FG Köln zur Nachweiserbringung im Rahmen eines innergemeinschaftlichen Verbringens gem. § 3 Abs. 1a UStG

Anmerkung zu: FG Köln, Urt. v. 18.03.2015 4 K 3157/11; steht fest, dass ein innergemeinschaftliches Verbringen gem. § 3 Abs. 1a UStG vorliegt, bedarf es keines weiteren Nachweises der materiellen Voraussetzungen für die Steuerfreiheit dieses Umsatzes entsprechend § 6a Abs. 1 UStG.

Praxisproblem

Überführt ein Unternehmer Waren in sein im Ausland belegenes Lager und gibt es zum Zeitpunkt der Überführung noch keinen Abnehmer der Ware, so begründet die Überführung ein sog. innergemeinschaftliches Verbringen nach § 3 Abs. 1a UStG. Das innergemeinschaftliche Verbringen stellt einen fiktiven Umsatz dar, der ohne Leistungsempfänger und Entgelt umsatzsteuerbar ist. Für das innergemeinschaftliche Verbringen gilt indes auch die Steuerbefreiung nach § 6a UStG – wie für innergemeinschaftliche Lieferungen. Das FG Köln hat nun dazu Stellung genommen, unter welchen Voraussetzungen die zur Erlangung der Steuerbefreiung erforderlichen Nachweise erbracht sind und unter welchen Voraussetzungen die Steuerbefreiung – bei fehlendem Nachweis – dennoch in Anspruch genommen werden kann. Letzteres ist nach ständiger Rechtsprechung des EuGH der Fall, wenn aufgrund der objektiven Beweislage feststeht, dass die Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 UStG vorliegen. Das FG Köln meint in seiner Entscheidung, dass die objektiven Voraussetzungen des § 6a UStG stets erfüllt sind, da die Tatbestandsmerkmale von § 3 Abs. 1a USTG und § 6a Abs. 1 UStG beim innergemeinschaftliches Verbringen identisch sind. Mit anderen Worten: Das innergemeinschaftliche Verbringen ist nach Ansicht des FG Köln stets steuerfrei.

Sachverhalt

Der Kläger betrieb einen Einzelhandel mit Teppichen. Im Oktober 2003 wurden Teppiche des Klägers mit einem Lkw seines Unternehmens aus dem Inland in ein von der Firma E GmbH angemietetes Lager in den Niederlanden transportiert. Die Teppiche wurden aus dem angemieteten Lager gestohlen. Die Verbringung der Teppiche in die Niederlande war belegmäßig nicht dokumentiert worden (§ 17c Abs. 3 UStDV, A 15b, 190a Abs. 3 und 256a Abs. 1 UStR 2000). Eine Liste der gestohlenen Teppiche wurde erst nachträglich von dem Kläger erstellt und vorgelegt.

Der Beklagte erließ einen geänderten Umsatzsteuerbescheid 2003 vom 15.11.2005. Zur vorübergehenden Verwendung in das EU-Ausland verbrachte Gegenstände gälten im Zeitpunkt ihres Untergangs durch Diebstahl als geliefert. Da keine Erwerbsbesteuerung gem. § 6a UStG vorliege (u.a. sei keine USt-IdNr. erteilt worden), sei die Lieferung der Teppiche umsatzsteuerpflichtig. Den dagegen erhobenen Einspruch wies der Beklagte zurück. Nachweise für das Vorliegen einer steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferung oder eines steuerfreien innergemeinschaftlichen Verbringens (§ 3 Abs. 1a i.V.m. § 6a Abs. 1 bis 3 UStG, § 17c UStDV) seien nicht erbracht worden. Es habe auch nicht anhand objektiver Umstände tatsächlich festgestellt werden können, dass diese Voraussetzungen vorlägen. Im seiner dagegen erhobenen Klage trägt der Kläger vor, dass feststehe, dass die Teppiche mit dem firmeneigenen Fahrzeug in die Niederlande transportiert und dort gestohlen worden seien, es also zu dem Verbringungsvorgang gekommen sei. Hinsichtlich der von dem Beklagten beanstandeten formellen Aufzeichnungsmängel sei auf die EuGH-Rechtsprechung verwiesen, wonach die Steuerbefreiung auch bei Nichterfüllung bestimmter formeller Anforderungen zu gewähren sei, wenn aufgrund der objektiven Beweislage feststeht, dass die materiellen Anforderungen erfüllt sind. Es stehe bereits mit der Feststellung der Steuerbarkeit des Verbringens nach § 3 Abs. 1a UStG fest, dass die materiellen Voraussetzungen für die Steuerfreiheit gegeben seien. Sollte der Beklagte demgegenüber davon ausgehen, dass die Teppiche nicht in die Niederlande gelangt seien, so gäbe es auch keinen steuerbaren Tatbestand eines innergemeinschaftlichen Verbringens, so dass hierauf die Umsatzsteuerfestsetzung nicht gestützt werden könne.

Entscheidung

Das FG Köln hat der Klage stattgegeben und das innergemeinschaftliche Verbringen der Teppiche durch den Kläger als steuerfrei behandelt.

Soweit die in der Liste des Klägers bezeichneten Teppiche i.S.d. §§ 3 Abs. 1a, 6a Abs. 2 UStG in die Niederlande verbracht worden sein sollten, wäre damit zugleich der Nachweis für die Steuerbefreiung dieses Umsatzes nach § 4 Nr. 1 Buchst. b UStG erbracht, so dass die Steuerfestsetzung nicht auf die Umsatzsteuerpflicht dieses Verbringens gestützt werden kann. Sachverhalte, die die Annahme erlaubten, dass durch eine anderweitige Verwendung der Teppiche die festgesetzte Umsatzsteuer entstanden sein könnte, sind demgegenüber nicht erkennbar.

Gemäß § 3 Abs. 1a UStG gilt als Lieferung gegen Entgelt das Verbringen eines Gegenstands des Unternehmens aus dem Inland in das übrige Gemeinschaftsgebiet durch einen Unternehmer zu seiner Verfügung, ausgenommen zu einer nur vorübergehenden Verwendung, auch wenn der Unternehmer den Gegenstand in das Inland eingeführt hat. Der Unternehmer gilt als Lieferer. Mit dieser Regelung wird Art. 28a Abs. 5 Buchst. b der 6. EG-Richtlinie (nunmehr: Art. 17 Abs. 1 MwStSystRL) umgesetzt. Danach ist die von einem Steuerpflichtigen vorgenommene Verbringung eines Gegenstands seines Unternehmens in einen anderen Mitgliedstaat einer Lieferung von Gegenständen gegen Entgelt gleichgestellt. Als „Verbringung in einen anderen Mitgliedstaat“ gelten die Versendung oder Beförderung eines im Gebiet eines Mitgliedstaats befindlichen beweglichen körperlichen Gegenstands durch den Steuerpflichtigen oder für seine Rechnung für die Zwecke seines Unternehmens nach Orten außerhalb dieses Gebiets, aber innerhalb der Gemeinschaft.

Ein zur vorübergehenden Verwendung in den Bestimmungsmitgliedstaat verbrachter Gegenstand gilt als geliefert, wenn der Gegenstand durch Zerstörung, Verlust oder Diebstahl im Bestimmungsmitgliedstaat untergeht. Da die Teppiche nach dem Vortrag des Klägers in den Niederlanden entwendet worden sind, ist daher in diesem Zeitpunkt ein einer innergemeinschaftlichen Lieferung gegen Entgelt gleichgestelltes innergemeinschaftliches Verbringen anzunehmen.

Ein derartiges steuerbares Verbringen der Teppiche in die Niederlande i.S.d. § 3 Abs. 1a UStG ist indessen nach § 6a Abs. 2 i.V.m. § 4 Nr. 1 Buchst. b UStG steuerfrei, so dass ein solcher Sachverhalt die Festsetzung der Umsatzsteuer in dem angegriffenen Bescheid nicht rechtfertigen kann. Nach § 6a Abs. 2 UStG gilt auch das einer Lieferung gleichgestellte Verbringen eines Gegenstandes i.S.d. § 3 Abs. 1a UStG als gem. § 4 Nr. 1 Buchst. b i.V.m. § 6a Abs. 2 UStG steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung. Gemäß § 6a Abs. 3 UStG i.V.m. §§ 17a bis 17c UStDV a.F. – im Folgenden: UStDV – hat der Unternehmer die Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 und 2 UStG beleg- und buchmäßig nachzuweisen. § 17a UStDV (Belegnachweis) gilt nur für innergemeinschaftliche Lieferungen nach § 6a Abs. 1 UStG und nicht für das Verbringen nach § 6a Abs. 2 UStG. Nach § 17c Abs. 1 UStDV muss der Unternehmer jedenfalls auch bei einem innergemeinschaftlichen Verbringen i.S.d. § 6a Abs. 2 UStG die Voraussetzungen der Steuerbefreiung des Abnehmers buchmäßig nachweisen. Dazu soll er nach § 17c Abs. 3 UStDV die handelsübliche Bezeichnung und die Menge des verbrachten Gegenstandes, die Anschrift und die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des im anderen Mitgliedstaat gelegenen Unternehmensteils, den Tag des Vorbringens und die Bemessungsgrundlage nach § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG aufzeichnen. Die Voraussetzungen der Steuerbefreiung müssen eindeutig und leicht nachprüfbar aus der Buchführung zu ersehen sein. Diesen Buchnachweis hat der Unternehmer grundsätzlich bis zu dem Zeitpunkt zu führen, zu dem er die Umsatzsteuer-Voranmeldung für die innergemeinschaftliche Lieferung abzugeben hat. Der Sinn des formalisierten Beweisverfahrens des § 6a Abs. 3 Satz 2 UStG in Verbindung mit §§ 17a bis 17c UStDV besteht darin, dass bei Erfüllung der Nachweispflichten in der vorgeschriebenen Form ein Anscheinsbeweis dafür besteht, dass die Voraussetzungen einer steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferung vorliegen. Diese Voraussetzungen des formalisierten Buchnachweises hat der Kläger unstreitig nicht erfüllt, denn Aufzeichnungen i.S.d. § 17c Abs. 1 und Abs. 3 UStDV hat er nicht erstellt.

Kommt der Unternehmer seinen Nachweispflichten nicht nach, ist zwar grundsätzlich davon auszugehen, dass die Voraussetzungen einer innergemeinschaftlichen Lieferung (§ 6a Abs. 1 UStG) nicht erfüllt sind. Etwas anderes gilt ausnahmsweise dann, wenn trotz der Nichterfüllung der – formellen – Nachweispflichten aufgrund der objektiven Beweislage feststeht, dass die Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 UStG vorliegen. Dann ist die Steuerbefreiung zu gewähren, auch wenn der Unternehmer die nach § 6a Abs. 3 UStG erforderlichen Nachweise nicht erbrachte. Da die Voraussetzungen für die Steuerfreiheit eines solchen Verbringens gem. § 4 Nr. 1 Buchst. b UStG i.V.m. § 6a Abs. 2 UStG mit den Voraussetzungen für die Steuerbarkeit gem. § 3 Abs. 1a UStG identisch sind, sind die Voraussetzungen der Steuerbefreiung objektiv erfüllt.

Einzige Tatbestandsvoraussetzung für die Gleichstellung des innergemeinschaftlichen Verbringens mit einer innergemeinschaftlichen Lieferung in § 6a Abs. 2 UStG ist, dass ein innergemeinschaftliches Verbringen vorliegt. Über § 3 Abs. 1a UStG hinausgehende Tatbestandsvoraussetzungen für die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 1 Buchst. b UStG stellt § 6a Abs. 2 UStG nicht auf. Steht fest, dass ein Fall des § 3 Abs. 1a UStG vorliegt, bedarf es daher keines weiteren Nachweises der materiellen Voraussetzungen für die Steuerfreiheit dieses Umsatzes mehr.

§ 6a Abs. 2 UStG enthält deshalb, wie der Kläger zutreffend ausführt, keine den Nr. 1-3 des § 6a Abs. 1 UStG entsprechenden und nur für eine innergemeinschaftliche Lieferung i.S.d. § 6 a Abs. 1 UStG sinnhaften Nachweisanforderungen. So ist der Nachweis, dass die Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet erfolgte (§ 6a Abs. 1 Nr. 1 UStG) deshalb zum Nachweis der Steuerfreiheit einer innergemeinschaftlichen Lieferung erforderlich, weil jede Lieferung, deren Beförderung oder Versendung von Deutschland aus beginnt, grundsätzlich in Deutschland steuerbar und steuerpflichtig ist (§ 3 Abs. 6 UStG). Das Verbringen in ein anderes Lager des Unternehmers ist demgegenüber grundsätzlich überhaupt kein umsatzsteuerbarer Vorgang. Erst der Nachweis des Verbringens einer Ware in einen anderen Mitgliedstaat begründet dessen Steuerbarkeit. Deshalb braucht in § 6a Abs. 2 UStG, wenn ein Fall des § 3 Abs. 1a UStG fest steht, nicht zusätzlich ein Nachweis für das Verbringen gefordert zu werden. Auch die Unternehmereigenschaft des „Abnehmers“ (§ 6a Abs. 1 Nr. 2a UStG) bedarf im Fall des unternehmensinternen innergemeinschaftlichen Verbringens keines Nachweises, weil die Steuerbarkeit des innergemeinschaftlichen Verbringens nach § 3 Abs. 1a UStG bereits die Unternehmereigenschaft des Lieferers (und Abnehmers) voraussetzt. Weiterhin bedarf es angesichts der Identität der Tatbestandsvoraussetzungen des § 1a Abs. 2 und des § 3 Abs. 1a UStG auch nicht des Nachweises, dass der Gegenstand des innergemeinschaftlichen Verbringens bei dem „Abnehmer“ in einem anderen Mitgliedstaat der Umsatzbesteuerung unterliegt (§ 6a Abs. 1 Nr. 3 UStG). Schließlich ist der Nachweis der tatsächlichen Erwerbsbesteuerung bei dem Abnehmer sowie der USt-IdNr. des Empfängers weder nach dem UStG noch nach der 6. EG-Richtlinie Voraussetzung der Steuerfreiheit eines innergemeinschaftlichen Verbringens (EuGH, Urt. v. 27.09.2012, C-587/10, VSTR).

Sachverhalte, die die Annahme erlauben, dass durch eine anderweitige Verwendung der Teppiche die festgesetzte Umsatzsteuer entstanden sein könnte, sind von dem Beklagten nicht vorgetragen worden und auch sonst nicht erkennbar. Die verbleibende Ungewissheit, ob die von dem Kläger aufgelisteten Teppiche tatsächlich in dem von ihm angemieteten Lager in den Niederlanden entwendet worden oder möglicherweise zu steuerpflichtigen Umsätzen im Inland verwandt worden sind, kann aber mangels irgendwelcher hierauf bezogener Feststellungen des hinsichtlich steuerbegründender Tatsachen beweisbelasteten Beklagten nicht die Festsetzung einer Umsatzsteuer im Schätzungswege rechtfertigen.

Praxishinweis

Die Entscheidung des FG Köln führt für das innergemeinschaftliche Verbringen zu einer Aufhebung sämtlicher Nachweispflichten und damit zu einer erheblichen Begünstigung sämtlicher grenzüberschreitend agierender Steuerpflichtigen. Diese sehr weitgehende Begünstigung des Steuerpflichtigen lässt aber auch daran zweifeln, dass die Entscheidung vor dem BFH und ggf. dem EuGH als weiterer Zwischeninstanz Bestand hat. Zutreffend geht das FG Köln davon aus, dass eine Kongruenz zwischen den Tatbestandsmerkmalen von § 3 Abs. 1a UStG und § 6a Abs. 2 UStG besteht, so dass jeder Fall eines innergemeinschaftlichen Verbringens grundsätzlich steuerfrei sein muss. Die Nachweispflichten des § 17c UStG verfolgen nicht nur den Zweck, das innergemeinschaftliche Verbringen zeitnah nachvollziehen zu können, sondern auch, dass die Erwerbsbesteuerung im Ziel-Mitgliedstaat erfolgen kann. Wird überhaupt kein Nachweis geführt, kann der Verbleib der Ware nicht mehr nachvollzogen werden. Der inländische Fiskus ist an Ermittlungen im Ausland gehindert und mangels Nachweises würde dem ausländischem Fiskus die Information fehlen, dass Gegenstände in seine „Umsatzsteuerhoheit eingeführt“ wurden. Damit der jeweilige ausländische Staat nicht nach Jahren in Beweisnot gerät, was mit der Ware tatsächlich passiert ist, wird ihm über die Zusammenfassende Meldung stets mitgeteilt, welcher Steuerpflichtige unter welcher USt.-IDNr. Waren in Inland verbracht hat. Würden – wie in der Entscheidung des FG Köln – die Nachweispflichten sanktionslos, d.h. ohne Verlust der Steuerfreiheit, verletzt werden, wäre das innergemeinschaftliche Kontrollsystem gefährdet. Der BFH hat nämlich in einer früheren Entscheidung unter Verweis auf den EuGH für den Ausschluss der Steuerbefreiung genügen lassen, dass der Lieferer bei der Lieferung die Identität des wahren Erwerbers verschleiert, um diesem zu ermöglichen, die Mehrwertsteuer zu hinterziehen (BFH, Urt. v. 21.05.2014, V R 34/13; EuGH, Urt. v. 06.09.2012, C-273/11, Mecsek-Gabona,). Dies könnte – was abzuwarten bleibt – so gewertet werden, dass bei Personenidentität wie stets beim innergemeinschaftlichen Verbringen dieser Fall erfüllt ist. Vor diesem Hintergrund sollte trotz der Entscheidung des FG Köln wie auch in anderen Fällen der innergemeinschaftlichen Lieferung höchsten Wert auf Erfüllung sämtlicher Nachweispflichten gelegt werden, d.h. vorliegend des Buchnachweises i.S.d. § 17c UStG.