Kein Vorsteuerabzug aus nicht vollständiger Rechnung

EuGH, Urt. v. 08.05.2013 – Rs. C-271/12 – Petroma Transports SA, u.a.

Praxisproblem

Nach wie vor ungelöst ist die Frage, ob eine fehlerhafte Rechnung zu einem späteren Zeitpunkt dergestalt berichtigt werden kann, dass die Wirkungen der Berichtigung zurückwirken können auf den Zeitpunkt des ursprünglich geltend gemachten Vorsteuerabzugs. Die Frage ist in Deutschland vor allem wegen der AO-rechtlichen Regelung in § 233a AO von Interesse. Bislang geht die h.M. in Deutschland davon aus, dass eine fehlerhafte Rechnung zwar berichtigt werden kann. Die Wirkungen der Rechnungsberichtigung sollen aber nicht ex tunc sondern nur ex nunc eintreten können. Dadurch wird die Verzinsungspflicht gem. § 233a AO für den Zeitraum ausgelöst, in dem ohne ordnungsgemäße Rechnung der Steuerpflichtige dennoch bereits die Vorsteuer abgezogen hat.

Die Entscheidung des EuGH in Sachen Pannon Géb (EuGH, Urt. v. 15.7.2010 – Rs. C-368/09 – Pannon Géb) lässt es für den BFH (Beschl. v. 20.7.2012, V B 81/11) zumindest möglich erscheinen, dass bei Vorliegen der materiell-rechtlichen Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug eine spätere Berichtigung der Rechnung auf den Zeitpunkt der erstmaligen Rechnungserteilung zurückwirken könne. Notwendige Voraussetzung hierfür sei aber eine Abgrenzung der Rechnungsberichtigung von den Fällen einer erstmaligen Rechnungserteilung. Nur wenn eine Rechnung iSd § 14c UStG mit den Angaben zum Rechnungsaussteller, zum Leistungsempfänger, zur Leistungsbeschreibung, zum Entgelt und mit gesondert ausgewiesener Umsatzsteuer  - wenn auch fehlerhaft – vorhanden sei, könne eine Mängelbeseitigung auf den Zeitpunkt der erstmaligen Rechnungserteilung erfolgen. Müsse die Rechnungsberichtigung von einer erstmaligen Rechnungserstellung abgegrenzt werden, sei auch der vielfach befürchtete Wertungswiderspruch in Gestalt eines Vorsteuerabzugs mit Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Leistungserbringung unbegründet. Die Möglichkeit einer Rechnungsberichtigung mit Rückwirkung auf den Zeitpunkt der erstmaligen Rechnungserteilung sei auch mit dem Wortlaut des § 31 Abs. 5 UStDV vereinbar.

Unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Rechtssache Pannon Géb hat der EuGH nunmehr klargestellt, dass:

  • eine fehlerhafte Rechnung berichtigt werden kann,
  • diese fehlerhafte Rechnung nach Berichtigung zum Vorsteuerabzug – wohl von Beginn an – berechtigt,
  • die berichtigte Rechnung  aber der Steuerbehörde vor ihrer Entscheidung über den Vorsteuerabzug zugeleitet werden muss.

Sachverhalt

Die Klägerinnen bilden zusammen die sog. Martens-Gruppe, deren Gesellschaften verschiedene Tätigkeiten, wie z.B. den Kauf, Verkauf und Transport von Erdölprodukten sowie die Erbringung von Bauleistungen in Belgien ausübten. Eine der Klägerinnen, die Petroma Transports SA als Hauptgesellschafterin der Martens-Gruppe, erbrachte mehrere entgeltliche Dienstleistungen an die anderen Gesellschaften der Gruppe. Obwohl aus dieser Tätigkeit Umsatzsteuer geschuldet und abgeführt wurde, versagte die belgische Finanzverwaltung den Vorsteuerabzug aus den Rechnungen. Ihrer Auffassung nach waren die fraglichen Rechnungen nicht ausreichend präzise und vollständig, da die meisten dieser Rechnungen nicht den Preis je Einheit und die Anzahl der vom Personal der Dienstleistungsunternehmen erbrachten Arbeitsstunden angegeben hätten. Im Streit ist die Frage, ob die zwar lückenhaften Rechnungen durch die Vorlage von Informationen zum Beweis des tatsächlichen Vorliegens, der Natur und des Betrags der berechneten Umsätze vervollständigt werden und damit den Vorsteuerabzug gewähren konnten. Des Weiteren ist die Frage im Streit, ob der Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer jedenfalls dann die Rückzahlung der gezahlten Umsatzsteuer verlangt, wenn der Vorsteuerabzug wegen nicht ordnungsgemäßer Rechnung versagt wird.

Entscheidung

Der EuGH stellt zunächst fest, dass die in Rede stehenden Rechnungen nicht vollständig waren. Die Frage allerdings, ob das Fehlen bestimmter, von der nationalen belgischen Regelung verlangter Angaben auf den Rechnungen geeignet sei, das Vorsteuerabzugsrecht in Frage zu stellen, wenn das tatsächliche Vorliegen, die Natur und der Umfang der Umsätze später der Steuerverwaltung dargelegt worden seien, beantwortet der EuGH in Randnummer 34 wie folgt:

 „In der Tat verbietet das gemeinsame Mehrwertsteuersystem nicht, fehlerhafte Rechnungen zu berichtigen. Wenn alle für das Recht auf Vorsteuerabzug notwendigen materiell-rechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind und der Steuerpflichtige der betreffenden Behörde vor Erlass ihrer Entscheidung eine berichtigte Rechnung zugeleitet hat, kann ihm dieses Recht daher grundsätzlich nicht mit der Begründung abgesprochen werden, dass die ursprüngliche Rechnung einen Fehler enthielt (vgl. in diesem Sinne Urteil Pannon Géb Centrum, Randnrn. 43 bis 45).“

Da im vorliegenden Fall die Rechnungsberichtigung nach der ablehnenden Entscheidung über den Vorsteuerabzug erfolgt war, durfte die belgische Finanzverwaltung den Vorsteuerabzug versagen.

Ebenso eindeutig beantwortete der EuGH die Frage nach der Rückerstattung der gezahlten Umsatzsteuer trotz Nichtgewährung des Vorsteuerabzugs. Der Grundsatz der Neutralität verlange nicht ein notwendiges Zusammenwirken von zu zahlender Umsatzsteuer und zu erstattender Vorsteuer. Jede andere Auslegung wäre geeignet, Situationen zu begünstigen, die die genaue Erhebung der Mehrwertsteuer verhindern können.

Praxishinweis

Die Feststellungen des EuGH bestätigen zunächst, dass eine Rechnungsberichtigung für Vorsteuerabzugszwecke möglich ist. Berichtigt werden kann entweder durch Ergänzung der ursprünglichen Angaben oder durch Stornierung der alten und Erstellung einer neuen Rechnung, die dann die erforderlichen Rechnungsangaben vollständig enthält. Unstreitig sollte sein – und insoweit hat weder die Entscheidung in der Rechtssache Pannon Géb noch in der Rechtssache Petroma Transports Gegenteiliges ausgesagt -, dass spätestens ab dem Zeitpunkt der Berichtigung der Vorsteuerabzug möglich ist. Ob und unter welchen Voraussetzungen allerdings eine Rückwirkung infolge einer Rechnungsberichtigung zulässig ist, scheint der EuGH nunmehr – auch wegen der ausdrücklichen Bezugnahme auf die Entscheidung Pannon Géb – zugunsten einer Rückwirkung entschieden zu haben, allerdings nur unter zwei Bedingungen:

  • zum einen muss bereits eine Rechnung vorliegen mit den Grundangaben Preis ohne Steuer, den auf die einzelnen Steuersätze entfallenden Steuerbetrag und ggfls. einem Hinweis auf eine Steuerbefreiung ausgestattet ist;
  • zum anderen muss die Berichtigung vor einer Entscheidung der zuständigen Finanzbehörde erfolgt und der Finanzbehörde zugeleitet worden sein.

Vor allem die letzte Bedingung wird den Anwendungsbereich einer „ex-tunc-Berichtigung“ weitgehend einschränken. Eine schrankenlose ex-tunc-Wirkung, wie zuletzt vom BFH wohl angedacht, scheint aber ausgeschlossen.