EuGH zur wirtschaftlichen Tätigkeit einer Gemeinde

Anmerkung zu EuGH, Beschl. v. 20.03.2014, C-72/13, Gmina Wroclaw

Praxisproblem

Wenn eine Einrichtung des öffentlichen Rechts Vermögensgegenstände wie z.B. Immobilien veräußert, stellt sich regelmäßig die Frage, ob die Einrichtung sich insoweit unternehmerisch betätigt oder ob auch dies die Ausübung einer Tätigkeit im Rahmen der öffentlichen Gewalt darstellt, die nach Art. 13 Abs. 1 MwStSystRL nicht zur Unternehmereigenschaft führt.

Sachverhalt

Die klagende Gemeinde, eine selbstverwaltende Gebietskörperschaft, die zur Bestellung von bestimmten öffentlichen Aufgaben bestellt ist, ist in Polen als Mehrwertsteuerpflichtige registriert. Die Gemeinde ist Eigentümerin von Vermögensgegenständen, darunter Immobilien, die sie unentgeltlich aus früherem Volkseigentum, Schenkungen oder von Todes wegen als gesetzlicher Erbe erhalten hat. Die Gemeinde beabsichtigte, sich eines Teil dieser Vermögensgegenstände, die sie niemals bei irgendeiner Tätigkeit genutzt hat, im Wege des Verkaufs und der Einbringung als Sacheinlage in eine Handelsgesellschaft zu entledigen. Der Verkauf sollte einen einmaligen und endgültigen Charakter haben und hinsichtlich der Handelsgesellschaft wollte sich die Gemeinde auf die gewöhnliche Eigentümertätigkeit beschränken.

Im Rahmen eines Antrags auf verbindliche Auskunft vertraten die polnischen Behörden die Auffassung, dass die geplante Veräußerung von Vermögensgegenständen der Steuerpflicht nach allgemeinen Grundsätzen unterliege, da die Gemeinde als Mehrwertsteuerpflichtige registriert sei und die Veräußerung im Rahmen von privatrechtlichen Verträgen erfolge. Die Gemeinde vertrat dagegen die Auffassung, dass die Veräußerungen nicht der Besteuerung unterlägen, da sie nicht im Rahmen einer wirtschaftlichen Tätigkeit erfolgten.

Das vorlegende Gericht hatte Zweifel, ob die beschriebenen Veräußerungen im Rahmen einer wirtschaftlichen Tätigkeit der Gemeinde erbracht werden und falls ja, ob sie gem. Art. 13 MwStSystRL (insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Wettbewerbsrelevanz) von der Besteuerung ausgenommen sind, da die Verwaltung des kommunalen Vermögens zu den Selbstverwaltungsaufgaben der Gemeinde gehört.

Vor diesem Hintergrund fragte das vorlegende Gericht, ob die Vorschriften der MwStSystRL der Erhebung der Mehrwertsteuer auf Umsätze einer Gemeinde entgegenstehen, die im Verkauf von Vermögensgegenständen (einschließlich Immobilien) bestehen, die kraft Gesetzes oder unentgeltlich erworben wurden, insbesondere im Wege des Erwerbs von Todes wegen oder der Schenkung , oder in der Einbringung dieser Gegenstände als Sacheinlage in Handelsgesellschaften.

Entscheidung

Der EuGH hat das Vorabentscheidungsersuchen durch mit Gründen versehenen Beschluss (Art. 99 der Verfahrensordnung des EuGH) entschieden, der nicht in alle Amtssprachen übersetzt wird. Der Beschluss liegt nicht in deutscher, sondern in französischer Sprache  vor. Die Möglichkeit, durch Beschluss zu entscheiden, ist gegeben, wenn die Antworten auf die Vorlagefragen klar aus der bisherigen Rechtsprechung des EuGH abgeleitet werden können bzw. die Beantwortung der Fragen keinen Raum für vernünftige Zweifel lassen.

Zu den vorgelegten Rechtsfragen verweist der EuGH auf seine bisherige Rechtsprechung und die allgemeinen Abgrenzungskriterien zum Begriff der „wirtschaftlichen Tätigkeit“ i.S.d. Art. 9 MwStSystRL und zur Nichtbesteuerung von Einrichtungen des öffentlichen Rechts nach Art. 13 MwStSystRL. Hinsichtlich der Beurteilung des konkreten Vorlagefalls verweist er auf die Zuständigkeit des vorlegenden Gerichts.

Die MwStSystRL steht nach dem Beschluss einer Besteuerung von Tätigkeiten wie denen der klagenden Gemeinde nicht entgegen, vorausgesetzt, dass das vorlegende Gericht feststellt, dass die Tätigkeiten eine wirtschaftliche Tätigkeit i.S.d. Art. 9 Abs. 1 MwStSystRL darstellen und dass die Tätigkeiten von der Gemeinde nicht im Rahmen der öffentlichen Gewalt i.S.d. Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 1 MwStSystRL ausgeführt werden.

Für den Fall, dass die Tätigkeiten dahingehend zu beurteilen sind, dass sie von der Gemeinde im Rahmen der öffentlichen Gewalt ausgeübt werden, stehen die Bestimmungen der MwStSystRL einer Besteuerung nicht entgegen, vorausgesetzt, das vorlegende Gericht stellt fest, dass die Nichtbesteuerung zu größeren Wettbewerbsverzerrungen i.S.d. Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL führen würde.

Zur Auslegung von Art. 13 MwStSystRL verweist der EuGH in seiner Begründung zunächst auf das Urteil v. 16.09.2008, C-288/07, Isle of Wight, wonach die Bestimmung als Abweichung von der allgemeinen Regel der Besteuerung jeder Tätigkeit wirtschaftlicher Art eng auszulegen ist. Weiter verweist der EuGH auf das Urteil v. 14.12.2000, C-446/98, Fazenda Pública, wonach für die Nichtbesteuerung zwei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sein müssen, nämlich die Ausübung von Tätigkeiten durch eine öffentliche Einrichtung und die Vornahme dieser Tätigkeiten im Rahmen der öffentlichen Gewalt. In Bezug auf die letztgenannte Voraussetzung lasse sich der Umfang der Nichtbesteuerung der öffentlichen Einrichtungen aufgrund der Modalitäten der Ausübung der jeweiligen Tätigkeiten bestimmen. Bei den Tätigkeiten im Rahmen der öffentlichen Gewalt i.S.v. Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 1 MwStSystRL handelt es sich um solche, die Einrichtungen des öffentlichen Rechts im Rahmen einer öffentlich-rechtlichen Sonderregelung ausüben. Nicht dazu gehörten Tätigkeiten, die sie unter den gleichen rechtlichen Bedingungen ausüben wie private Wirtschaftsteilnehmer.

Nach Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL sind öffentliche Einrichtungen jedoch auch bei Ausübung wirtschaftlicher Tätigkeiten im Rahmen der öffentlichen Gewalt als Unternehmer anzusehen, sofern eine Behandlung als Nichtunternehmer zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde (EuGH, Urt. v. 16.09.2008, C-288/07, Isle of Wight). Zum Begriff der „größeren Wettbewerbsverzerrungen“ hat der EuGH dort bereits festgestellt, dass damit der Anwendungsbereich der Nicht-Besteuerung eingeschränkt und restriktiv ausgelegt werden soll in dem Sinne, dass die Behandlung öffentlicher Einrichtungen als Nichtsteuerpflichtige nur zugelassen werden kann, wenn dies lediglich zu unbedeutenden Wettbewerbsverzerrungen führen würde.

Bei der Beurteilung der Tätigkeiten der klagenden Gemeinde im vorliegenden Fall habe das vorlegende Gericht die Modalitäten ihrer Ausübung und die sich daraus ggf. ergebenden Wettbewerbsverzerrungen zu berücksichtigen. Bei der Beurteilung nicht zu berücksichtigen sei dagegen, wie die Vermögensgegenstände in das Eigentum der Gemeinde gelangt sind.

Praxishinweis

Neue Erkenntnisse zur Auslegung von Art. 9 und 13 MwStSystRL sind dem Beschluss nicht zu entnehmen. Ob es sich bei dem Verkauf von Vermögensgegenständen durch eine Gemeinde um eine wirtschaftliche Tätigkeit i.S.d. Art. 9 MwStSystRL handelt, bestimmt sich nach den allgemeinen Grundsätzen zum Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeit und ist in erster Linie eine Frage der Beweiswürdigung, die dem nationalen Gericht obliegt. Damit dürfte der einmalige Verkauf von Vermögensgegenständen grundsätzlich keine wirtschaftliche Tätigkeit darstellen, da es insoweit regelmäßig am Merkmal der Nachhaltigkeit fehlen dürfte.

Ob es sich bei der Tätigkeit einer Einrichtung des öffentlichen Rechts um eine hoheitliche Tätigkeit gem. Art. 13 MwStSystRL handelt, und ob diese zu größeren Wettbewerbsverzerrungen i.S.d. Vorschrift führt, ist ebenfalls eine Frage der Beweiswürdigung, die dem nationalen Gericht obliegt. Nach der EuGH-Rechtsprechung zu Art. 13 MwStSystRL (bzw. Art. 4 Abs. 5 der 6. EG-Richtlinie) haben die Mitgliedstaaten einen Ermessensspielraum zur Festlegung der Abgrenzungskriterien (vgl. EuGH, Urt. v. 14.12.2000, C-446/98, Fazenda Pública).

Soweit eine wirtschaftliche Tätigkeit zu bejahen ist, dürfte es sich bei dem Verkauf von Vermögensgegenständen bzw. der Einbringung in eine Handelsgesellschaft durch eine Gemeinde auf Grundlage privatrechtlicher Verträge jedoch grundsätzlich nicht um eine hoheitliche Tätigkeit handeln und Art. 13 MwStSystRL somit nicht einschlägig sein.

Das deutsche Umsatzsteuerrecht sieht in § 2 Abs. 3 UStG vor, dass juristische Personen des öffentlichen Rechts nur im Rahmen ihrer Betriebe gewerblicher Art i.S.d. KStG und ihrer land- und forstwirtschaftlichen Betriebe der Steuerpflicht unterliegen. Die Umsatzbesteuerung der Leistungen der öffentlichen Hand nach derzeitigem nationalem Recht entspricht nicht vollständig den unionsrechtlichen Vorgaben. Wegen der Bindung an die Regelungen des Körperschaftsteuerrechts werden derzeit sämtliche vermögensverwaltenden Tätigkeiten nicht besteuert. Nach Art. 13 Abs. 2 MwStSystRL haben die Mitgliedstaaten zwar die Möglichkeit, bestimmte steuerfreie Tätigkeiten (z.B. Vermietung und Verpachtung von Grundstücken) als hoheitlich zu behandeln und damit nicht zu besteuern. Nach dem EuGH, Urt. v. 04.06.2009, C-102/08, Salix bedarf es hierfür jedoch einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung, welche das deutsche Umsatzsteuerrecht nach der Feststellung des BFH im Folgeurteil v. 20.08.2009, V R 70/05 nicht enthält.