Grundlagenbescheid einer ressortfremden Behörde durchbricht nicht die steuerliche Festsetzungsfrist

BFH, Urt. v. 21.2.2013, V R 27/11

Praxisproblem

Gem. § 169 Abs. 1 AO sind Änderungen bereits erfolgter Steuerfestsetzungen nur innerhalb der Festsetzungsfrist zulässig. Die Festsetzungsfrist beträgt im Bereich der Umsatzsteuer grundsätzlich vier Jahre und beginnt im Grundsatz gem. § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO mit Ablauf des Jahres, in dem die Steueranmeldung eingereicht wurde.

Die Steuerbefreiung für sog. Bildungsleistungen verlangt in § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. b UStG eine Bescheinigung der zuständigen Kultusbehörde. Bei dieser Bescheinigung handelt es sich um einen sog. Grundlagenbescheid (BFH, Urt. v. 20.8.2009, V R 25/08; Abschn. 4.21.5 Abs. 2 Satz 4 UStAE).


Die Bindungswirkung des Grundlagenbescheides (§ 175 Abs. 1 Satz 1 AO) bewirkt eine sog. Ablaufhemmung der Festsetzungsfrist gem. § 171 Abs. 10 AO, also der Frist, innerhalb derer der zugrundeliegende Steuerbescheid geändert werden kann. Die Festsetzungsfrist endet nicht vor Ablauf von zwei Jahren nach Bekanntgabe des Grundlagenbescheides. Damit wären Umsatzsteuerbescheide außerhalb der steuerlichen Festsetzungsfrist ggfls. noch änderbar.

Da es sich bei dem Grundlagenbescheid allerdings um einen Grundlagenbescheid einer "ressortfremden" Behörde handelt, könnten damit die Verwaltungsakte einer ressortfremden Behörden regelmäßig ohne Rücksicht auf irgendwelche Festsetzungsfristen in die steuerrechtliche Beurteilung eines Sachverhalts eingreifen. Im Streit war bislang, ob eine Gesetzeslücke vorliegt, die durch eine teleologische Reduktion einschränkend interpretiert werden muss, wie die Finanzbehörden zunehmend argumentieren. Damit könnte die steuerliche Festsetzungsfrist durch § 171 Abs. 10 AO nicht gehemmt werden. In der Literatur wird dagegen überwiegend eine solche teleologische Reduktion abgelehnt und im Rahmen einer gesetzlich klarstellenden Einschränkung für möglich gehalten. Da der Gesetzgeber bewusst auf die Einschränkung verzichtet habe, sei eine solche unzulässig (vgl. Cöster in Pahlke/Koenig, AO, 2. Aufl. 2009, § 171 Rn. 151; Rüsken in Klein, AO, 11. Aufl. 2012, § 172 Rn. 171). Genau diese Fallgestaltung hat der BFH jetzt iSd der Verwaltungsauffassung – keine Ablaufhemmung durch einen Grundlagenbescheid einer ressortfremden Behörde – entschieden.

Sachverhalt

Die Klägerin betrieb eine Ballettschule und unterwarf zunächst ihre Umsätze in den Streitjahren 1972 bis 1992 dem Regelsteuersatz. Auf ihren Antrag hin wurde ihr am 24.1.2008 durch das Ministerium für Wissenschaft und Kultur bescheinigt, dass die Theater- und Schulaufführungen ihrer Ballettschule ab 1.1.1973 die gleichen kulturellen Aufgaben erfüllen wie die in § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG genannten öffentlich-rechtlichen Einrichtungen. Am 30.9.2004 wurde ihr durch die zuständige Bezirksregierung bescheinigt, dass die Ballettkurse im Zeitraum 1971 bis 1995 ordnungsgemäß auf verschiedene Berufe iSd § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. b UStG vorbereiten. Aufgrund dieser beiden Bescheinigungen der zuständigen Behörden gem. § 4 Nr. 20 Buchst. a und § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. b UStG beantragte die Klägerin die Änderung der Umsatzsteuerbescheide 1972 bis 1992.

Entscheidung

Der BFH geht zunächst davon aus, dass es sich bei den erteilten Bescheinigungen der ressortfremden Behörden – Bezirksregierung und Ministerium für Wissenschaft und Kultur – um einen Grundlagenbescheid iSd § 171 Abs. 10 AO handelt. Dieser Grundlagenbescheid kann zum Erlass eines korrigierten Bescheides gem. § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO berechtigen. Der BFH verneint jedoch gegen den ausdrücklichen Wortlaut des § 171 Abs. 10 AO eine rückwirkende Berichtigung ohne zeitliche Begrenzung und nach Ablauf der steuerlichen Festsetzungsfrist. Seiner Auffassung nach ist bei Grundlagenbescheiden ressortfremder Behörden § 171 Abs. 10 AO lückenhaft und deshalb aufgrund einer teleologischen Reduktion einschränkend auszulegen. Die von § 171 Abs. 10 AO angeordnete Ablaufhemmung setze – wie in den Fällen der Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 3, 4 – 6, 9 und 13 AO – voraus, dass der Grundlagenbescheid noch vor Ablauf der Festsetzungsfrist für die Steuer, für die der Grundlagenbescheid bindend ist, bekanntgegeben wird. Aufgrund dessen hat er in der Sache eine Berichtigung wegen Eintretens der Festsetzungsverjährung abgelehnt. Die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 10 AO griff nicht ein.

Praxishinweis

Bemerkenswert an der Entscheidung des BFH ist, dass die gesetzgeberische Ergänzung zum 1.1.2011 in § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG um einen neuen Satz 3 - § 181 Abs. 1 und Abs. 5 AO sind für die Bescheinigung iSd § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG entsprechend anwendbar – nicht zum Anlass genommen wurde, eine Regelungslücke gerade nicht anzunehmen. Hätte eine solche vorgelegen, hätte eigentlich der Gesetzgeber auch in § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. b UStG eine entsprechende Einschränkung vornehmen müssen. Da er dies nicht getan hat, scheint zumindest nicht ausgeschlossen, dass er eben keine Gesetzeslücke, sondern eine bewusste gesetzgeberische Rechtsfolge geschaffen sehen wollte. Der BFH hat dies allerdings unter Hinweis auf die durch § 169 ff. AO vorgegebenen Grundsätze der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens anders gesehen.