Zur Veräußerung von Miteigentumsanteilen als Lieferung (Abschnitt 3.5 Abs. 2 Nr. 6 UStAE)

Anmerkung zu: BMF-Schreiben v. 23.05.2019

Praxisproblem

Der BFH hatte mit Urteil v. 18.02.2016, V R 53/14, unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung entschieden, dass die Übertragung eines Miteigentumsanteils eine Lieferung darstellt. Er hielt eine Beurteilung der Übertragung des Miteigentumsanteils als sonstige Leistung als nicht mit Unionsrecht vereinbar und verwies hierzu auf das EuGH-Urteil v. 15.12.2005, C-63/04, Centralan Property Ltd. Der EuGH hatte in der Sache C-63/04 sowohl die Einräumung eines Besitzrechts an einem bebauten Grundstück als auch die eng damit verbundene Übertragung des „Resteigentums" an einen anderen Erwerber jeweils als Lieferung beurteilt.

In dem der BFH-Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt hatte ein inländischer Kunsthändler im Streitjahr 2008 einen Anteil von 50 % an einem Buch an eine in England ansässige Galerie verkauft. Der Kunsthändler behandelte den Umsatz als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung, das FA ging von einer sonstigen Leistung aus. Der englische Galerist holte das Buch von dem Kunsthändler ab und transportierte es im Handgepäck nach England. Das Buch wurde in England begutachtet, ausgestellt und im März 2010 von der englischen Galerie weiterverkauft. Zu einem späteren Zeitpunkt verkaufte der inländische Kunsthändler auch die bei ihm verbliebene (50 %ige) Beteiligung am Buch an die englische Galerie. Auch diese Veräußerung behandelte der Kunsthändler als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung. Nach Auffassung des BFH stellt die Übertragung des hälftigen Miteigentumsanteils an dem Buch im Streitjahr 2008 eine Lieferung dar. Die Aufspaltung der Verfügungsmacht an einem körperlichen Gegenstand mit der Folge, dass mehrere Personen das Recht innehaben, über einen Gegenstand wie ein Eigentümer zu verfügen, entspräche der Rechtsposition eines Miteigentümers, der nach § 747 Satz 1 BGB über seinen Miteigentumsanteil frei verfügen kann. Miteigentum nach Bruchteilen sei seinem Wesen nach dem Alleineigentum gleichartig, sodass der Miteigentümer dieselbe Rechtsposition hat wie ein Eigentümer (BGH v. 10.05.2007, V ZB 6/07). Die Ausführungen des BFH widersprachen der bisherigen in Abschnitt 3.5 Abs. 3 Nr. 2 UStAE dargelegten Verwaltungsauffassung.

Entscheidung

Die Verwaltung hat sich mit BMF-Schreiben v. 23.05.2019 der geänderten BFH-Rechtsprechung angenommen und Abschnitt 3.5 Abs. 2 UStAE um eine neue Nr. 6 ergänzt. Danach gilt als Lieferung nunmehr auch die Übertragung von Miteigentumsanteilen (Bruchteilseigentum) an einem Gegenstand i. S. d. § 3 UStG. In Abschnitt 3.5 Abs. 3 UStAE wurde Nummer 2 gestrichen, die bisher bei der Übertragung von Miteigentumsanteilen eine sonstige Leistung annahm.

Praxishinweis

Die geänderte Verwaltungsauffassung gilt insbesondere für die umsatzsteuerliche Behandlung der Übertragungsvorgänge von Miteigentumsanteilen an einer beweglichen Sache (z. B. Warenbeständen). Rechtsfolgen aus der Beurteilung der Übertragung eines Miteigentumsanteils ergeben sich auch hinsichtlich der Anwendung der Steuerbefreiungen für innergemeinschaftliche Lieferungen und Ausfuhrlieferungen und hier insbesondere für die Zuordnung der Warenbewegung zu den Übertragungen der einzelnen Miteigentumsanteile. In welchem zeitlichen Kontext die Warenbewegung einer oder mehrerer Miteigentumsübertragungen zugerechnet werden kann, hat Folgen für die Annahme bewegter bzw. unbewegter Lieferungen und dementsprechend für die Ortsbestimmung der Lieferung.

Unstreitig nach dem BMF-Schreiben dürfte sein, dass nach der geänderten Auffassung der Verwaltung grds. jede Veräußerung bzw. Übertragung eines Miteigentumsanteils – ohne weitere Voraussetzungen – eine Lieferung ist. Zwar können die einzelnen Teilhaber über eine Sachgesamtheit nach § 747 Satz 2 BGB nur gemeinschaftlich verfügen können. Unberührt davon bleibt jedoch das individuelle Verfügungsrecht des einzelnen Miteigentümers über seinen Anteil an der Sache nach § 747 Satz 1 BGB. Im Unterschied zu einem Gegenstand des Gesamthandseigentums einer Gemeinschaft kann jeder Miteigentümer über seinen Anteil am Bruchteilseigentum ohne Zustimmung der Mitberechtigten und ohne Aufhebung der Miteigentümergemeinschaft rechtsgeschäftlich frei verfügen. Auf eine Differenzierung zwischen bedingtem und unbedingtem Herausgabeanspruch kann es daher nicht ankommen. Geliefert wird der Miteigentumsanteil und nicht der Gesamtgegenstand. D.h. es kann nicht nur dann eine Lieferung vorliegen, wenn direkt auch die Verfügungsbefugnis an dem (Gesamt)Gegenstand übertragen wird.

Mit der geänderten Verwaltungsauffassung dürfte auch die bisherige Behandlung der Übertragung von Gewichtskonten bei Scheideanstalten in Frage gestellt sein. Nach bisheriger Verwaltungsauffassung liegt bei der Abgabe von Scheidegut an Scheideanstalten gegen Gutschrift auf dem Gewichtskonto keine Lieferung an die Scheideanstalt vor, wenn durch die Gutschrift auf dem Gewichtskonto die Verfügungsmacht an dem Edelmetall beim Anlieferer verbleiben soll. Die Scheideanstalt erbringt in diesem Fall mit der Scheidung der Edelmetalle eine sonstige Leistung (vgl. OFD Karlsruhe v. 19.2.2015, juris). Der Anlieferer hat einen Anspruch auf Herausgabe von Edelmetall hinsichtlich der ihm gutgeschriebenen Menge (Miteigentumsanteil). Überträgt der Unternehmer Anteile seines Gewichtskontos an die Scheideanstalt oder an einen Dritten, erbringt er nach bisheriger Auffassung eine sonstige Leistung, die im Verzicht oder in der Übertragung eines Lieferanspruchs besteht (vgl. BFH v. 25.10.1990, V R 20/85, BStBl II 1991, 193). Nach der nunmehr geänderten Verwaltungsauffassung könnten die Übertragungen von Gewichtsguthaben an Edelmetallen bei Scheideanstalten (ruhende) Lieferungen darstellen. Dies könnte jedenfalls dann gelten, soweit das Gewichtskonto bei Scheideanstalten einen Miteigentumsanteil am Edelmetall repräsentiert. Soweit das Gewichtskonto nur eine Abwicklungsfunktion hat, repräsentiert es nur einen Zahlungsanspruch. Die Abbuchung zugunsten eines Dritten wäre eine reine Forderungsabtretung.

Der umsatzsteuerliche Begriff des „Gegenstandes“ ist nicht mit dem zivilrechtlichen Begriff der „Sache“ als körperlicher Gegenstand gemäß § 90 BGB gleichzusetzen, sondern ist vielmehr anhand der Vorgaben aus Art. 17 Abs. 1 und Art. 15 Abs. 1 MwStSystRL zu bestimmen. Der umsatzsteuerrechtliche Gegenstandsbegriff ist damit einerseits weiter als der zivilrechtliche Begriff der Sache, da er auch nichtkörperliche Wirtschaftsgüter mit umfasst, die wie körperliche Sachen umgesetzt werden. Er ist andererseits aber enger, da Rechte, Dienstleistungen und sonstige unkörperliche verkehrsfähige Objekte umsatzsteuerrechtlich keine (Liefer-) Gegenstände darstellen.

Die Grundsätze der geänderten Verwaltungsauffassung sind in allen offenen Fällen anzuwenden. Bei vor dem Datum der Veröffentlichung des BMF-Schreibens v. 23.05.2019 im BStBl ausgeführten Leistungen wird es von der Verwaltung - auch für Zwecke des Vorsteuerabzugs - nicht beanstandet, wenn zwischen den Beteiligten entsprechend der alten Verwaltungsauffassung übereinstimmend von sonstigen Leistungen ausgegangen wird.

Keine Änderungen hat die umsatzsteuerliche Behandlung von Sicherungsübereignungen und Übertragungen von Anlagegold erfahren. An einem zur Sicherheit übereigneten Gegenstand wird durch die Übertragung des Eigentums noch keine Verfügungsmacht verschafft. Entsprechendes gilt bei der rechtsgeschäftlichen Verpfändung eines Gegenstands (vgl. Abschnitt 3.1 Abs. 2 UStAE). Bei der Sicherungsübereignung erlangt der Sicherungsnehmer zu dem Zeitpunkt, in dem er von seinem Verwertungsrecht Gebrauch macht, auch die Verfügungsmacht über das Sicherungsgut (vgl. Abschnitt 1.2 Abs. 1 UStAE). Als Lieferungen von Anlagegold gelten insbesondere auch die Veräußerung von ideellen Miteigentumsanteilen an einem Goldbarrenbestand oder einem Goldmünzenbestand und die Veräußerung von Gewichtsguthaben an einem Goldbarrenbestand, wenn die Gewichtskonten obligatorische Rechte ausweisen (vgl. Abschnitt 25c.1 Abs. 1 UStAE).

 

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