Vorsteuerabzug, Berichtigung des Vorsteuerabzugs und Verminderung der Verbindlichkeiten auf der Grundlage eines rechtskräftig bestätigten Zwangsvergleichs

Anmerkung zu: EuGH, Urt. v. 22.02.2018, C-396/16 (T 2, družba za ustvarjanje, razvoj in trženje elektronskih komunikacij in opreme, d.o.o)

Sachverhalt

Bei dem slowenischen Vorabentscheidungsersuchen ging es um die Berichtigung des Vorsteuerabzugs aufgrund eines rechtskräftigen Zwangsvergleichs. Das vorlegende Gericht wollte im Wesentlichen wissen, ob die Verminderung der Verbindlichkeiten auf der Grundlage eines rechtskräftig bestätigten Zwangsvergleichs wie im Streitfall als eine Änderung der Faktoren i. S. v. Art. 185 Abs. 1 MwStSystRL, die bei der Bestimmung des Vorsteuerabzugsbetrags berücksichtigt werden, anzusehen ist, oder als eine andere Situation, in der der Vorsteuerabzug höher oder niedriger ist als der, zu dessen Vornahme der Steuerpflichtige i. S. v. Art. 184 MwStSystRL berechtigt war.

Streitig war auch, ob die Verminderung der Verbindlichkeiten eines Unternehmers auf der Grundlage eines rechtskräftig bestätigten Zwangsvergleichs wie ein Umsatz zu werten ist, bei dem i. S. v. Art. 185 Abs. 2 Unterabs. 1 MwStSystRL keine (oder eine nicht vollständige) Zahlung geleistet wurde. Das Vorlagegericht fragte in diesem Zusammenhang, ob das nationale Recht für Zwecke der Verpflichtung zur Berichtigung des Vorsteuerabzugs bei Umsätzen, bei denen keine oder eine nicht vollständige Zahlung geleistet wurde, ausdrücklich die Fälle des Unterbleibens der Zahlung regeln muss bzw. einen rechtskräftig bestätigten Zwangsvergleich (sofern dieser unter den Begriff des Unterbleibens der Zahlung bei einem Umsatz fällt) darin einbeziehen muss.

Im Streitfall war ein gerichtlicher Zwangsvergleich geschlossen worden, aufgrund dessen der Kläger im Ergebnis nur die Hälfte seiner Verbindlichkeiten gegenüber anderen Unternehmern begleichen musste. Die Finanzbehörde erließ daraufhin eine geänderte Steuerfestsetzung mit einem entsprechend reduzierten Anspruch des Klägers auf Vorsteuerabzug. Der Kläger meinte, die Bestätigung des Zwangsvergleichs bedeute keine Änderung der bei der Bestimmung des Vorsteuerabzugsbetrags berücksichtigten Faktoren, sondern dass es sich um einen besonderen Fall des Unterbleibens der Zahlung bei einem Umsatz handele, hinsichtlich dessen das slowenische Umsatzsteuerrecht keine Regelung treffe und daher auch keine Pflicht zur Berichtigung des Vorsteuerabzugs in derart gelagerten Fällen vorschreibe.

Entscheidung

Der EuGH hat mit Bezugnahme auf seine frühere Rechtsprechung entschieden, dass sich aus der Gesamtbetrachtung der Art. 184 und 185 Abs. 1 MwStSystRL ergibt, dass in dem Fall, in dem sich aufgrund der Änderung eines der ursprünglich bei der Berechnung des Vorsteuerabzugs berücksichtigten Faktoren eine Berichtigung als notwendig erweist, die Berechnung der Höhe dieser Berichtigung dazu führen muss, dass der Betrag des endgültig vorgenommenen Vorsteuerabzugs demjenigen entspricht, zu dessen Vornahme der Unternehmer berechtigt gewesen wäre, wenn diese Änderung ursprünglich berücksichtigt worden wäre.

Ein solcher Fall, der zwingend zu einer Vorsteuerberichtigung führen muss, liegt nach dem Urteil vor, wenn durch die rechtskräftige Bestätigung eines Zwangsvergleichs die Verbindlichkeiten des Vorsteuerabzugsberechtigten herabgemindert werden. Auch stellt nach dem Urteil ein solcher Zwangsvergleich keinen Umsatz i. S. v. Art. 185 Abs. 2 Unterabs. MwStSystRL dar, bei dem keine oder eine nicht vollständige Zahlung geleistet wurde.

Die Auslegung des Begriffs „Nichtbezahlung“ i. S. v. Art. 90 MwStSystRL (für die Seite der Berichtigung der Ausgangssteuer) gilt auch für den Begriff des Umsatzes, bei dem keine oder eine nicht vollständige Zahlung geleistet wurde, i. S. v. Art. 185 Abs. 2 MwStSystRL.

Schließlich hat der EuGH noch entschieden, dass nach Art. 185 Abs. 2 Unterabs. 2 MwStSystRL ein Mitgliedstaat bei der Ausübung der in dieser Bestimmung vorgesehenen Befugnis keine ausdrückliche Verpflichtung zur Berichtigung der Vorsteuerabzüge bei Umsätzen vorsehen muss, bei denen keine oder eine nicht vollständige Zahlung geleistet wurde.

Praxishinweis

Das EuGH-Urteil hat für das deutsche Umsatzsteuerrecht kaum Bedeutung. Zwar regelt Art. 185 Abs. 2 Unterabs. 1 MwStSystRL, dass abweichend von dem Grundsatz der Vorsteuerberichtigung in Art. 185 Abs. 1 MwStSystRL die Berichtigung in Fällen einer Nichtzahlung der Gegenleistung oder einer nicht vollständigen Zahlung unterbleibt. Deutschland macht aber von Art. 185 Abs.2 Unterabs. 2 MwStSystRL Gebrauch, wonach die Mitgliedstaaten jedoch auch bei Nichtzahlung oder nur unvollständiger Zahlung der Gegenleistung eine Vorsteuerberichtigung verlangen können. Nach § 17 Abs. 1 UStG besteht die Pflicht zur Berichtigung der Steuer und des Vorsteuerabzugs auch dann, wenn das Entgelt für eine steuerpflichtige Lieferung oder sonstige Leistung uneinbringlich geworden ist (§ 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG). Uneinbringlichkeit i. S. d. § 17 Abs. 2 UStG liegt insbesondere vor, wenn der Schuldner zahlungsunfähig ist, wenn den Forderungen die Einrede des Einforderungsverzichts entgegengehalten werden kann  oder wenn der Anspruch auf Entrichtung des Entgelts nicht erfüllt wird und bei objektiver Betrachtung damit zu rechnen ist, dass der Leistende die Entgeltforderung ganz oder teilweise jedenfalls auf absehbare Zeit rechtlich oder tatsächlich nicht durchsetzen kann (vgl. Abschn. 17.1 Abs. 5 UStAE).

Der EuGH hat im Übrigen seine bisherige Rechtsprechung zu Art. 185 MwStSystRL vollständig bestätigt. Es bleibt nach Art. 185 Abs. 2 Unterabs. 1 MwStSystRL den Mitgliedstaaten überlassen, zu bestimmen, ob der Fall der teilweisen Nichtbezahlung des Kaufpreises, die als solche im Gegensatz zur Auflösung oder Annullierung des Vertrags die Parteien nicht in ihre Ausgangslage zurückversetzt, die Pflicht auf entsprechende Verminderung des Vorsteuerabzugs unter den von ihm festgelegten Bedingungen eröffnet oder ob eine solche Verminderung in diesem Fall nicht erforderlich ist. Diese strikt auf den Fall der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung beschränkte Abweichungsbefugnis beruht jedoch auf der Erwägung, dass es unter bestimmten Umständen und aufgrund der Rechtslage in dem betreffenden Mitgliedstaat schwierig sein kann, nachzuprüfen, ob die Gegenleistung endgültig oder nur vorläufig nicht erbracht worden ist.

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