Lieferungen anlässlich Betriebsaufgabe

EuGH, Urt. v. 08.05.2013- Rs. C-142/12 – Hristomir Marinov

Praxisproblem

Das Unionsrecht räumt den Mitgliedstaaten das Recht ein, im Falle der Aufgabe der wirtschaftlichen Tätigkeit bereits den bloßen Besitz von Gegenständen einer Lieferung gegen Entgelt gleichzustellen, Art. 18 Buchst. c MwStSystRL. Diese fiktive Lieferung ist gem. Art. 74 MwStSystRL mit dem Einkaufspreis für diesen oder einen gleichartigen Gegenstand oder mangels eines Einkaufspreises mit dem Selbstkostenpreis zum Zeitpunkt der Bewirkung des Umsatzes anzusetzen. Von diesem Sonderrecht hat Deutschland keinen Gebrauch gemacht. Nach deutschem Rechtsverständnis löst erst eine weitere Handlung des Steuerpflichtigen ein umsatzsteuerlich relevantes Verhalten aus: nimmt er die bisherigen Gegenstände und nutzt sie außerunternehmerisch, liegt eine steuerbare unentgeltliche Wertabgabe vor, nutzt er sie weiterhin – wenn auch andersartig – unternehmerisch, kann hierdurch der Tatbestand einer steuerbaren Einlage ausgelöst werden. Lässt er sie ungenutzt, scheidet ein umsatzsteuerlich relevantes Verhalten aus. Der durch den EuGH entschiedene Fall betraf bulgarisches Recht, das von der Sonderregelung in Art. 18 Buchst. c MwStSystRL Gebrauch gemacht hat.

Sachverhalt

Die Klägerin, die Fa. Marinov, wurde 2009 wegen Nichterfüllung ihrer Pflichten nachdem bulgarischen Umsatzsteuergesetz (ZDDS) – Nichtentrichtung der Mehrwertsteuer – aus dem bulgarischen Mehrwertsteuerregister gestrichen. Zum Zeitpunkt der Streichung aus dem Register verfügte die Klägerin über für ihr Unternehmen geleaste sowie anderweitig angeschaffte Fahrzeuge, für die sie allesamt den Vorsteuerabzug geltend gemacht hatte. Wegen der Streichung aus dem Mehrwertsteuerregister besteuerte die bulgarische Steuerverwaltung den Besitz dieser Gegenstände mit dem sog. Normalwert auf der Basis des Anschaffungswertes ohne Berücksichtigung der Wertentwicklung. Das vorlegende Gericht wollte vom EuGH wissen, ob die Betriebsaufgabe infolge Löschens aus dem Mehrwertsteuerregister unter den Anwendungsbereich des Art. 18 Buchst. c MwStSystRL fällt und ob die Wertermittlung den Vorgaben des Art. 74 MwStSystRL entspricht.

Entscheidung

Der EuGH stellt zunächst fest, dass Art. 18 Buchst. c MwStSystRL jeden Fall der Aufgabe der steuerbaren wirtschaftlichen Tätigkeit erfasse, ohne Unterscheidung nach den Ursachen oder den Umständen der Aufgabe.  Auch vom Ziel her sei dies gedeckt, da es alleine darum gehe zu verhindern, dass zum Vorsteuerabzug berechtigende Gegenstände, nach Aufgabe der steuerbaren Tätigkeit – aus welchen Gründen oder unter welchen Umständen auch immer – einem unversteuerten Endverbrauch zugeführt werden.

Die Bemessungsgrundlage sei in diesen Fällen alleine anhand der Vorgaben des Art. 74 MwStSystRL und nicht des Art. 80 MwStSystRL zu ermitteln. Danach sei stets auf den Einkaufspreis oder die Selbstkosten im Zeitpunkt des Umsatzes abzustellen. Ob der nach bulgarischem Recht anzusetzende „Normalpreis“ diesen Vorgaben entspreche, müsse das vorlegende Gericht selbst entscheiden. Jedenfalls entfalte die Regelung in Art. 74 MwStSystRL unmittelbare Wirkung, so dass ein direktes Berufungsrecht auf diese unionsrechtliche Bestimmung möglich sei.

Praxishinweis

Auch wenn in Deutschland eine dem Art. 18 Buchst. c MwStSystRL vergleichbare Regelung fehlt, hat der BFH (Urt. v. 13.1.2010, V R 24/07) in einer Entscheidung zur Veräußerung geerbter unternehmerisch genutzter Gegenstände durch den Erben eine dem Art. 18 Buchst. c MwStSystRL vergleichbare Rechtsfolge bejaht. Er hat – allerdings unter Berufung auf § 45 AO – die dem Unternehmen des Erblassers zugeordneten und mit Vorsteuerabzug erworben Gegenstände, auch über den Tod des Erblassers hinaus, als „Unternehmensvermögen“ behandelt, das der Erbe steuerbar veräußere. Der Erbe tritt in die noch nicht abgewickelten Rechtsverhältnisse seines Rechtsvorgängers ein. Nichts anderes muss aber auch dann gelten, wenn der Erbe die vom Erblasser angeschafften oder hergestellten und dem Unternehmen zugeordneten Gegenstände nicht an einen Dritten veräußert, sondern außerunternehmerisch verwendet.