nach Anhang III Nr. 4 können die Mitgliedstaaten für folgende Gegenstände einen ermäßigten Streuersatz anwenden: medizinische Geräte, Hilfsmittel und sonstige Vorrichtungen, die üblicherweise für die Linderung und die Behandlung von Behinderungen verwendet werden und die ausschließlich für den persönlichen Gebrauch von Behinderten bestimmt sind, einschließlich der Instandsetzung solcher Gegenstände, sowie Kindersitze für Kraftfahrzeuge. Deutschland macht von der Steuerermäßigung nur sehr eingeschränkt in Form von Nr. 51 und 52 der Anlage 2 zum UStG Gebrauch (Rollstühle sowie Körperersatzstücke und bestimmte orthopädische Apparate und Vorrichtungen).

Sachverhalt

Bei der Klage der EU-Kommission gegen Polen ging es um den ermäßigten Steuersatz auf medizinische Geräte und Hilfsmittel. Die Kommission beantragte festzustellen, dass Polen dadurch gegen seine Verpflichtungen aus den Art. 96 bis 98 i.V.m. Anhang III MwStSystRL verstoßen hat, dass es einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz u.a. auf folgende in Anhang Nr. 3 des PL-MwStG aufgeführten Lieferungen in Bezug auf medizinische Geräte, medizinische Gegenstände und Arzneimittel angewandt hat:

  • medizinische Geräte, Hilfsmittel und sonstige Vorrichtungen, die nicht ausschließlich für den persönlichen Gebrauch von Behinderten bestimmt sind und/oder die nicht üblicherweise für die Linderung und die Behandlung von Behinderungen verwendet werden;
  • Erzeugnisse wie u.a. Desinfektionsmittel, Erzeugnisse und Präparate für den pharmazeutischen Gebrauch und Kurprodukte, die keine Arzneimittel sind, die üblicherweise für die Gesundheitsvorsorge, die Verhütung von Krankheiten und für ärztliche und tierärztliche Behandlungen verwendet werden, oder Erzeugnisse für Zwecke der Empfängnisverhütung und der Monatshygiene sind;

Zur Begründung ihrer Klage führte die Kommission aus, dass Polen einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz auf Gegenstände anwende, die zu keiner der in Anhang III MwStSystRL aufgeführten Kategorien von Gegenständen gehörten. Diese Gegenstände seien mit dem Normalsatz zu besteuern, da sie nicht unter die in Art. 98 Abs. 2 der Richtlinie vorgesehene Ausnahme fielen. Überdies seien viele Kategorien von Gegenständen, die gemäß den polnischen Bestimmungen unter den ermäßigten Steuersatz fielen, unklar oder unpräzise formuliert, was es unmöglich mache, festzustellen, um welche Erzeugnisse es sich tatsächlich handele.

Entscheidung

Der EuGH hat der Klage im Wesentlichen stattgegeben und Polen verurteilt (das Urteil liegt nicht in deutscher Sprache, sondern nur in Polnisch und in Französisch vor). Die streitigen Gegenstände können (so der Wortlaut von Anhang III Nr. 3 MwStSystRL) weder als Arzneimittel, die üblicherweise für die Gesundheitsvorsorge, die Verhütung von Krankheiten und für ärztliche und tierärztliche Behandlungen verwendet würden, noch als Geräte eingestuft werden, die ( so der Wortlaut von Anhang III Nr. 4 MwStSystRL) üblicherweise für die Linderung und die Behandlung von Behinderungen verwendet werden und die ausschließlich für den persönlichen Gebrauch von Behinderten bestimmt sind. Die Verurteilung Polens bezieht sich allerdings nur auf die Gegenstände in den Nummern 82, 92 und 103 in Anhang Nr. 3 des PL-MwStG. Was die Positionen 83, 84, 85, 86, 87, 90, 91, 97, 100, 104 und 105 des Anhangs 3 betrifft, ist die Klage der Kommission nicht begründet. Hier hat die Kommission nicht nachgewiesen, dass es sich um Gegenstände handelt, die nicht unter Anhang III MwStSystRL subsumiert werden können.

Praxishinweis

Die Entscheidung enthält einige Auslegungskriterien zu Anhang III Nr. 3 und 4 MwStSystRL, wie sie auch bereits in der EuGH-Entscheidung v. 17.01.2013, C-360/11, Kommission /Spanien zum Ausdruck kommen. Der EuGH hat seine ständige Rechtsprechung bestätigt, dass Unionsrechtsbestimmungen, die die Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes erlauben, eng auszulegen sind, da sie den Mitgliedstaaten die Möglichkeit einräumen, vom Grundsatz der Anwendung des Normalsteuersatzes abzuweichen. Außerdem müssen die Nrn. 3 und 4 des Anhangs III MwStSystRL in der gesamten Union autonom und einheitlich angewendet werden, da sie keinen ausdrücklichen Verweis auf das Recht der Mitgliedstaaten enthalten. Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, die „Konturen“ der in diesen Nummern definierten Kategorien so, wie sie vom EuGH ausgelegt werden, zu berücksichtigen, wenn sie die einzelnen Kategorien von Gegenständen präzisieren, auf die sie einen ermäßigten Steuersatz anwenden.

Anhang III Nr. 3 MwStSystRL erfasst nur fertige Produkte, die vom Endverbraucher unmittelbar gebraucht werden können, unter Ausschluss der Erzeugnisse, die für die Herstellung von Medikamenten verwendet werden können und üblicherweise noch verarbeitet werden müssen.

Zu den in Anhang III Nr. 4 MwStSystRL aufgeführten „medizinische[n] Geräte[n], Hilfsmittel[n] und sonstige[n] Vorrichtungen, die üblicherweise für die Linderung und die Behandlung von Behinderungen verwendet werden und die ausschließlich für den persönlichen Gebrauch von Behinderten bestimmt sind“, zählen nicht Gesundheitsprodukte, Stoffe, Geräte und Vorrichtungen, „die objektiv nur zur Vorbeugung bzw. zur Diagnose, Behandlung, Linderung oder Heilung von Krankheiten oder Leiden von Menschen oder Tieren verwendet werden können“. Auch der in Anhang III Nr. 3 MwStSystRL verwendete Begriff der Arzneimittel erfasst diese Gegenstände nicht vollumfänglich. Anhang III Nr. 4 MwStSystRL erfasst Gesundheitsprodukte, die für eine spezifische Verwendung besonders erwähnt werden. Dieser Bestimmung würde nach dem Urteil ihre Bedeutung genommen, wenn Anhang III Nr. 3 MwStSystRL so ausgelegt würde, dass danach ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz auf alle Gesundheitsprodukte oder medizinischen Vorrichtungen angewendet werden könnte, ohne dass es auf den Gebrauch ankäme, für den sie bestimmt sind.

Auch Gegenstände, die zum Ausgleich von körperlichen Behinderungen von Tieren verwendet werden, fallen weder unter Nr. 3 noch unter Nr. 4 von Anhang III MwStSystRL, da Nr. 3 nur Arzneimittel begünstigt und Nr. 4 nur Gegenstände für den menschlichen Gebrauch enthält.

Auch können Geräte und Zubehörteile, die im Wesentlichen oder hauptsächlich zum Ausgleich von Behinderungen beim Menschen verwendet werden, jedoch nicht ausschließlich dem persönlichen Gebrauch der behinderten Personen dienen, nicht nach Anhang III Nr. 4 MwStSystRL begünstigt sein, weil es danach auf den ausschließlich persönlichen Gebrauch durch Behinderte ankommt.